Ryan Bingham weiß, wie man sich als Flugreisender zu verhalten hat. Der ideale Koffer ist genauso wichtig, wie eine selbstmitgebrachte Nackenstütze in die Tonne gehört. Rentner gilt es in Warteschlangen zu vermeiden, Asiaten hingegen sollte man sich anschließen.
Ryan Bingham weiß, wie man Leute zu feuern hat. Man sollte sich als der Überbringer dieser schlechten Nachricht niemals entschuldigen oder betonen, wie schwer es einem fällt, diese Botschaft mitzuteilen. Man sollte sich als derjenige positionieren, der einen Prozess in Gang setzt, der viele neue Möglichkeiten eröffnet. Und selbst wenn man als professioneller Kündiger sein Geld mit dem Leid anderer Leute verdient, hat man eine gewisse Würde zu wahren. Es kann nie schaden, sich vorher mit dem Lebenslauf der Personen zu beschäftigen, die man kündigt. Und persönlich anwesend zu sein hält wenigstens den Anschein von Herzensgüte aufrecht. Ein Geschäftsmodell, das man nicht digitalisieren sollte.
Ryan Bingham weiß, wie man den Rucksack zum Mittelpunkt einer ganzen Lebensphilosophie machen kann. Menschen packen ihre Bindungen in einen Rucksack, den es zu tragen gilt. Bindungen an Gegenstände. Fotos, Souvenirs, die heimelige Wohnung, das eigene Auto. Bindungen an Bekannte, Nachbarn, Freunde, die Familie. Mit jedem Gepäckstück wird der Rucksack schwerer. Je schwerer der Rucksack wird, desto schwerer fällt es einem sich zu bewegen. Bindungen schnüren einem die Luft ab, schränken die Bewegungsfreiheit ein.
Ryan Bingham weiß nicht, wie Normalität und Alltäglichkeit zu schätzen sind. Er verkriecht sich lieber in die Welt des künstlichen Lichts, der kratzigen Klimaanlagenluft und beruflich vorgeschriebener Höflichkeiten. Er möchte nichtmal für die Hochzeit seiner Schwester Fotos knipsen. Geschweige denn jemals heiraten oder Kinder kriegen.
Jason Reitmans Up in the Air ist ein Film über einen Mann, dessen Lebensziel es ist eine bestimmte Summe an Meilen zu fliegen, ein Film über jemanden, dessen Beruf es ist Leuten zu kündigen, ein Film über jemanden, dessen Lebensstil vom digitalen Zeitalter bedroht wird und ein Film über eines einzelgängerischen Nomaden des 21. Jahrhunderts, der anfängt Sympathie für seine Familie und ihm ähnlich gesinnte Leute zu entwickeln. Und wie bei einem Mosaik ergeben all diese ansehnlichen Steinchen ein wunderschönes Gesamtbild.
Dass Reitmans liebevoll produzierte und rund inszenierte Tragikomödie den Nerv der Zeit trifft, ist ein glücklicher Umstand. Ursprünglich wollte der Sohn von Ghostbusters-Regisseur Ivan Reitman den Film noch vor seinem hervorragenden, bitterbösen und zugleich fluffig-warmen Regiedebüt Thank You for Smoking verwirklichen, aber dann kam es nunmal anders. Jetzt, nach dem Oscar-nominierten Juno, sah er die Zeit gekommen. Der Einbruch der Weltwirtschaft änderte den Ton seines Films und ließ ihn mitten ins Herz eines veränderten publikums treffen.
Das melancholisch-launige Charakterstück Up in the Air profitiert zwar von der leichtfüßigen, die bittre Ironie interessant verpackenden Regie, lebt jedoch vornehmlich von seinen grandiosen Dialogen und dem Spiel von George Clooney, der als Schauspieler stets so wirkt, als würde er eigentlich überhaupt nichts machen und keinerlei Mühen eingehen. Manchmal tut Clooney tatsächlich nichts (Batman & Robin), manchmal ist gerade dies seine herausragende Leistung. Up in the Air ist ein Paradebeispiel für letzteres, und so ensteht für Clooneys Figur Ryan Bingham jede Menge Mitgefühl, und das, obwohl Up in the Air den Zuschauer eher in eine beobachtende Position versetzt, statt ihn in seine Geschichte zu involvieren.
Unterstützt wird Clooney von der niedlichen und wunderbar zwischen bissiger Neuanfängerin, verletztem Mädchen und engagierter Mitspielerin changierenden Anna Kendrick, die völlig zu Recht für einen Oscar nominiert wurde, und Vera Farmiga, die als Ryans weibliches Pendant überzeugt, von den zentralen Personen des Films allerdings am wenigsten zu tun hat und meinem Gefühl nach wohl nur aus reiner Begeisterung für den Film glatt mitnominiert wurde.
Weitere Schauspieler wie Zack Galifianakis (Hangover) und J. K. Simmons (Spider-Man 1 - 3) mischen sich unter realen Menschen, die frisch gekündigt wurden, und mischen die wahren Statements über Kündigungen komödiantisch und auch rührend auf.
Up in the Air ist eine sehr gelungene Tragikomödie, die trotz ein paar mäßiger Längen unserer Zeit aus der Seele spricht und jede Menge Melancholie mit einer wolkig-fluffigen Grundnote in den Himmel emporhebt.
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1 Kommentare:
*Daumen hoch*
Guter Film, aber nix für Zwölfjährige. *g*
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