Miami Vice war bislang der einzige Film während dem ich kurz davor war das Kino zu verlassen, obwohl er noch nicht zu Ende war. Collateral find ich durchaus überschätzt. Insider dagegen finde ich beispielsweise großartig.
Meine Einstellung zum Regisseur Michael Mann ist also äußerst ambivalent, ich entscheide von Film zu Film, was ich von ihm zu halten habe.
Auf Public Enemies hielt ich im Vorfeld bereits große Stücke. Die 30er-Jahre reizen mich als zeitliches Setting für einen Film besonders und mit Johnny Depp und Christian Bale wurden zwei Schauspieler in den wichtigsten Rollen besetzt, die mich in Vergangenheit bereits mehrfach zu begeistern wussten. Und auf ein neues, waschechtes Gangsterstück hatte ich ebenfalls schon länger Lust.
Manns Adaption des Sachbuchs Public Enemies: America's Greatest Crime Wave and the Birth of the FBI, 1933–34. beginnt im Jahr 1933. Das von J. Edgar Hoover geleitete FBI haderte beim Versuch zu einer Bundespolizei heranzuwachsen mit den Gerichten, die in diesem Vorhaben eine Geldverschwendung sehen. Der ursprünglich vom Land stammende Gangster John Dillinger (Johnny Depp) raubt zusammen mit seinen Banden eine Bank nach der anderen aus. Während er aufgrund seines Raubeincharmes (er achtet stets auf seinen Auftritt gegenüber des Volkes) bei den Bürgern als Ikone gefeiert wird, setzt das junge FBI alles daran ihn zu erwischen. Unter der Leitung von Melvin Purvis (Christian Bale) wird eine Sondereinheit, die "Dillinger Squad" gegründet, die durch für ihre Zeit aufwändige und neumodische Methoden dem gefürchteten Bankräuber auf die Spur kommen soll. Vor allem durch die Beobachtung seiner Geliebten Billie Frechette (Marion Cotillard) erhofft sich das FBI Dillinger zu erwischen.
Allerdings ist Dillinger außerordentlich gerissen und schafft es immer wieder seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Dieses Katz-und-Maus-Spiel ist die Grundlage des Plots von Public Enemies, auch wenn es weit weniger Schachzüge umfasst, als man vor dem Kinogang erwarten würde.
Überhaupt geschieht in Public Enemies weniger, als der Zuschauer vermuten mag, die Banküberfälle lassen sich beispielsweise an einer Hand abzählen.
Natürlich sollten Filme nach der Maxime "Klasse statt Masse" leben, so dass die schiere Menge an eingefangenen Momenten aus Dillingers Leben kein Qualitätskriteritum darstellen sollte. Und Michael Mann hat in der Inszenierung einiger ikonischer Momente aus Dillingers Karriere wirklich gute Arbeit geleistet, vor allem zwei unverschämt selbstbewusste, locker-lässige Spielereien mit der Polizei (darunter eine in die Geschichte eingegangene Pressekonferenz) konnte Mann hervorragend in den Film einarbeiten und mit ihnen den Charakter der Gangsterberümtheit effektiv zur Schau stellen. Diese Szenen gehören automatisch zu den absoluten Höhepunkten des Films.
Allerdings ruht sich Mann darauf aus zu zeigen, wie der Star Dillinger sein bereits erarbeitetes Image auskostet. Die eigentliche Legendenbildung reißt Mann bloß an - ein Mangel, der durch das zeigen weiterer Stationen sicherlich hätte behoben werden können.
Bezüglich der Darstellerriege bewies Michael Mann in Public Enemies bis in die letzte Nebenrolle ein glückliches Händchen, wobei der Zuschauer sein Hauptaugenmerk selbstverständlich auf die drei größten Namen auf der Besetzungsliste lenken wird. Je nach Erwarungshaltung könnte sich bei dem einen oder anderen Kinogänger jedoch eine kleine Enttäuschung einstellen. Johnny Depp spult in der ersten Hälfte des Films eine lässige Routinenummer ab und erhält erst in der zweiten Hälfte des Films die Gelegenheit einige ihn fordernde Szenen zu meistern. Das steht auch stellvertretend für die Qualitäten des gesamten Films: Sind in der ersten Hälfte von Public Enemies durchaus starke Einzelszenen anzutreffen, die sich bloß nicht zu einem runden Ganzen zusammenfügen wollen (wodurch die Gesamtspannung leidet, nur vereinzelte Szenen entwickeln eine eigene Spannung und bleiben somit im Gedächtnis haften), läuft der Film in der zweiten Stunde (plus ein paar Minuten) wie aus einem Guss und fesselt unentwegt.
Hier kann Depp die Coolness der Ikone Dillinger, die Dramatik der Szenen und die in Dillinger ablaufenden Gedankengänge und Gefühlsschwankungen unter einen Hut bringen. Ob es für die im Vorfeld schon mehrfach prophezierte Oscar-Nominierung reicht hängt aber stark von der darstellerischen Leinwandkonkurrenz in der Herbst- und Wintersaison ab. Der "wahre Begebenheit"-Bonus schadet jedenfalls nicht.
Christian Bales FBI-Agent Melvin Purvis wiederum erhält eine solche Gelegenheit überhaupt nicht und kann aufgrund seiner wenigen bedeutsamen Szenen nur einen soliden Antagonisten (oder Protagonisten, je nach Sichtweise) abliefern. Seiner Figur fehlt eine Szene, in der sie sich wirklich profilieren kann, ihr Höhepunkt ist ein kleines Wortgefecht mit John Dillinger. Dort wird Bale allerdings von Depp an die Wand gespielt. Die Konzentration Manns auf Dillinger in dieser Szene und das in der Persönlichkeit der beiden Charaktere begründete Prominenzgefälle zwischen Dillinger und Purvis erleichtert es Bale auch nicht gerade, etwas tiefere Spuren an Public Enemies zu hinterlassen.
Die für mich konstant beste Leistung lieferte Marion Cotillard als "Dillingers Mädchen" Billie Frechette ab. Ihre Figur wird vom Drehbuch leider viel zu wenig beleuchtet, doch in ihren wenigen Szenen kann Cotillard brillieren, unabhängig davon, ob gerade die in dieses Drama hineingeschlitterte Unschuldige in Frechettes Wesen überwiegt oder die Komplizin.
Manns Einsatz digitaler Videokameras anstelle klassischer Filmkameras traf nicht überall auf Gegenliebe. Viele beschwerten sich, dass der moderne Digitalkamera-Look nicht in die Ära passe.
Ich bin bezüglich der Optik aufgeschlossener ins Kino gegangen. Die Realität sieht weder so wie ein 30er-Jahre-Gangsterfilm aus, noch wie ein moderner mit DV-Kamera gefilmter Actionfilm. Von diesem Standpunkt her passen beide optische Richtungen gleich gut in die Unterwelt der 30er Jahre. Mir ist natürlich bewusst, dass manche Paarungen von Form und Optik weniger nahe liegen als andere (beispielsweise wäre ein Film wie Crank 2 mit 30er-Jahre-Technik ziemlich sinnlos), die Trailer zu Public Enemies aber ließen mich nicht laut aufschreien.
Ich wurde, wie ich finde, für meine Aufgeschlossenheit belohnt: Die Ausstattung und Kostüme in Public Enemies sind authentisch, ebenso wie die Musik. Da ist es an und für sich erstmal völlig gleich, ob man dies mit einer veralteten Filmkamera, einer modernen Filmkamera oder eben mit digitalen Videokameras eingefangen wird. Die entscheidende Frage ist, was man damit anfängt. Das Cloverfield-Konzept (der Zuschauer wird im Glauben gelassen, dass jemand alles mit der Kamera mitfilmte) würde bei Public Enemies selbstverständlich nicht aufgehen, Manns Vorgehensweise geht dagegen sehr wohl auf. Von gelegentlicher Grobkörnigkeit abgesehen sehen die Einzelbilder in Public Enemies genauso aus, wie mit einer klassischen Kamera gefilmt. Wo der Einsatz von DVs zur Geltung kommt ist weniger der Look, sondern mehr die Kameraarbeit selbst, die Entscheidung wo die Kameras platziert werden und wie sie sich bewegen. Und die Kameraarbeit in Public Enemies unterstreicht die hektischen Momente des Gangsterdaseins ohne die Übersichtlichkeit zu opfern, während die bislang eher ungewöhnliche Wahl der Kameras in den ruhigeren Szenen kaum zu spüren ist.
Trotzdem bin ich von den Schusswechseln ein wenig enttäuscht. Über weite Strecken sind diese nämlich einfach nur laut, was jedoch nicht das Verschulden der Tonabteilung ist. Die Schießereien haben den richtigen "Wumms" und klingen trotz ihrer erhöhten Lautstärke gut. Derjenige, der etwas versäumte ist Regisseur Michael Mann, der sich während der Schusswechsel zu sehr auf das akustische Element verlässt, statt ihnen einen visuellen Reiz zu verleihen oder während ihnen Dramaturgie aufzubauen. Deshalb zahlt sich der Digitalkameragebrauch erst so richtig während der Fluchtszenen aus.
Bevor ich zu meinem Fazit komme, möchte ich noch schnell ein paar Worte zur Synchronisation verlieren. Wie einige ja vielleicht wissen ist Public Enemies für Kontinuitätsfans ein kleiner Albtraum, weil so gleich zwei populäre Schauspieler mit dem selben Stammsprecher große Rollen mit gemeinsamen Szenen haben. Christian Bale und Johnny Depp werden beide im Normallfall vom Berliner David Nathan gesprochen.
Was tut man nun in einem solchen Fall? Da sowohl Depp als auch Bale eher normale Charaktere spielen, die eine alltäglichere Stimme verlangen, fällt die Möglichkeit, dass Nathan beide spricht raus. In einem gemeinsamen Film von Willy Wonka und Batman wäre das schon eher machbar.
Eine von vielen geforderte Lösung (und ursprünglich die von mir favorisierte) war es, David Nathan auf Christian Bale zu besetzen und Marcus Off erneut für Johnny Depp zu wählen. Off sprach Depp bereits hervorragend in den Fluch der Karibik bzw. Pirates of the Caribbean-Filmen und empfahl sich somit als "Ersatzbesetzung".
Das Synchronstudio (in diesem Fall Film & Fernseh-Synchron GmbH) jedoch besetzte Nathan auf Depp und suchte sich für Bale eine Alternative, eine Entscheidung an der David Nathan angeblich beteiligt gewesen sein soll, womöglich weil Nathan befürchtete anderweitig als Sprecher für Johnny Depp ersetzbar zu werden.
Im ersten deutschen Trailer (siehe hier) gab es dann schon die erste Kostprobe des im Film zu hörenden Nathan-Ersatzes auf Christian Bale: Sascha Rotermund, mir bislang am besten bekannt als die deutsche Stimme des Kuchenbäckers Ned in Pushing Daisies. Eine großartige Figur in einer fantastischen, leider zu früh eingestellten Serie, keine Frage. Allerdings keine wirkliche Empfehlung für die Rolle des toughen FBI-Agenten Melvin Purvis.
Im fertigen Film überzeugt Rotermund auf Bale allerdings wesentlich mehr als noch im Trailer. Genau genommen fand ich ihn überraschend gut, so dass ich die Neubesetzung nach wenigen Sätzen gar nicht mehr bemerkte. Und da ich Rotermund bislang immer direkt mit der gänzlich anderen Rolle von Kuchenbäcker Ned in Verbindung brachte, habe ich ihn stellenweise gar nicht mehr erkannt.
Fazit: Public Enemies ist ein interessantes Gangsterepos mit mäßigen Actionszenen, das mit fortschreitender Laufzeit immer besser wird, seine Figuren dem Zuschauer trotzdem nicht nahe genug bringt und nach mehr Verlangen lässt. Die Darstellerleistungen sind aufgrund dessen sehr gut bis solide.
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1 Kommentare:
Sehr interessantes Review. Ich selber bin kein so grosser Film-Enthusiast, als eher ein -Konsument. Hatte aber auch nie das zwingende Gefühl wahnsinnig gefesselt von der Geschichte zu sein. Glücklicherweise habe ich als Schweizer noch ab und zu die Möglichkeit die Original-Version zu schauen und somit fand ich das Synchronisationsstimmen Problem überraschend und interessant :) War gestern nämlich irritiert als ich beim Zappen auf CSI irgendwas die Stimme von David Duchovny hörte ;)
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