Ich habe noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich mit den jüngeren Jahren in Steven Spielbergs Karriere nicht sonderlich viel anfangen kann. Viel mehr vermute ich, dass Spielberg bei zahlreichen Kinogängern und Kritikern noch immer den durch seine früheren Werke erarbeiteten Nostalgiebonus genießt, weshalb der gute Mann machen kann was er will ohne vollends von allen Seiten dafür abgestraft zu werden. Kurioserweise mochte ich aus Spielbergs jüngstem Œuvre ausgerechnet Indiana Jones und das Königreich der Kristallschädel am meisten, den Film den viele als eine Vergewaltigung ihrer Jugenderinnerungen beschimpften.
Jetzt erbietet sich für mich "endlich" die Gelegenheit beim Thema Spielberg mit der Masse einzustimmen, denn Spielbergs neuste Entscheidung gehört wohl zweifelsohne zu seinen bislang schlechtesten: Spielberg möchte Mary Chases legendäres Schauspiel Mein Freund Harvey neuverfilmen. Das Stück über Elwood P. Dowd und seinen unsichtbaren Freund Harvey, ein zweieinhalb Meter großes Kanninchen und seine verzweifelt gegen diesen "Verrückten" ankämpfende Familie ging durch Harvey Kosters Verfilmung von 1950 für immer und ewig in die Annalen der Filmgeschichte ein und wurde vom American Film Institut zu einem der zehn besten Fantasy-Streifen gewählt.
Angesichts der unschlagbaren Vorlage kann ich nur eins fragen: Hat Spielberg nun völlig den Verstand verloren? Nur ein Mensch kann sich jetzt noch dümmer anstellen: Der Schauspieler, der es tatsächlich mit Jimmy Stewarts formidabler Glanzleistung als Hauptdarsteller aufnehmen möchte.
Denn Stewarts Darstellung des sorglosen und zuvorkommenden Elwood P. Dowd liegt eine kaum vergleichbare Ausstrahlung und Herzensgüte zu Grunde, und ohne die frohgelaunte Natur des Charakters oder des Films zu zerstören lässt sie einen kleinen Schimmer tiefliegende Verletzlichkeit erahnen. Auf diesen Schultern allein (und vielleicht auf denen seines unsichtbaren Leinwandpartners Harvey) steht der ganze Film. Dank Stewarts Leistung kann Mein Freund Harvey seine volle Wirkung entfalten. Dabei ist bereits das Drehbuch stark, es ist tiefsinnig und wahnwitzig komisch, mit zahlreichen cleveren Verwechslungen und einfallsreichen Dialogen ohne vor sentimentaleren oder ernsteren Momenten zurückzuschrecken.
Und daran will sich Spielberg messen? Er kann nur verlieren! Entweder wird der Stoff unnötig modernisiert und die Psyche des Elwoods völlig überanalysiert, was die unbekümmerte Geisteshaltung sowie die Kernaussage der Vorlage untergraben würde, oder Spielberg bemüht sich zu sehr die Stimmung des Klassikers von 1950 zu kopieren, was in ein weiteres, total verkitschtes, verkrampft wirkendes und überzogenes Hohelied an die Fantasie mündet, welches den Zuschauern suggeriert, dass das wahre Leben Müll ist. Als hätten wir nicht schon genug von diesen Filmen.
Das Original besang die Stärke von Einfallsreichtum, Unbekümmertheit und dem unschuldigen Funken der Vorstellungskraft gegenüber des grauen Alltags, ohne einem vorzumachen, dass man die Realität verlassen solle. Viel mehr gab es im Vorrübergehen, absolut unbemüht Hilfeleistung, sich seinen Alltag zu versüßen - so wie seine Hauptfigur.
Spielberg wird das nicht schaffen. Davon bin ich bereits jetzt felsenfest überzeugt. Früher hätte er es vielleicht geschafft, aber damals nutzte er sein (zu der Zeit noch glückliches) Händchen, um eigene überzeugende Ideen umzusetzen.
Das einzig gute, das ich dieser Meldung abgewinnen kann: Mit Spielberg als Regisseur sehe ich eine Tom-Hanks-One-Man-Show voraus. Wäre Zemeckis der Regisseur stünde uns eine Tom-Hanks-One-Man-Show bevor, die erneut im grausig gerenderten Motion Crapturing-Look daherkommt.
Das Drehbuch zu Spielbergs Harvey wird das Kinodebüt von Romanautor Jonathan Tropper, produziert wird der Film von 20th Century Fox und DreamWorks. Der Kinovertrieb wird zwischen 20th Century Fox und dem Disney-Konzern geteilt, der in Zukunft den Vertrieb aller DreamWorks-Produktionen übernemen wird (siehe dazu diesen Artikel). Somit wird Spielbergs Mein Freund Harvey in Teilen der Welt unter dem Touchstone-Label in die Kinos kommen.
Grund für Spielbergs Beteiligung an diesem Projekt ist seine derzeitige Suche nach einer Beschäftigung. Zwar hat er mehrere potentielle Regiearbeiten in Vorbereitung (darunter ein Lincoln-Biopic), jedoch ist keine davon bereit für eine baldige Realisierung, weshalb sich Spielberg dieses Projekt sozusagen als Beschäftigungstherapie aussuchte.
Warum geht er stattdessen nicht einfach einen lüpfen?
(Quelle: Variety)
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2 Kommentare:
Nett, dass du mich auf den Film aufmerksam machst. Scheint ja lohnenswert zu sein sich den mal anzusehen. Laut ofdb wurde der allerdings schon x-mal kopiert.
Ja, darunter x-Mal in Deutschland, was ja nicht so wirklich zählt. Und die einzige bisherige US-Neuverfilmung ist ein TV-Film, was ebenfalls leichter zu ignorieren ist.
Der Film lohnt sich aber wirklich! Und im Moment bekommt man die DVD sogar mit hübschem, nostalgischem Metallschild.
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