Trittsichere Kenntnisse des Alten Testaments gehören in unserer Gesellschaft nicht mehr wirklich zum Grundstock der Allgemeinbildung. So lange man weiß wer Adam, Eva, Moses und Noah waren, ist man mehr als ausreichend für den Alltag gewappnet.
Da die Geschichte von Hiob, dem gläubigen Gutmenschen, der zum Spielball einer Wette zwischen Gott und dem Teufel wird und dem als Teil dieser Wette zahlreiche schlechte Ereignisse widerfahren um zu prüfen, ob er auch in schlechten Zeiten ein guter sowie gottesgläubiger Mensch bleibt, zu meinen Abiturthemen gehörte, habe ich noch weiteres alttestamentarisches Wissen sehr gut griffbereit, was zum vollen Filmgenuss der neusten Regiearbeit von Joel und Ethan Coen beinahe schon elementar ist. Denn in A Serious Man bedienen sie sich intensivst an der Hiobsgeschichte und verlegen sie in ihrem bislang persönlichsten Film in das Milieu, in dem sie aufwuchsen: Einer akademischen Familie in einer kleinbürgerlichen, jüdischen Gesellschaft Minnesotas.
Die Hauptfigur dieser 1967 spielenden, staubtrockenen und rabenschwarzen Komödie ist der auf seine Verbeamtung an seiner Universität wartende Physikdozent Larry Gopnik (Theaterdarsteller Michael Stuhlbarg). Er führt ein unaufregendes, ereignisloses Leben und seine Familie hat lediglich mit solchen Kleinigkeiten wie einem stets besetzten Badezimmer zu kämpfen. Viele Filmcharaktere würden darum kämpfen, aus diesem Leben auszubrechen. Nicht Larry Gopnik. Er möchte nichts weiteres, als dass es ewig so weiter geht. Da hat er die Rechnung allerdings nicht mit seinen schadenfrohen, ja geradezu diabolischen Schöpfern, den Coen-Brüdern gemacht. Innerhalb kürzester Zeit ereilen Larry mehrere Schicksalsschläge. Seine Frau beginnt eine Affäre mit dem unausstehlich freundlichen Schmierlappen Sy Ableman und fordert die Scheidung, der Nachbar will auf Larrys Grund und Boden anbauen, anonyme Briefe diffamieren ihn bei seinem Arbeitgeber und gefährden somit seine Beförderung, ein koreanischer Student besticht ihn um eine bessere Note zu erhalten und Larrys Bruder Arthur (Scrubs-Hypochonder Richard Kind) geht nicht bloß der Familie auf die Nerven, sondern rasselt auch mit dem Gesetz zusammen.
Michael Stuhlbarg legt Larry Gopnik nicht als das dusselige Opferlamm dar, sondern stellt einen Mann mit Rückgrat dar, der nicht fassen kann, wie ihm widerfährt und sich nach kurzer Sprachlosigkeit aufzurappeln versucht. Als Physikprofessor und gläubiger Jude sucht er das System hinter seinem Unglück und forscht nach dem verborgenen Sinn. Larry hofft auf ein Zeichen Gottes und lässt sich von den Rabbis seiner Gemeinde beratschlagen. Da wir uns in einem Coen-Film befinden, ist es wohl nicht zu viel verraten, wenn ich sage, dass die Rabbis nicht gerade mit einer allumfassenden, konkreten Antwort aufwarten können. Stattdessen verrennen sie sich in schräge, spontan zusammengeklöppelte Allegorien oder ausschweifende Anekdoten, die sie nicht wirklich hinterfragt haben.
A Serious Man ist selbst für einen Coen-Film ungewöhnlich sadistisch und staubtrocken. Schlagkräftige Pointen, die einen lauthals auflachen lassen sind äußerst rar gesät und wer Empathie für Larry Gopnik mit in den Kinosaal bringt, der wird sich schnell unwohl fühlen, denn die bitterbösen Coen-Brüder haben keinerlei Mitgefühl für ihren Leinwandhelden. Seinen stillen Witz gewinnt der Film aus Running Gags, die so lange wiederholt werden bis sie einen zum Lachen bringen, und aus der alltäglichen Absurdität des gehässigen Unglücks, das Larry Gopnik heimsucht. Für viele Kinozuschauer wird dies sicherlich langweilig sein, wer aber genug Geduld und die hierfür nötigen humoristischen Neigungen mitbringt, wird bei all dieser bitterbösen Genialität aus dem Schmunzeln nicht mehr hinauskommen.
Besonders muss noch die Kameraarbeit von Coen-Dauerkollaborateur Roger Deakins herausgestellt werden, der den zerbrechenden mittelständischen Alltag aus unwirklichen Winkeln in starren Bildern einfängt und zusammen mit der Musik von Carter Burwell eine horrorartige Grundstimmung erzeugt. Nicht zuletzt dadurch ist A Serious Man einer der schwierigeren Coens-Filme. Man muss schon stark für ihre Arbeitsweise sensibilisiert sein, um diese bitter gelaunte, absurd-kurzweilig verpackte Abhandlung religiöser und philosophischer Fragen genießen zu können. Und gerade mit dem Abschluss des Films legen sie selbst einigen geneigten Zuschauern Steine in den Weg. Erst mit etwas Abstand konnte sich bei mir die volle Wirkung des selbst das Finale von No Country for Old Men in Dingen herrlicher Dreistigkeit und Konsequenz in den Schatten stellenden Schluss entfalten.
A Serious Man ist meiner Meinung nach nichts für Coen-Einsteiger oder Menschen, die für Filmprotagonisten automatisch mitfühlen. Wer aber bereits ein wenig vom Œuvre der Brüder gekostet hat und ein paar Brocken alttestamentarisches Grundwissen mitbringt, dürfte sich bei dieser äußerst anspruchsvollen und gehässigen schwarzen Komödie köstlich amüsieren. Es ist zwar meiner Meinung nach nicht ganz der große Wurf, den die meisten anderen Kritikern in ihm sehen, jedoch ein Film mit großem Nährwert, an dem man selbst lange nach dem Kinobesuch noch zehren kann.
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