Samstag, 25. September 2010
Musikalisches Immergrün - Meine 333 liebsten Disney-Lieder (Teil LXIV)
Die letzten zwei Ränge der Hitliste meiner liebsten Disney-Lieder stehen noch an. Doch nicht nur die Frage, welche Songs dies seien könnten, steht an der Tagesordnung. Auch eine andere, berechtigte Frage drängt sich auf. Nachdem ich mich als großer Fan der Disney-Eröffnungslieder bekannt habe, bleibt nämlich die Frage offen, ob ich nicht vielleicht enttäuscht bin, dass so viele Disney-Filme mit ihrem besten Musikstück anfangen. Oder anders ausgedrückt: Denke ich, dass Disney häufig daran scheitert an das grandiose Intro eines Films anzuschließen? Fällt der restliche Film nach dem Opening nicht enorm ab?
Nun, dies zu behaupten wäre eine augenscheinlich logische Antwort. Aber ich habe es nicht so mit dieser Schnellschusslogik und muss tatsächlich antworten: Nein. Nein, bei einem guten Film ist es nicht so, dass der Rest nach dem fantastischen Intro abfällt.
Dinosaurier, um mit einem Gegenbeispiel anzufangen, ist ein ein durch und durch mäßiger und uninspirierter Film. Die mit Abstand beste Sequenz erfolgt direkt zu Beginn und diese erdrückt den restlichen, mittelmäßigen Stoff, der auf sie folgt. Aber dies ist eine negative Ausnahme von der Regel.
Betrachten wir stattdessen den Film zu meinem Platz 3. Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt eröffnet mit Hisst die Flagge, meinem drittliebsten Disney-Lied. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass das übrige Piratenabenteuer seinem Anfang nicht gerecht wird. Allein schon musikalisch. Zwar lässt der Film gesanglich nach (das einzige andere gesungene Lied ist ganz zum Schluss Yo-ho, Piraten haben's gut, Platz 27 meiner Hitliste), aber Hans Zimmers Instrumentalmusik vermag es Hisst die Flagge noch an zahlreichen Stellen zu schlagen, etwa mit dem komplex-verspielten Jig Up is Down.
Ein anderes Beispiel ist Disneys großartiges Meisterwerk Tarzan. Käme die eingangs genannte Logik bei mir zur Fruchtung, müsste der Film für mich nach Zwei Welten (Platz 10) gewaltig einbrechen, um sich während Fremde wie ich (Platz 5) selbst zu übertreffen, wieder gewaltig einzubrechen und dann mit Zwei Welten wieder auf einem Aufwärtstrend zu enden. Doch nur weil Zwei Welten die zweitstärkste Musikeinlage des Films ist, sehe ich das Intro nicht gleich als die zweitbeste Sequenz an. Dafür fehlen noch die Figuren, der Handlungskontext und so auch die emotionale Bindung - nach Zwei Welten gibt es einige Szenen, die zwar musikalisch weniger kraftvoll sind, aber dennoch dem Intro mindestens ebenbürtig sind.
Ich setze nicht für den gesamten Film die selben musikalischen Erwartungen an, wie für den Eröffnungssong, schlichtweg schon deshalb, weil es dramaturgisch unmöglich ist. Leinen los (Platz 39) aus Muppets - Die Schatzinsel etwa würde zu keinem anderen Zeitpunkt im Film funktionieren und nach diesem Lied kann es auch keine ähnlich gestaltete Musikeinlage geben. Dessen bin ich mir bewusst und deswegen jammere ich nicht herum, dass der Film keine fünf Lieder wie Leinen los bietet.
Vielleicht kann man meine Einstellung auch ein wenig an meiner Hitliste der Disney-Filme mit dem besten Lieder-Gesamtaufgebot ablesen. Einige davon haben ihren besten oder zweitbesten Moment direkt zu Beginn - und ich schätze diese Filme generell sehr hoch ein.
Es sei noch angemerkt, dass dies keine aus der Musikalisches Immergrün-Hitliste errechnete Rangfolge ist. Es geht nicht darum, welcher Film die meisten Punkte hat (unfair für Filme mit weniger Gesangseinlagen) oder welcher den höchsten Punktedurchschnitt hat (unfair für Filme mit einem Megastinker), sondern um meinen unabhängig von dieser Songhitliste gefällten Gesamteindruck. Dabei fließt auch mit ein, wie die einzelnen Lieder zusammenspielen und wie weit ich die gesanglich begleitete Filmmusik als Gesamtwerk schätze.
Platz 5: Mary Poppins und Bärenbrüder
In meiner Songhitliste habe ich mir ja ein Unentschieden verboten, aber in dieser weniger offiziellen und hochzelebrierten Auflistung erlaube ich es mir. Denn ich mag nicht zwischen Mary Poppins und Bärenbrüder entscheiden. Für Bärenbrüder sprechen einige sehr starke Songs von Phil Collins, manche zählen für mich zu seinen mit Abstand besten Werken, die zudem problemlos als eigenständige Stücke funktionieren. Dafür fehlt es mir bei Bärenbrüder an einem stilistischen roten Faden. Die Lieder aus Bärenbrüder klingen zwar nicht wie aus drei, vier der weltunterschiedlichsten Musicals entführt, wüsste ich aber nicht, dass sie aus dem selben Film stammen, so müsste ich diesen Fakt durchaus mit etwas Glück erraten. Mary Poppins dagegen ist musikalisch ein zusammenhängendes und einprägsames Meisterwerk, dessen Lieder im Zusammenspiel auch sogleich deutlich voneinander profitieren, unter anderem auch aufgrund der fantastischen Instrumentaladaptionen des Komponisten Irwin Kostal. Hätte ich der "auf eigenen Füßen stehen"-Komponente in meiner Songhitliste weniger Bedeutung beigemessen, so hätte dieser Meilenstein zweifelsohne noch besser abgeschnitten. Daraus resultiert aber auch, dass ich mit einigen der Liedern außerhalb des Films nicht ganz so warm werde, wie mit den Liedern aus anderen meiner ganz großen musikalischen Favoriten unter den Disney-Filmen.
Platz 4: Aladdin
Der Soundtrack zu Aladdin ist dem Dschinni sei Dank der witzigste und stürmischste im Meisterwerke-Kanon, was ihm bei mir sofort einige Sympathiepunkte einbringt. Nur ein kleiner Freundschaftsdienst (Platz 14) ist ein wahrlich berauschender Showtune und Prinz Ali (Platz 23) ist ein spaßiges, pompöses Paradenlied, dem Dschafar eine herrlich sarkastische Reprise gönnt. Außerdem hat Aladdin einen dezent humorigen, vor arabischer Atmosphäre berstenden Introsong (Platz 35). Die anderen Lieder des Films gefallen ebenfalls, und genau wie bei Mary Poppins sind sie im Film nochmal etwas stärker als einzeln. Trotz der unterschiedlichen Tempi und Klangfarben (und des durch tragischen Umständen an zwei Leute gehenden Part des Original-Liedtexters) wirkt der Aladdin-Soundtrack auf mich wie eine starke Einheit - und selten arbeitete Menken seine Lieder schöner in die Instrumentalmusik ein wie hier. Ich erinnere nur an Schnell weg (Platz 156) als trauriges Instrumentalstück...
Platz 3: Der Glöckner von Notre Dame
Vier Jahre nach Aladdin kam mit Der Glöckner von Notre Dame der absolute Gegensatz zum abenteuerlichen Märchen aus Tausendundeiner Nacht in die Kinos. Und auch dieser bekommt schon allein aufgrund seines musikalischen Grundtenors einen dicken Sympathiepunkt bei mir. An Stelle des spaßigsten Disney-Soundtracks tritt hier der dramatischste Soundtrack aus Menkens Schaffen, vielleicht sogar aus dem ganzen Disney-Pantheon. Dunkle Klangfarben, dramatische Chorgesänge und schwer wiegende Melodien dominieren Der Glöckner von Notre Dame, der obendrein noch mit Das Feuer der Hölle (Platz 4) den meinen liebsten Schurkensong auf seiner Seite hat. Mit Das Licht des Himmels (Platz 70), Einmal (Platz 73) und Gott, deine Kinder (Platz 33) zeigt der Film auch eine sehr starke emotionalere Seite, die Balladen aus Der Glöckner von Notre Dame schlagen für mich so einige Oscar-Kandidaten. Die humorigeren Songs sind dagegen ein klarer Stolperstein für Der Glöckner von Notre Dame. Sie sind nicht schlecht, aber bis auf Hof der Wunder (Platz 208) sind sie spürbare Ausreißer aus dem restlichen Klangbett dieses Films. Ein kunterbunter Tag (Platz 276) hat noch einen halben Fuß im dominanten Stil des Films, aber Ein Kerl wie du (Platz 282) mag gar nicht mehr in den Soundtrack hineinpassen.
Platz 2: Tarzan
Disneys Meisterwerk aus dem Jahre 1999 bleibt solchen stilistischen Ausrutschern fern. Tarzan hat einen Soundtrack, wie aus einem Guss. Meine Favoriten Fremde wie ich (Platz 5), Zwei Welten (Platz 10) und So ein Mann (Platz 40) könnten genauso gut jeweils ein eigenständiges Drittel eines zusammenhängenden, großen Musikstücks sein und auch Dir gehört mein Herz (Platz 168) und Krach im Lager (Platz 158) haben trotz ihrer Andersartigkeit viel vom distinktiven Tarzan-Sound. Ein schneller, rockiger Soundtrack, der dem rasanten Disney-Zeichentrickabenteuer nochmal den letzten Kick gibt. Disney darf meinetwegen ruhig öfter in diesen Gefilden wildern...
Platz 1: Der König der Löwen
... erst recht, wenn man bedenkt, dass auch mein musikalischer Lieblings-Disney von einem Rocker geprägt wurde. Und wenn man New Wave ebenfalls der riesigen Rockfamilie zuordnet, und ein Blick auf seine stilistischen Wurzeln lässt diesen Gedanken gar nicht mal so absurd erscheinen, dann haben wir mit The Buggles-Ex-Mitglied Hans Zimmer neben Elton John sogar einen zweiten im Verein. Aber es ist ja nicht einmal vornehmlich der Rockeinfluss, der Der König der Löwen zu Disneys musikalischer Krönung werden lässt, sondern die hervorragende Verquickung afrikanischer und westlicher Klänge. Außerdem ist in Der König der Löwen die Qualität der einprägsamen Melodien einfach durchgehend hoch. Es gibt keinen Song, der mich denken lässt "Och, neee, muss der jetzt kommen". Bei diesem Film waren die richtigen Leute mit den richtigen Ideen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und deshalb ist Der König der Löwen neben Tarzan auch der einzige Film mit zwei Liedern in meiner Top 10. Zum einen Scars herrlich-boshafter Schurkensong Seid bereit (Platz 6) und dann noch...
Platz 2: Der ewige Kreis ("Circle of Life") aus Der König der Löwen
Musik von Elton John, Text von Tim Rice (dt. Fassung von Frank Lenart)
Im Gegensatz zu Hisst die Flagge, dem dritten dritten Rang meiner Disney-Liederhitliste, entstand Der ewige Kreis offiziell, ohne dass sich Hans Zimmer an ihm als Komponist beteiligte. Die Academy of Motion Picture Arts & Sciences, die GEMA und der Filmabspann von Der König der Löwen listen allesamt ausschließlich Elton John als Komponisten und Tim Rice als Liedtexter dieses imposanten Eröffnungssongs des immens erfolgreichen Disney-Meisterwerks von 1994. Dabei ist es zwei weiteren Musikern zu verdanken, dass der Anfang von Der König der Löwen seine denkwürdige Form annahm, die wir alle kennen und lieben gelernt haben. Ursprünglich sahen die Regisseure Rob Minkoff und Roger Allers eine dialoglastige Introsequenz, in der unter anderem zu sehen ist, wie der Nashornvogel Zazu die zu Simbas Geburt am Königsfelsen eintreffenden Tiere an die richtigen Plätze dirigiert. Zazu, Rafiki, Mufasa und Simba sollten dem Zuschauer allesamt durch Dialoge vorgestellt werden, doch dann legte der Komponist Hans Zimmer den Filmemachern sein Arrangement von Elton Johns Komposition vor, das förmlich wie eine Bombe einschlug. Der ewige Kreis enthielt auch in Zimmers Arrangement Instrumentalparts, die als Untermalung für Dialogstellen geeignet wären, doch auch diese Momente wurden als so ausdrucksstark erachtet, dass es den Regisseuren unmöglich schien, guten Gewissens Dialoge drüberzulegen. Aber nicht nur Hans Zimmer gebührt unendlicher Respekt für die Prägung dieser packenden Introsequenz. Der durch Zimmer, mit dem er zuvor an Im Glanz der Sonne zusammenarbeitete, zu Der König der Löwen herangezogene südafrikanische Musiker Lebo M trug genauso sein Teil dazu bei, den Song Der ewige Kreis in seine endgültige Form zu bringen. Lebo M half Zimmer dabei, dem orchestralen Arrangement einen afrikanischen Charakter zu verleihen und verfasste die Hintergrundtexte für den afrikanischen Chor. Außerdem ist es Lebo M mit seinem mittlerweile ikonischen Schrei, der in sämtlichen der über 35 internationalen Sprachfassungen von Der König der Löwen als erstes zu hören ist und so sämtliche Zuschauer dieses Films innerhalb eines Wimpernschlags in eine andere Stimmung versetzt und nach Afrika entführt. Die unglaubliche atmosphärische Dichte, die majestätische Eigenständigkeit dieses musikalischen Filmintros wäre ohne Zimmer und Lebo M wohl nie zu Stande gekommen, wodurch Der König der Löwen gegenüber seiner tatsächlichen Form sehr viel an Wirkung hätte einbüßen müssen.
Das Intro zu Der König der Löwen ist Erhabenheit in filmischer Reinheit und es benötigt keinerlei Dialogstellen. Wenn die Sonne über den eindrucksvoll eingefangenen Kontinent Afrika erwacht, die Fauna Lebo Ms Aufruf vernimmt und die Wanderschaft zum prächtigen Königsfelsen aufnimmt, begreift das kindliche Publikum intuitv, worum es geht. Und als Erwachsener ist man von der Pracht dieses Moments einfach vollkommen verzaubert. Die Landschaftsbilder sind atemberaubend schön, sei es die in goldenem Licht getauchte Vogelperspektive auf einige kleine Seen, der impressionistische Blick auf den nebelverhangenen Kilimanjaro oder Zazus hoheitsvoller Flug über die versammelten Tiere hinweg zum im sanften Morgenwind wartenden und das Geschehen betrachtenden König Mufasa. Die Kameraeinstellungen sind für einen Zeichentrickfilm äußerst vital und vielfältig, mit der Schärfentiefe wird wie in einem Realfilm umgegangen, was die Sequenz so gleich noch ausgereifter wirken lässt. Die Sequenz dauert rund vier Minuten - eigentlich eine recht lange Zeit, aber sie vergeht dank des Songs und der perfekten Inszenierung wie im Fluge.
Die großartigen Liedtexte tragen selbstverständlich ebenfalls einen wertvollen Beitrag dazu bei, dass Der ewige Kreis zum königlichsten Moment der Disney-Musikgeschichte wird. Tim Rice, der als Ersatz für den verstorbenen Howard Ashman bei Aladdin mitwirkte und den Disney-Studios vorschlug, Elton John bezüglich Der König der Löwen anzufragen, schrieb einen einfühlsamen und weihevollen, spirituellen und dennoch ganz und gar unprätentiösen Liedtext über Leben und Tod, die unbezwinglichen Gesetze der Natur. Elton John, der zuerst die Texte verfasst haben wollte um zu diesen eine Melodie zu verfassen, vertonte die in diesem aufrichtigen Liedtext liegenden Gefühle mit einer hervorragenden, kraftvollen und stolzen Komposition. So griff ein Zahnrad ins andere und ein Meilenstein der Disney-Geschichte war fertiggestellt. Der ewige Kreis ist ein emotionales, intelligentes Lied, das einen gewaltigen Eindruck hinterlässt. Umso unverständlicher, dass die Academy of Motion Picture Arts & Sciences bei der Oscar-Verleihung allen ernstes Kann es wirklich Liebe sein? (Platz 126) diesem Song vorzog. Normalerweise finde ich mich ja einfach damit ab, dass die Mitglieder der Academy einfach einen anderen Musikgeschmack haben, und in einigen Fällen kann ich ihre von meiner Meinung abweichende Entscheidung verstehen. So habe ich Ein Mensch zu sein / Arielles Traum (Platz 32) aus Arielle, die Meerjungfrau in meiner persönlichen Hitliste zwar höher platziert als Unter dem Meer (Platz 37), allerdings könnte ich nicht beschwören, ob ich bei einem Countdown der besten Disney-Songs gleich entscheiden würde. Natürlich stellt sich in diesem Fall wieder einmal, was die "besten" Musikstücke von seinen "liebsten" unterscheidet, aber vor dem Hintergrund, dass Arielles Traum eine recht klassische "Ich will"-Broadwayballade ist, deren Ähnlichkeit zu früheren Liedern selbst von ihren Schöpfern kommentiert wurde und die allein durch die gesangliche Performance und einigen Textpassagen zum großen Fan-Favoriten wurde, während Unter dem Meer ein ganz und gar origineller Stilmix ist, der den gesamten Film und dessen Rezeptionsgeschichte prägte, ist Unter dem Meer wohl der verdientere Oscar-Gewinner.
Im Falle von Der König der Löwen dagegen ist mir die Entscheidung der Academy nicht bloß ein Rätsel, sondern ein regelrechtes Ärgernis. Bezüglich der Nominierungen lass ich ja noch mit mir reden, da Hakuna Matata (Platz 47) und Kann es wirklich Liebe sein? besser ins Oscar-Schema passen als Ich will jetzt gleich König sein (Platz 57) und Seid bereit, dass aber die in ihrer Popversion von Elton John wirklich rührende, aber dennoch konventionelle Liebesballade gewann ist mir einfach unerklärlich. Es ist sogar ein richtiger Frevel, wenigstens meiner Auffassung nach. Der ewige Kreis verrät als Introsong nicht zu viel über den an ihn anschließenden Film, Handlungsverläufe lässt er völlig im unklaren, zugleich führt er seinen Grundtenor ein, Der König der Löwen ist gelegentlichem Humor zum Trotz einer der "stolzesten" und bewegendsten Disney-Zeichentrickfilme, und behandelt bereits sein zentrales Thema, nämlich den ewigen Kreislauf des Lebens, mit dem sich jeder arrangieren muss, ganz gleich ob er willens ist oder nicht (Umso vortrefflicher auch der erste gesprochene Satz im Film: Der blasierte Schurke Scar beklagt sich darüber, wie ungerecht die Welt doch sei).
Deswegen entschied sich Disneys Marketingabteilung, zur Zeit von Der König der Löwen unbestritten die meisterlichste Marketingmaschinerie in ganz Hollywood, in einem überaus weisen Moment dazu, die Der ewige Kreis-Sequenz intakt als Trailer für Der König der Löwen in die Kinos zu entlassen, in der Hoffnung, dass das Publikum daraufhin danach brennt, sich den kompletten Film anzusehen um zu erfahren, was auf diese Anfangssequenz folgt. Ein genialer Schachzug, der von Erfolg gekrönt war: Der König der Löwen holte über 40 Millionen US-Dollar an seinem breiten US-Startwochenende und nahm weltweit insgesamt 783.841.776 $ ein, womit er zum erfolgreichsten Trickfilm aller Zeiten wurde. Mittlerweile überholten ihn Toy Story 3, Shrek 2 und Findet Nemo, im Zeichentrick-Medium bleibt er aber der unangefochtene König. Und auch ein anderer Rekord bleibt wohl für immer in Stein gemeißelt: Der König der Löwen ist der meistverkaufte Film auf Videokassette. Und nur so am Rande: Auch ein weiterer Rekord für dieses Medium liegt in den Händen des Disney-Konzerns. Die erfolgreichste Videokassette im Verleih ist Jerry Bruckheimers und Michael Bays The Rock.
Rund ein halbes Jahrzehnt später versuchte Disney diesen Erfolg zu wiederholen, als man das ambitionierte Projekt Dinosaurier mit seiner überaus beeindruckenden Introsequenz bewarb. Mit 38 Mio. Dollar war das Startwochenende ebenfalls beachtlich, unter'm Strich wurde der Abstand zu Der König der Löwen allerdings immer klaffender und so reichte es mit einem weltweiten Einspielergebnis von 349.822.765 Dollar nicht einmal für die Hälfte der Einnahmen von Der König der Löwen. Es besteht nunmal ein Unterschied, wenn der Trailer den besten Song enthält, oder die einzige überdurchschnittliche Szene des gesamten Streifens.
Der ewige Kreis ist in der Disney-Historie aber nicht bloß als Trailer (und Eröffnung) des erfolgreichsten Zeichentrickfilms von Bedeutung. Dass Julie Taymor bei der Gestaltung der Bühnenausstattung und Kostüme der Broadway-Fassung von Der König der Löwen besonderen Wert darauf legte, dass das Kreismotiv herausgestellt wird, hat seinen ursprung ja nicht irgendwoher. Außerdem machte das Lied, bei dem in der Produktion von Der König der Löwen große Diskussionen darüber herrschten, welche Figur den Song überhaupt singen sollte (bevor man sich schlicht auf "keine" einigte und die Wahl auf eine anonyme Off-Stimme fiel), den Off-Gesang (mal von etablierten Figuren, mal von anonymen Stimmen) im Meisterwerkekanon "en vogue". Vor allem jedoch wurde er zur Messlatte und zur stillschweigenden Inspiration für fast alle anderen Eröffnungssequenzen und -lieder der Walt Disney Animation Studios. Die Glocken Notre Dames (Platz 19), Jedes Wort ist wahr (Platz 119), Zwei Welten und Götter der Ewigkeit (Platz 31), sie alle wurden auf die eine oder andere Weise von Der ewige Kreis beeinflusst, sei es der Versuch genauso bedeutungsvoll zu sein, ebenso dramatisch (oder noch dramatischer) zu wirken oder auf ähnliche Art die zentralen Themen des dazugehörigen Films einzuführen. Die Märchenbuch-Einführung (oder die Verwendung eines Ersatzes in Form von Mosaikfenstern) schien ein für alle Mal tot. Sofern man nicht gerade einen auf Parodie macht, wie in Himmel und Huhn oder Verwünscht. Da Disney davon absah, ständig bei Der ewige Kreis zu klauen und den Anfang von Der König der Löwen lediglich als zu übertreffendes Ziel sah, besteht für mich auch kein Grund zur Klage über dieses Vorgehen. Schlecht bei sich selbst klauen ist peinlich, aber sich darum bemühen, eine frühere Bestleistung zu überbieten, und dabei eine weitere beachtliche Leistung zu vollbringen, ist vollkommen genehm.
Obwohl Der ewige Kreis ein Lied ist, welches sehr viel seiner eindringlichen Wirkung aus dem bewegenden Text zieht, ist es einer der Songs, bei denen ich die internationalen Übertragungen geschlossen gelungen finde. Eine wirklich schlechte Version ist mir nicht bekannt, es gibt lediglich Fassungen, die stärker sind als andere. Ganz vorne liegen für mich die deutsche und die englische Aufnahme, einerseits aus dem genannten Grund der Verständlichkeit, aber auch weil Carmen Twillie (in der englischen Fassung) und Jocelyn B. Smith (in der deutschen Fassung) unglaublich viel Seele in den Song legen, ohne ihn durch zu intensiven Gefühl zum umkippen zu bringen und seine majestätische Grazie zu verspielen. Deswegen finde ich auch die niederländische Synchronfassung ungewohnt schwach. Unsere westlichen Nachbarn schätze ich bei Disneyfilmen nämlich sonst als überraschend talentierte Synchronnation, obwohl es dort ja keinerlei Tradition hat. Aber die niederländische Fassung von Der ewige Kreis ist mit zu lustlos intoniert. Es ist zwar richtig, dass die Sängerin nicht warm singt, da im Original eine gewisse Kälte in der Gesangsstimme liegt, die das Lied davon abhält belehrend zu wirken und zudem die Bildgewalt unterstützt, da die Aufmerksamkeit auf diesem Weg nicht zu sehr auf den Gesang gelenkt wird. Gleichzeitig muss aber durch diese Kälte ein heimeliges, warmes Gefühl entstehen. Es ist eine paradoxe Sache, und dadurch ist Der ewige Kreis auch ein so anspruchsvolles Lied für den Interpreten, mehr als durch die Notenführung. Dass für das angetäuschte Finale vor der längeren Instrumentalphase und erst recht für endgültige Crescendo die einfach nur im Raum schwebende, mütterlich-göttliche Stimme plötzlich doch ins kraftvolle umschalten muss, macht die Emotionalität im Gesangspart des Songs noch komplexer.
Die französische Fassung, die ich mit meinem Schulfranzösisch noch großteils verstehen kann, meistert dies im Gegensatz zur niederländischen. Generell hat diese Version große Klasse, das phonetische ist sehr edel und gehoben, genauso wie die stilvolle griechische Fassung. Ähnliches gilt für die italienische, die sehr stilvoll klingt und einen geradezu butterweich fließenden Text aufzuweisen hat. Die tscheschiche und portugiesische Fassungen dagegen sind mir wieder zu kraftlos .In Ungarn dagegen hat man eine sehr mütterlich auftretende Gesangsstimme gewählt, ohne aber die Gesamtwirkung des Liedes zu verfälschen. Das Finale könnte auf Ungarisch allerdings mehr Kraft vertragen. Auf Zulu wiederum ist Der ewige Kreis super, aber längst nicht so eindrucksvoll wie Seid bereit. Die Araber dürfen sich hingegen mit einem hierzulande altbekannten Problem herumschlagen: Es existieren zwei Synchronfassungen. Die erste ist mir etwas zu laff, hat aber einen klanglich schönen Text, die zweite hat mehr "Soul" und mehr Biss, schießt manchmal jedoch für meinen Geschmack zu sehr über das Ziel hinaus. Die Zofferei, welche Fassung besser ist überlasse ich jenen, die es betrifft.
Ganz großes Klangkino haben sich aber die Spanier geleistet. Deren ausdrucksstarke Synchronfassung von Der ewige Kreis hat, wie ich finde, sehr viel Charakter und ist deswegen mit einem hübschen Abstand meine liebste Fassung von Der ewige Kreis in einer Sprache, die ich nicht spreche. Ist ja auch irgendwie eine beachtliche Leistung...
Elton Johns Popversion fällt gegen die Filmfassung spürbar ab. Es ist weiterhin ein sehr guter Song, Struktur und Melodie bleiben bestehen (letzteres zumindest ganz klar im Refrain) und Elton Johns Stimme passt zu Der ewige Kreis, daran liegt es also nicht. Es ist hauptsächlich das zu unaufregende Arrangement dieser Version, das sie in meiner Gunst nach unten zerrt. Ich fände es deswegen sehr interessant, Elton John mal die Filmversion singen zu hören. Aus diesem Grund kann ich auch mit sämtlichen auf Elton Johns Single-Auskopplung basierenden Coverversionen nur wenig anfangen, denn meistens legen diese Interpreten weniger Leidenschaft hinein, als der Songkomponist. Oder ihre Stimme mag mir zu diesem Song einfach nicht so sehr behagen wie die von Elton John. Eins von beidem ist es immer...
Besondere Erwähnung verdient aber Circle of Life (Christmas Edition) von Disney Channel Circle of Stars. Diese nimmt eine von vornherein grausige Missstaltung eines großartigen Songs und ersetzt die lieblos unter die Musik gesampleten Pop-R'n'B-Beats durch nerviges Elktro-Glöckchenläuten.
Die Musical-Version von Der ewige Kreis ist dagegen wieder richtig stark. Das Arrangement lehnt sich noch mehr ins afrikanisch-urbane über, auch der Chor wird etwas stärker ins Zentrum gerückt, was für den Film bereits zu übertrieben, für die Bühnenfassung hingegen perfekt ist. Aus ihrem jeweiligen Kontext losgelöst tut sich für mich zwischen der Film- und der Musicalfassung nicht viel, müsste ich mich aber entscheiden, so würde ich bei der kompletten Introversion das Arrangement für den Film bevorzugen, während bei der finalen Reprise das Musical knapp vorne liegt. Dort wirkt die Reprise aufgrund des stärker herausgestellten Chors und dessen rhythmischen Gesang noch überschwänglicher sowie eindringlicher, und die Feierlichkeit dieses Abschlusses wird noch nachhaltiger rübergebracht.
Langer Rede, kurzer Sinn: Der ewige Kreis ist ein ungeheuerlich wirkungsvoller Song, der mich um einiges mehr mitnimmt, als jede schmalzige oder schwermütige oder kraftvolle Liebesballade. Das Lied packt mich einfach immer wieder und löst (aller!)spätestens im Finale eine wohlige Gänsehaut bei mir aus. Jedes Mal. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich den Song allein während der Vorbereitung und Bearbeitung dieses Textes gehört habe, und dennoch hat es mich ein ums andere Mal erwischt, dieses behütete und erhabene Gefühl.
Die Melodie, das ergreifende Filmarrangement, das rhythmischere und kräftigere Musicalarrangement, der herausragende Text, der dramaturgische Aufbau dieses Liedes, Lebo Ms markanter Anfang, das imposante Finale... Ich würde an dieser Stelle so weit gehen und sagen, dass Der ewige Kreis möglicherweise das beste, zumindest aber das eindruckvollste, Disney-Lied überhaupt ist.
Und wenn Der ewige Kreis meiner Betrachtung nach die absolute Superlative der Disneymusik darstellt, wieso ist es dann bitteschön nicht auf Platz 1? Was soll dann noch großartig folgen? Nehm ich meine Leserinnen und Leser mit dieser Hitliste etwa einfach nur alle Hopps, oder habe ich noch etwas überzeugendes, oder wenigstens ansatzweise nachvollziehbares in petto?
Das klärt sich im abschließenden Artikel über Musikalisches Immergrün - Meine 333 liebsten Disney-Lieder.
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3 Kommentare:
"Aladdin", "Der Glöckner von Notre dame", "Der König der Löwen"... das sind solch großartige Soundtracks, bei denen ich jedes Lied zu Ende hören muss, wenn ich es erst einmal angespielt habe. *g*
Dschafars Reprise von "Prinz Ali" ist asbolut genial und schön fies und auch alles andere: Absolute Zustimmung.
Bei "Tarzan" finde ich die Lieder zwar auch sehr gut und auch toll in den Film integriert.. aber der deutsch singende Phil Collins stört mich doch immer ein klein wenig. *g* Oder Collins allgemein; kann mir seine Stimme nicht zu lang anhören, dann nervt sie mich oft etwas. Nur etwas, aber immerhin. ;)
"Circle of Life" also auf 2... hmmmm. Tatsächlich "One little slip"? Ich weiß nicht...^^
Jedenfalls "Circle of Life", ich erinner mich noch an den Moment im Kino, ich hab nur ganz baff die Leinwand angestarrt, vielleicht ist mir auch ein "Ohhh Ahhh" entfahren. *g* Einfach großartig und Gänsehaut und toll! Ich liebe auch diesen letzten Paukenschlag (or whatever) am Ende, schwarzes Bild, Titel, BAMM!
Höre mir grad die anderen Versionen an - Spanien und Italien haben echt super Arbeit geleistet (wobei ich die Sprachen sowieso gern höre). Bei der französischen Version gefällt mir die Stimme nicht ganz so, ich hätte sie gern ein wenig souliger. Aber anhören tut's sich gut. :)
Wenn wir schonmal bei den Sprachen sind... Circle of Life auf russisch gefällt mir persönlich sehr gut!
@ Sunshine: Das ist halt der Fluch und der Segen, wenn Disney (oder Musicals) sich sehr auf den Stil und Klang eines Künstlers konzentrieren. Wer den mag wird's lieben... Aber sofern der deutsche Phil eher zu nerven beginnt, gibt's ja immer noch den englischen Ton. *g*
@ Letterman: Mh, die russische hinterließ bei mir keinen größeren Eindruck. Ich fand sie aber klar besser als die genannten "schwachen" Beispiele. :-)
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