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Platz 34: Ein schöner Ferientag ("Jolly Holiday") aus Mary Poppins
Musik & Text von Robert B. & Richard M. Sherman (dt. Fassung von Eberhard Cronshagen)
Während der Vorbereitung von Musikalisches Immergrün bemerkte ich erstmals, welche Schwäche ich für (disneyfizierte) Musik der viktorianischen Jahrhundertwende habe. Ob Er ist verliebt in Daisy (Platz 246), Optimistisch sein (Platz 109), Wir bummeln heute gemütlich zur Main Street U.S.A. (Platz 66) oder eben dieses Lied, bei dessen Gestaltung sich die Shermans am innigsten mit dem Stil solcher Musik auseinandergesetzt haben, ich mag diesen einfachen und wirkungsvollen Klang. Für Ein schöner Ferientag nahmen die Shermans die Haltung viktorianischer Varietékompositionen und gaben ihr eine einvernehmende Prise des Disneyzaubers auf den Weg. Es zaubert einfach ein Lächeln auf mein Gesicht und erfüllt mich mit Glückseligkeit. Die meisten anderen Gute-Laune-Songs in den höheren Sphären meiner Hitliste sind musikalische Overstatements. Ein schöner Ferientag verfügt über eine gleichermaßen starke Ausstrahlung, verzichtet dabei aber auf fetzende Gitarren, überbetonte Bläser und atemberaubendes Tempo. Stattdessen ist es ein wundervolles, leichtgängiges Lied zu einer unbeschwerten Filmsequenz, welche in dieser Form ausstirbt. Bert und Marry stollen gemütlich einen beschaulichen Park entlang und genießen unbesorgt diese Idylle, während zwischen ihnen eine ganz und gar unschuldige, gutherzge Romantik knistert. Ein schwelgerisches, angenehmes Lied, das nostalgisch in den herrlichsten Farben das Bild eines sorglosen Lebens zeichnet. Im Zusammenspiel mit Irwin Costals zurückhaltender, warmherzigen Orchestrierung, durch die sich die auf über fast neun Minuten zersplitterten Verse mittels der sanftmütigen Hintergrundmusik wie aus einem Guss zu einer durchgehenden Einheit verbinden, der fabelhaften Chemie zwischen Julie Andrews und Dick Van Dyke und den tollen Leistungen der Disneyzeichner ergibt sich so ein magischer Filmmoment, ganz ohne Aufsehen erregende Ingredienzien. Das Lied ist nicht so prägnant wie Supercalifragilisticexpialigetisch (Platz 71) und nicht so mitnehmend wie Ein Löffelchen voll Zucker (Platz 60), der Sequenz fehlt der offensivere Humor von Ich lach so gern (Platz 280) oder das rührende Gefühl von Fütter die Vögel (Platz 46), und dennoch übertrumpft sie für mich die genannten Stationen des großartigen Disneywerkes. Manchmal geht's auch ganz simpel und unspektakulär. Insbesondere, wenn Lieder so sehr von innen heraus strahlen, wie dieses.
Platz 33: Gott, deine Kinder ("God Help the Outcast") aus Der Glöckner von Notre Dame
Musik von Alan Menken, Text von Stephen Schwartz (dt. Fassung von Frank Lenart)
Während Mythologie den Disney-Studios öfters als Fundgrube dient, werden die großen Weltreligionen in Disneyfilmen so gut es geht ausgeklammert, obwohl in vielen von ihnen solche Werte wie Toleranz und Nächstenliebe vermittelt werden. Dass die Hauptfigur in Der glücklichste Millionär eine Box- und Bibel-Schule leitet oder der Sultan aus Aladdin in einem Moment des Erstaunens Allah erwähnt gehört bereits zu den auffälligeren Beispielen, in denen Religionen zumindest referenziert werden. Die Anerkennung der Existenz von Religionen ist eine Sache, ihre Lehren aufzugreifen eine andere: Christliche Symbolik wird üblicherweise weitestgehend vermieden, sofern man nicht gerade einen Film über den Esel von Bethlehem produziert. Trotzdem fließen, mal mehr mal weniger subtil, religiöse Elemente in "normale" Disneyfilme ein, wie etwa im Lied Fütter die Vögel (Platz 46) aus Mary Poppins. Mehr als dreißig Jahre später fand ein Lied mit noch religöserer Thematik Einzug in den Disneykanon, was bei der Adaption von Victor Hugos Der Glöckner von Notre Dame nahezu unvermeidlich ist, denn selbst wenn man aus dem Archidiakon Frollo einen Richter macht, so spielt ein Großteil der Handlung noch immer in einer Kathedrale.
Ursprünglich war für die Zigeunerin Esmeralda eine Ballade namens Someday vorgesehen, die allerdings aus dem Film gestrichen und in den Abspann verbannt wurde. Eine glückliche Entscheidung, denn obwohl ich Someday als in den Score eingeflossenes Leitthema für die Beziehung zwischen Quasimodo und Esmeralda akzeptieren kann, finde ich es als Lied sterbenslangweilig und störe mich richtig daran, dass es für das Bühnenstück wieder in die Handlung integriert wurde. Die für den Film getroffene Ersatzwahl für Someday ist hingegen ein eigenes, kleines Meisterwerk für sich: Die zu ihrem Schutz im Notre Dame gefangene Zigeunerin Esmeralda streift durch die Kathedrale und fragt Gott laut, ob er eines ihrer Gebete erhöre, obwohl sie eine Ausgestoßene ist. In der Annahme, dass Gott darüber hinweg sehe, da er (beziehungsweise sein Sohn) selbst einmal verstoßen wurde, stimmt sie ihr Klagelied an. Doch statt, wie die Regisseure Kirk Wise und Gary Trousdale in der Hinleitung vermuten lassen, für ihr eigenes Wohl zu beten, bittet Esmeralda um Fürsorge und Gnade für all jene, denen es schlechter als ihr ergeht. Währenddessen beten einige andere Besucher Notre Dames um mehr Geld, Glück und Ehre. Dadurch zeigt sich, dass Esmeralda gewissermaßen ein besserer Christ ist, als diejenigen, die aus egoistischen Motiven in die Kathedrale gezogen sind. Die Aussage dessen ist, dass nicht das Bekenntnis zu einer spezifischen Religion auf dem Papier zählt, sondern dass man sein Herz am richtigen Fleck trägt. Durch den unaufdringlichen Text von Stephen Schwartz, die zurückhaltende (und dennoch symbolträchtige) Regieführung dieser Filmsequenz und die einfühlsame Melodie Alan Menkens ist Gott, deine Kinder ein nahegehender und ruhiger Filmmoment, der trotz seiner deutlichen Aussprache für Selbstlosigkeit überhaupt nicht plakativ moralisierend wirkt. Das Lied, das als Instrumentalstück als Esmeraldas Erkennungsmelodie dient, wurde wie der Großteil der Songs von Michael Kunze für die Bühne komplett neu übersetzt. Beide Übersetzungen sind gut und völlig legitim, wobei ich der Filmversion den Vorzug gebe, da sich inhaltlich bei beiden nicht viel ändert, die Filmfassung allerdings von der hervorragenden Ute Lemper gesungen wurde. Aber auch die Coverversionen der Kelly Family sind wirklich gelungen.
Platz 32: Ein Mensch zu sein bzw. Arielles Traum ("Part of Your World") aus Arielle, die Meerjungfrau
Musik von Alan Menken, Text von Howard Ashman (1. dt. Synchronfassung von Klaus-Peter Bauer, 2. dt. Synchronfassung von Frank Lenart)
Ich erwähne ja im Rahmen dieser Hitliste gerne, dass die Academy of Motion Picture Arts & Sciences und ich einen leicht differenzierten Musikgeschmack haben. Dass mein favorisierter Filmsong des Jahres nominiert wird, kommt häufig vor, dass mein Liebling den Goldjungen nach Hause nimmt ist hingegen die Ausnahme von der Regel. In einem ganz amüsanten Twist trifft dies auch auf Arielle, die Meerjungfrau zu. Disneys Rückkehr zum Märchenmusical wurde mit gleich zwei Nominierungen für den Song-Oscar geehrt, wobei die sonst sehr balladenfreudige Academy beide Sebastian-Lieder nominierte, während die mittlerweile zum tief verehrten Fanfavoriten aufgestiegene "Ich will"-Ballade Arielles komplett leer ausging. Da mag ich in einem Disney-Zeichentrickfilm die schmachtende Prinzessinnenarie mal am meisten, und selbst dann erhält mein Lieblingslied keine der großen Auszeichnungen. Denn auch der Grammy und der Golden Globe gingen zu Händen der Reggae-Krabbe. Naja, ich kann ihr nicht böse sein. Sie hat's verdient. Dass ich Arielles Traum vielen anderen Märchenheldinnen-Schmachtereien vorziehe, ist zu einem gewissen Grad seinem Kontext und dem daraus bedingten Inhalt des Songs geschuldet: Anders als die meisten Prinzessinnen-Balladen kommt die schmachtende Erklärung dessen, was ihr im Leben fehlt nicht plötzlich aus dem Nirgendwo, weil das Drehbuch nach einem "Ich will"-Song verlangt. Die emotionale Verbalisierung Arielles sehnlichster Wünsche wird im Film ausführlich vorbereitet, das Lied ist integraler Teil der Handlung, da sich ihr Wunsch, aus ihrer Welt zu fliehen durch die jüngsten Konfrontationen mit ihrem Vater immer dringlicher in ihr aufstaut. Auch das gefällt mir so sehr an Arielles Traum: Sie träumt nicht kopflos von einem ungesehenen / im Traum gesehen / nur einmal gesehenen Prinzen, sondern von einem besseren Leben, sie hat Sehnsucht danach, ihre Wissbegierde über die Menschen befriedigen und ihre sie unglücklich machende Existenz zurücklassen zu können. Ja, sie hat sich auf einen Blick in Prinz Eric verliebt, jedoch ist dies weder die Motivation für Arielles Wunsch (eher umgekehrt), noch der Anlass für dieses Lied. Es ist thematisch reifer und fassbarer, als die simpleren Herzensbegierden früherer Disney-Prinzessinnen, was sich nicht nur im Text, sondern auch in der sehnsuchtsvolleren, komplexeren Komposition niederschlägt. Umso dankbarer kann man sein, dass wir diese Szene in ihrer endgültigen Gestalt überhaupt zu Gesicht bekamen. Nicht nur, dass es mehrere Anläufe brauchte, um den ikonischen Moment in dem Arielle sehnsüchtigund mit Fernweh erfüllt ihre Hand durch die obere Öffnung ihrer Grotte streckt annehmbar zu animieren (fast hätte man sie wegen der Zeichenprobleme gestrichen), Jeffrey Katzenberg wollte den gesamten Song aus dem Film entfernen, da er der Meinung war, es sei zu langweilig für die jüngeren Zuschauer. Zum Glück lehnten sich die Filmemacher erfolgreich gegen ihren Vorgesetzten auf und konnten den Song retten, der einige Parallelen zu Somewhere That's Green aus Ashmans und Menkens Der kleine Horrorladen aufweist. Das Duo erkannte diese Ähnlichkeiten und gab Arielles Traum so den neckischen Spitznamen Somewhere That's Dry.
Wie es für ikonische Disneylieder typisch ist, wurde Arielles Traum bereits von zahllosen Künstlern gecovert, wobei mich die wenigsten davon überzeugen können, da man diesem Lied in jeder Note und jeder Phrasierung die Broadwaywurzeln seiner Schöpfer anmerkt, weshalb es sich für mich befremdlich anhört, wenn es nicht von einem klassischen (Film-)Orchester begleitet wird. Deshalb akzeptiere ich, vornehmlich zwecks seiner Kuriosität, das Cover von Captain Bogg & Salty, einer Piratenband, die Part of Your World als Nixen-Schlaflied reinterpretiert. Anderweitig respektiere ich aus der Cover-Ecke bloß noch das, was der Pixar-Angestellte Nick Pitera in seinem Cover wundersames mit seiner Stimme bewirkt. Gesanglich am besten bleibt aber Ute Lemper, deren Version des Songs ich ihrer großartigen Leistung zum Trotz nicht angemessen verehren kann, da mich die Freiheiten der ersten deutschen Übersetzung zu sehr stören. Die zweite deutsche Fassung ist nicht ganz so gut gesungen, aber besser übersetzt. Meine Lieblingsversion des Liedes ist deshalb Jodi Bensons Original aus dem Film, wobei ich Part of Your World als symphonisches Instrumentalstück fast genauso gern habe.
Platz 31: Götter der Ewigkeit ("Great Spirits") aus Bärenbrüder
Musik und Text von Phil Collins (dt. Fassung von Leslie Mandoki & Matthias Monka)
Phil Collins war ein wahres Gottesgeschenk für die späten Jahre des Disney-Zeichentrickfilms, bevor er mit Die Kühe sind los! zu Grabe getragen wurde (bloß um mit Küss den Frosch wiederbelebt zu werden). Der Drummer und spätere Sänger von Genesis brachte musikalische Abwechslung in den Disneykanon, nachdem sich die Broadwaymusicalformel und so auch Alan Menkens Mitwirken vorerst abgenutzt hatten. Zudem waren die Entscheidungen, auf welche Projekte man Phil Collins loslässt, perfekt getroffen. Phil Collins passte zum Tarzan-Stoff wie die Faust auf's Auge, und auch wenn er sich für die vorzeitliche Inuitgeschichte Bärenbrüder etwas weniger nahe lag, trifft Collins' rockig-einfühlsame Popmusik sehr gut zur Stimmung dieser Story. Und dies wird bereits zu Beginn des Films offensichtlich, wenn im Grunde genommen Phil Collins' Antwort auf Der ewige Kreis ertönt. Das aus dem Off gesungene Lied Götter der Ewigkeit führt ebenso wie der legendäre Eröffnungssong von Der König der Löwen in die Mythologie und Philosophie des Filmuniversums ein, während wunderschöne Landschaftsaufnahmen die Schauplätze der kommenden Minuten imponierend vorstellen. Wie ich finde, ist es die Filmsequenz zu Götter der Ewigkeit, die bei diesem Vergleich stärker abfällt, als der Song. Obwohl die Regisseure Robert Walker und Aaron Blaise in Bärenbrüder großes Geschick im Umgang mit den starken Emotionen in ihrem Film bewiesen und einige faszinierende Momente schufen, ist ihre Einführung etwas lascher ausgefallen. Die gezeigten Landschaftsbilder sind beeindruckend, wie sie aneinandergereit werden hat allerdings nichts von der Majestät der ersten Minuten von Der König der Löwen, während Phil Collins dramatische, epische Komposition durchaus ähnlich zu packen weiß, ohne wie ein Abklatsch rüberzukommen. Im Original wurde Götter der Ewigkeit von Tina Turner gesungen, die für Disney bereits einen anderen Der ewige Kreis-Ersatz aufnahm. All meinem Respekt für Turner zum Trotz muss ich aber sagen, dass sie nicht die optimale Wahl ist, da ihre sehr markante, rauchige Stimme mit den gelegentlichen Kieksern nach oben nicht zu Collins' Komposition passt, jedenfalls meiner Meinung nach. Deshalb bevorzuge ich auf Englisch Phil Collins' eigene Interpretation seines Songs sowie die deutsche Filmfassung dieses Liedes, obwohl die Sängerin neben Tina Turner ein winzig kleines Licht ist: Gracia Baur, ihres Zeichens Fünftplatzierte bei Deutschland sucht den Superstar sowie Letztplatzierte beim Eurovision Song Contest 2005, ist nicht gerade eine sonderlich erfolgreiche Interpretin und sie hat eine völlig andere Stimme als Tina Turner. Aber sie verleiht der deutschen Fassung von Götter der Ewigkeit die richtige Mischung zwischen epischer Kälte und erzählerischer Wärme, so dass Disneys letztes guter abendfüllender Zeichentrickfilm vor Anbruch der CGI-Ära gebührend beginnt.
1 Kommentare:
Ich stelle fest, ich sollte mir langsam mal "Bärenbrüder" anschaffen, wenn der schon so schöne Musik hat... *g*
Und zwei wikrlich schöne Balladen recht weit oben (und das bei dir *g*). Und was für ein Zufall, dass die Lemper dran beteiligt ist. ;) Nee nee, die Frau hats wirklich einfach drauf.
Jodi Benson ist auch absolut fantastisch - ich kan mich nicht so wirklich entscheiden, welche "Arielles Traum"-version ich lieber mag, die von Benson oder von Lemper.
Oh, und Respekt für die Kelly Family! Deren version von "Gott, deine Kinder" hat mich damals sehr positiv überrascht.
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