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Disneylieder können zahlreiche Funktionen erfüllen. Manche Songs dienen vornehmlich zur Beschleunigung der Handlung, andere wiederum haben exakt den gegenteiligen Effekt und spielen einen kurzen Moment köstlich in die Länge, etwa indem sie eine neue Figur mehrere Minuten lang charakterisieren. Wieder andere etablieren die Grundstimmung eines ganzen Films oder der kommenden Szenen - oder sie konterkarieren überaus düstere oder heitere Sequenzen durch gekonnten Einsatz des Gegenteils. In wieder anderen Fällen dienen Lieder nur als Feinschliff oder Untermalung des großen Ganzes. Denn selbst in Disneyfilmen kommen hin und wieder die aus "normalen" Filmen bekannten "Was läuft denn gerade im Radio?"-Momente vor.
Nahezu disneyexklusiv sind dagegen die oftmals pathetisch-zuckrigen Paradensongs, die so fern jeglicher Subtilität und in einer Sarkasmus fremden Welt angesiedelt sind, dass sie wieder richtig schön sind. Ein Stück Kindheitsnaivität, verpackt in Esspapier. Mit Sahnehäubchen. Und Schokoguss. Auf einer Platte voller Liebesperlen. Die Aufgabe dieser Songs? Eigentlich genau das: Sie sollen die Disneylandbesucher noch stärker ins nicht nur aus Achterbahnen und Schlangestehen bestehende Erlebnis "Disney" einsaugen.
In diesem Block begegnet uns wieder einmal eine bunte Mischung aus Liedern mit den unterschiedlichsten Funktionen. Doch sie alle haben eins gemeinsam: Sie machen mir auch "einfach so" Spaß, außerhalb ihres eigentlichen (Funktions-)Kontextes.
Platz 183: Hör auf mich ("Trust in Me") aus Das Dschungelbuch
Musik und Text von Richard M. & Robert B. Sherman (dt. Fassung von Heinrich Riethmüller)
Um die von Walt Disney für zu trist gehaltene Handlung des Dschungelbuchs aufzulockern, verfassten die Sherman Brüder für manche eher ernstere Sequenzen sehr humorige Lieder. Unter anderem legten sie der Schlange Kaa ein indisch angehauchtes, hypnotisches Schlaflied in den Mund, welches dank Kaas ständigem Lispeln die eigentlich eher bedrohliche Handlung in einen spaßigen Moment verwandelt. Der Song ist allseits beliebt, obwohl der Protagonist des Films währenddessen beinahe von Kaa gefressen wird. Dafür legen Sterling Holloway im englischen Original und Erich Kestin in der beim Dschungelbuch durch die Bank hinweg der Urversion überlegenen deutschen Synchronfassung zuviel Witz in ihre Gesangsstimme.
Die Melodie von Hör auf mich zerrten die Shermans für Walt Disneys letzten Zeichentrickfilm übrigens aus ihrem Archiv. Eigentlich war sie für eine Gesangseinlage namens The Land of Sand in Mary Poppins gedacht, welche allerdings zusammen mit Bummeln wir doch (Platz 293) Platz für Ein schöner Ferientag machen musste. Was für eine glückliche, einflussreiche Entscheidung.
Platz 182: All Around The World aus Disneyland Park Paris
Musik von Vasile Sirli, Text von Jay Smith
Nach dem Jahreswechsel schlechthin (na, was habt ihr in der Nacht vom 31. Dezember 1999 auf den 1. Januar 2000 gemacht?) dauerte es nicht mehr lange, bis im Pariser Disneyland anlässlich des neuen Jahrtausends eine vollkommen neue Parade auf die Besucher losgelassen wurde. Die Wonderful World of Disney Parade, die in ihrer Inkarnation vor dem Jahr 2000 von Steamboat Willie an chronologisch quer durch das Filmschaffen Disneys führte, machte Platz für Disneys ImagiNations Parade, welche die Gäste mit sieben Hauptwagen und mehreren, kleineren Paradenwagen zwischendurch auf eine Weltreise mitnahm. Die imposanten Wagen mit den klassischen Disneycartoonlieblingen waren bis zu vier Stockwerke hoch und zelebrierten die vielfältigen Kulturen und Sehenswürdigkeiten unseres Globus. Auf jedem der großen Wagen stand ein Disneyheld für einen anderen Winkel dieser Welt Pate: Goofy, der in seiner späten Kinophase den US-amerikanischen Kleinbürger spielte, repräsentierte die USA, der heißblütige Donald führte durch das ihm bereits bestens bekannte Südamerika, Minnie Maus brachte uns Asien näher, Pluto verhedderte sich in europäischen Sehenswürdigkeiten, A- und B-Hörnchen versteckten sich in Afrika und Micky... Micky spielte den Paradenmeister und Weltenbummler.
Der dazugehörige Paradensong, einfallsreicherweise All Around The World betitelt, verzichtet auf eine musikalische Weltreise, dazu sind die Instrumentalmedleys der einzelnen Wagen zuständig, sondern haut den Parkbesuchern in bereits bekannter Manier disneyfizierten Schmalzpop mit Marschqualitäten um die Ohren. Dieser ist allerdings so kraftvoll und dank der voluminösen Stimme der Sängerin Tatjana Hancheroff wirklich einvernehmend. Hat etwas von einem besseren Charitysong.
Platz 181: Ich hab' ihn im Traum gesehen ("A Dream is a Wish your Heart makes") aus Cinderella
Musik und Text von Mack David, Jerry Livingston und Al Hoffman (dt. Fassung von Christine Lembach)
Wahrscheinlich hat Ich hab' ihn im Traum gesehen seinen Status als eine der Disneyhymnen schlechthin vornehmlich seiner Thematik zu verdanken. Mit der dazugehörigen Szene wird es jedenfalls kaum etwas zu tun haben, denn wie die frisch augewachte Cinderella ihren tierischen Freunden von ihrem Traumprinzen vorsingt gehört nicht gerade zu den ausgetüftelsten Sequenzen aus Disneys Zeichentrickfilm von 1950. Die Macht der Träume hingegen ist ein wiederkehrendes Thema im Disneykanon, was Cinderellas kleinen, gesanglichen Monolog näher an den Kern der wertvollen Disneymomente rückt. Was dem Lied aus dieser unscheinbaren Szene weiter zum Durchbruch verholfen haben dürfte, sind seine zahlreichen Neuaufnahmen, die von langweilig-schmalzig bis zu tausendmal besser als die Ursprungsfassung reichen. Ich hab' ihn im Traum gesehen gehört zu den Disneyliedern, welche ich lieber auf Englisch, als auf Deutsch höre und bei denen ich allerhand Coverversionen der Filmfassung vorziehe.
Zu den zahlreichen Künstlern, die sich an diesem Lied versuchten gehören Daniel Bedingfield (mit einer sehr hörenswerten Big-Band-Neuauflage), Diana Ross & the Surpremes, Michael Bolton, Nikki Blonsky, Hilary Duff, Ashley Brown, Bette Midler, Julie Andrews, Cher und der Disney Channel Circle of Stars (*yikes!*). In Disneyparks wurde der Song ebenfalls schon rauf und runter verarbeitet und instrumental eröffnete er als Teil eines großen Disneymedleys schon einige Inkranationen der Disney Anthology-TV-Show.
Platz 180: Paquamasoddy ("Passamashloddy") aus Elliot, das Schmunzelmonster
Music & Text von Al Kasha & Joel Hirschhorn (dt. Fassung von Heinrich Riethmüller)
Der betrügende Quacksalber Doktor Terminus fällt in das Fischerdorf Passamaquoddy ein und versucht mit seiner Wortverdreherei und leeren Versprechungen den schaulustigen Einwohnern des Dorfes seine nichtsnutzigen Mixturen und Tinkturen aufzuschwatzen. Dass diese Szene für mich der denkwürdigste Elliot lose Moment des ganzen Films ist liegt selbstverständlich an Doktor Terminus' musikalischer Marktschreierei. Ohne Luft zu holen lässt Doktor Terminus einen Wasserfall an Werbegeplapper auf einen niederprasseln. Die gelungenen, pointierten Texte und das freudige Spiel von Jim Dale beziehungsweise Joachim Kemmer machen aus dieser Standardszene mit einem schlechten betrüger (der nichtmal den Namen des Dorfes aussprechen kann, welches er auszunehmen versucht) einen noch besseren Song, als das in dieser Hitliste bereits berücksichtigte andere Terminus-Lied Jedes Teil von ihm (Platz 296).
Platz 179: Ja, so ist der Lauf der Welt ("That's What Makes the World Go Round) aus Die Hexe und der Zauberer
Musik & Text von Robert B. & Richard M. Sherman (dt. Fassung von Dr. Hermann Gressieker)
Ja, so ist der Lauf der Welt ist ein ausgemachter Ohrwurm. Dieser geistige Vorfahr von Dories Einfach schwimmen, schwimmen unterrichtet den von Merlin in einen Fisch verwandelten Jungen Floh nicht nur im Schwimmen, sondern auch in Lebensphilosophie. Merlin lebt bereits in diesem Film von 1963 Timons und Pumbaas Hakuna Matata oder Balus Probier's mal mit Gemütlichkeit: Das Leben verläuft halt in verschiedene Richtungen, und man selbst muss damit klarkommen. Ein entspanntes, eingängiges Lied für eine gelassene, prägnante Sicht der Dinge.
Platz 178: Wer ich wirklich bin ("Everything That I Am") aus Tarzan - Das Broadway Musical
Musik und Text von Phil Collins (dt. Fassung von Frank Lenart)
Tarzan muss sich entscheiden, ob er sich selbst weiterhin als Affe sieht und bei seiner Gorillahorde leben möchte, oder ob er seiner geliebten Jane nach England folgt und seine Existenz als Mensch anerkennt. Nach einer berührenden Reprise von Tarzans Kindheitsfrage Warum, wieso? (Platz 202) legt sich der erwachsene Tarzan mittels einiger weitreichender Selbstfragen seine Antwort dar und gibt seinem Leben und seiner verworrenen Gefühlswelt in einer nahegehenden Ballade einen Sinn. Wer ich wirklich bin ist außerordentlich gefühlsstark und kraftvoll. Konstant steigert sich die Intensität von Gesang und Hintergrundmusik, gegen Ende stimmt ganz kurz auch ein geisterhafter Chor mit ein, was Wer ich wirklich bin trotz seiner stattlichen Länge von über fünf Minuten einen straffen Spannungsbogen verleiht. So mag ich meine Balladen!
Wer ich wirklich bin bringt Tarzans Selbstfindungsprozess auf berührende Weise zum Abschluss und führt auch zu einer emotionalen Szene zwischen ihm und seiner "Mutter" Kala. Der Bühnen-Tarzan hat halt wesentlich mehr zu bieten als reine Schauwerte.
2 Kommentare:
Ohh, als Big Band-Version gefällt mir "A dream is a wish..." richtig gut. :)
Erich Kestin als Kaa ist sowieso unschlagbar, ganz wunderbar!
Und Tatsache, "Ja, so ist der Lauf der Welt" scheint tatsächlich für Dories Liedchen Pate gestanden zu haben. Ich fand das Lied immer sehr schräg, aber man wirds nicht mehr los, wenn man es einmal im Ohr hat (und deshalb höre ich es mir jetzt auch nicht auf youtube an *g*).
"Wer ich wirklich bin" ist einfach genial!!!
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