Keine Sorge! Dieser Beitrag enthält KEINE inhaltlichen Spoiler zu Toy Story 3. Niemand, der irgendeinen Trailer zum Film sah oder auch nur Toy Story 2 gesehen hat und ein bisschen Grips in der Kartoffel hat, wird in diesem Artikel irgendetwas finden, dass ihm den Überraschungseffekt der Handlung von Toy Story 3 nehmen könnte.
Wer sich aber von der Verwendung eines stilistischen Mittels in den ersten zehn Minuten überraschen lassen möchte, sollte sich diesen Artikel vielleicht trotzdem aufbewahren, bis er Toy Story 3 sah.
Wer sich aber von der Verwendung eines stilistischen Mittels in den ersten zehn Minuten überraschen lassen möchte, sollte sich diesen Artikel vielleicht trotzdem aufbewahren, bis er Toy Story 3 sah.
Synchronisationen dienen dazu, einen fremdsprachigen Film einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Sie sind also vornehmlich ein wirtschaftliches Mittel. Dennoch sind sie eine Kunstform für sich. Nicht nur, weil die Sprecher (von Schreckenssynchros abgesehen) mit ihrer Stimme schauspielern müssen und die Übersetzer mitunter sehr kreativ sein müssen, um eine Filmskript sinngemäß und lippensynchron in eine andere Sprache zu übertragen. In manchen Synchronisationen werden künstlerische Entscheidungen getätigt, die dem Regisseur des Films in dieser Form nicht begegnen. In Toy Story 3 begegnet dem geneigten und aufmerksamen Kinogänger ein besonders reizvolles Beispiel für solche künstlerischen Überlegungen, die es ermöglichen dem Film ein weiteres, durchdachtes Element hinzuzufügen, ohne die Intention hinter dem eigentlichen Werk zu verfälschen.
Bei Filmlokalisationen, insbesondere denen von Disneyfilmen, stellt sich nämlich die Frage, ob ein während des Films zu hörender, extra für diese Produktion geschriebener Song übersetzt werden soll oder man ihn besser im Original belässt. Das klingt zunächst nicht nach einer künstlerisch tragenden Entscheidung, zumal Disney bei seinen Animationsfilmen üblicherweise alles ohne zu zögern übersetzt. Die wirkliche Tragweite dieser Überlegung eröffnet sich einem erst, wenn man an Fälle zurückdenkt, in denen Disney Deutschland das zuständige Synchronstudio mit dem Verzicht auf eine Übersetzung davonfahren ließ. Im Animationsbereich sind diese äußerst rar gesät, jedoch gerade deshalb umso erinnerungswürdiger. In Der Schatzplanet beließ man John Rzezniks I'm still here in englischer Sprache, statt das Lied zu übersetzen. Diese Wahl lässt sich wohl kaum mit Rzezniks Prominenz in Deutschland begründen, die dem für die Synchronisation verantwortlichen eventuell wichtiger war als die absolut unproblematische Verständlichkeit des Songs. Viel mehr unterstützte Disneys deutsche Dependance somit eine stilistische Entscheidung der Regisseure John Musker und Ron Clements, die mit I'm still here einen sehr kontemporär klingenden Alternative-Rock-Song in ihren Film verwendet haben, dessen Stil und Einsatz mehr an einen Realfilm erinnert, als an die klassische Disney-Formel für Zeichentrickfilme. Dieser Eindruck wird in der deutschen Synchronisation gewahrt, indem man das Lied im Original belässt, und nicht wie bei typischeren Disneyproduktionen eindeutscht. Selbst bei Tarzan, wo die Lieder vornehmlich aus dem Off stammten, griff man auf einen deutsch singenden Phil Collins zurück, statt sie im Original zu belassen.
Bei Pixarfilmen fuhr man bislang eine etwas komplexere, aber noch immer nachvollziehbare Politik bezüglich der Eindeutschung von Liedern: Lieder, die ausschließlich im Abspann vorkommen, werden im Original belassen (Das große Krabbeln, Findet Nemo, WALL•E; der Gassenhauer Leg' das Ding sofort zurück, sonst kracht es! aus Die Monster AG kommt bekanntermaßen bereits im Film vor), Lieder im laufenden Film werden übersetzt (Toy Story, Toy Story 2, Cars und gewissermaßen Die Monster AG), es sei denn sie sind nicht einschneidend handlungsrelevant, sondern sollen ausschließlich eine gewisse Stimmung erzeugen. Dies trifft auf Le Festine in Ratatouille sowie einen Song aus Toy Story 3 zu, da diese bereits im englischen Original nicht in der Muttersprache des Zielpublikums zu hören sind, sowie auf den extra für den Film geschriebenen Real Gone sowie alle zwecks der Authentizität gewählten bereits existierenden Songs aus Cars zu. Zugegeben kompliziert, aber doch in sich schlüssig.
Sehr früh in Toy Story 3 begegnet uns allerdings eine einschneidende Entscheidung des Synchronstudios, die mir nach meiner Erstsichtung der deutschen Fassung zu denken gab. Zunächst war ich perplex und vermutete einen Traditionsbruch: Die zu Beginn des Films gespielte Reprise von Du hast'n Freund in mir ist nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch! Zunächst fand ich das schade, da mir Klaus Lages Version besser gefällt, als die des Komponisten Randy Newman, aber dann habe ich etwas intensiver darüber nachgedacht. Mittlerweile finde ich es eine wirklich starke Entscheidung, die aufzeigt, dass man bei der Lokalisierung mitgedacht hat und einen im Sinne des Regisseurs Lee Unkrich liegenden künstlerischen Eingriff vornahm.
Dadurch, dass Du hast 'nen Freund in mir in der deutschen Lokalisierung von Toy Story 3 nicht mehr in der Muttersprache des anvisierten Publikums zu hören ist, unterstreicht der Synchronregisseur mit Lee Unkrich in dieser Form fremden Mitteln die im Film thematisierte, entstehende Distanz zwischen Andy, seinen Spielzeugen (insbesondere Woody) und den gemeinsamen Erinnerungen. Durch den Sprachwechsel wird die im Laufe der Toy Story-Saga gewandelte Verwendung des Songs erst richtig bewusst. Im ersten Teil ist es noch eine von Woody an seinen Besitzer Andy gerichtete, ewige Freundschaftserklärung. Es ist nicht Woody, der dieses Lied singt, aber Randy Newman beziehungsweise Klaus Lage fungiert in Toy Story als das Sprachrohr derSpielzeuge. Er spricht aus ihrer Position, verinnerlicht deren Gefühle und teilt sie gesanglich dem Publikum mit. Somit unterscheidet sich der Gesang in Toy Story beispielsweise vom Off-Gesang zu Beginn von Der König der Löwen: Der ewige Kreis wird nicht aus der Perspektive einer spezifischen Figur gesungen, es ist eine unbestimmte, über dem Geschehen stehende Erzählinstanz, die dieses Lied darbietet.
Lage und Newman dagegen übernehmen für Woody das Singen. Es ist nicht bloß eine gegen die Disney-Musicalformel gerichtete Idde Pixars, die Lieder aus dem Off einzuspielen, denn dadurch wird auch den handlungsimmanenten Spielzeuggesetzen Rechnung getragen. Woody kann nicht aktiv mit Andy interagieren, und so muss er seine Gefühle für ihn innerlich verschlossen ausleben. Woodys interner Monolog wird als Lied umgeformt dem Zuschauer vermittelt. Diese in den ersten Sekunden des Films eingeführte Vorgehensweise wird fortgesetzt, wenn Woody perplex und entsetzt Buzz' Aufstieg zu Andys neuem Liebling und dem Star im Kinderzimmer mitansehen muss und wenn ein desillusionierter, flugunfähiger Buzz erkennen muss, dass er kein Space Ranger, sondern bloß ein Plastikspielzeug ist. Dieses Lied gehört für mich letztlich zu den größten Schwachpunkten der ursprünglichen Spielzeuggeschichte, da die Musik hier die Worte einsetzt, die Buzz aufgrund seiner Sprachlosigkeit nicht finden kann. Im Falle Woodys drückten die Lieder Woodys bewusste Gefühle aus, die er nicht an jemanden adressieren kann. Buzz hingegen weiß überhaupt nicht wie ihm geschieht und so fände ich diesen Filmmoment, in dem Buzz zu Boden stürzt stumm deutlich beeindruckender.
Auch in Toy Story 2 drückt ein Lied aus dem Off die Gefühle einer Figur aus, und erneut kommentiert das Lied nicht bloß das gezeigte Geschehen, es erzählt aus dem Blickwinkel Jesses die Geschichte einer verblühten Liebe zwischen einem Spielzeug und seiner Besitzerin. Zum Schluss von Toy Story 2 wird dagegen erstmals von einer Figur ein Lied angestimmt: Wheezy stimmt eine swingende Neufassung von Du hast 'nen Freund in mir an, welches so, wie John Lasseter es in Szene setzt, jetzt nicht weiter auf die Freundschaft Andys zu Woody bezogen ist, sondern die enge Bande zwischen Woody und Buzz thematisiert. In Toy Story 3 schließlich endet Andys Kindheit. You've Got a Friend in me spielt, leicht verzerrt, über einer Montage von Familienvideos, in denen Andy begeistert mit seinen Spielsachen tobt. Abrupt endet das Lied, und wir blicken auf eine schwarze Leinwand. Mit dem Ende der Montage ist der Zeitsprung vollkommen und Andy bereit für das College.
Ganz abgesehen davon, dass durch die Sprachhürde (und sei es nur Englisch) eine weniger starke Bindung zwischen Text und Publikum erzeugt wird, entsteht die Distanz auch durch die Filmgrammatik. Sie suggeriert unmissverständlich, dass es nicht weiter Woody ist, der dieses Lied an Andy adressiert. You've Got a Friend in Me dient als inszenatorischer, nostalgisch verklärtter Kommentar zu den grieslig aufgenommenen Momente eines freudestrahlend spielenden Andys. Und dadurch, dass man auf die Verwendung der deutschen Übersetzung verzichtete, rückt man das Lied in der Synchronfassung auch wieder näher an eben solche Songmomente, wie man sie aus Realfilmen kennt. Ein Lied wird eingespielt, da es zur Filmsequenz passt und eine emotionale Wirkung haben soll, aber nicht als Ausdrucksmittel der Figuren. Aus dem Semi-Musicalmoment wird ein distanzierteres Stilmittel des Filmemachens.
Vielleicht aber unterstelle ich dem Synchronteam zu komplexe Gedankengänge. Eventuell rührt die Entscheidung woanders her. Das Lied wird nämlich abrupt bei der Textstelle "our friendship will never die" abgebrochen, wobei Newmans voluminös gequäktes "die" geisterhaft nachhallt. Ein effektives Mittel, um die reifere Stimmung der nachfolgenden Geschichte aufzubereiten. Klaus Lage sänge in diesen Sekunden währenddessen "uns're Freundschaft wird niemals untergeh'n", was weniger wirkungsvoll wäre.
Aber egal, weshalb das Lied im Original belassen wurde: Es ist eine intelligente, den Film für uns genau hinschauenden Liebhaber bereichernde Entscheidung, die sich den Mitteln der Synchronisation bedient und die Entwicklung der Toy Story-Filme eindrucksvoll unterstreicht.
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