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Freitag, 26. Juni 2009

Verlorenes Herzblut und die verfluchten 70mm

Es war einmal eine Zeit, zu der die Disney-Animationstudios eine wahre Siegesstrecke bejubeln durften. Jeder neue Film aus dem mit Kreativität und Magie gesegneten Studio wurde wohl aufgenommen und feierte auch finanziell große Erfolge. Sicherlich, über so manches Meisterwerk konnte man bloß "naja, hatte halt schon Erfolg..." sagen, während andere riesige Publikumsrenner waren, doch wer möchte schon auf solch hohem Niveau klagen?

Disney hatte sie gefunden, die güldene Patentformel für einen beliebten und gewinnbringenden Zeichentrickfilm. Tragischer- und törchterweise dachte man bei Disney, dieses Rezept könne man beliebig oft nacheinander verwenden.
Und so schnitten sich die fantasiereichen Magier aus Burbank ins eigene Fleisch, verzogen ihr Publikum. Es war der bisherigen Erfolgsformel überdrüssig. Die Kinogänger waren übersättigt, doch zugleich nicht willens, Experimente einzugehen. Sie verlernten ihre Neugierde und Probierfreudigkeit.

Darunter mussten so manche Disney-Zeichentrickfilme enorm leiden. Sie gingen katatsrophal unter und rissen so für eine Zeit lang Hollywoods komplette Kinozeichentricksparte in einen Abgrund.

Mittlerweile wurden Fehler korrigiert und Wunden verheilten. Einst abgestoßene Filme erhalten nun die ihnen zustehende Liebe und werden vom breiten Publikum sowie eingeschworenen Disneyfans als Klassiker anerkannt. Doch während so mancher Film, der gut, aber unter den Erwartungen lief und auch so mancher Totalflop mittlerweile warm in den Arm genommen wird, hat ein Film, der vor dem künstlerischem Zusammenbruch der Disney-Trickstudios entstand unverständlicherweise selbst bei einigen toleranten Disneyfans mit Anerkennung zu kämpfen.

Dieser Film, in den die Regisseure so viel Herzblut pumpten, ist zwar nicht (mehr) völlig geächtet, aber die radikale Rehabilitation, die vergleichbare Meisterwerke durchmachten, wurde ihm kurioserweise bislang nicht vergönnt.

Eine solche Ungerechtigkeit ruft mich natürlich auf den Plan! Ich kann das nicht mehr länger tatenlos mit ansehen!

Meine Damen und Herren, ich erbitte mir mehr Respekt für...

Atlantis - Das Geheimnis der verlorenen Stadt

Es fällt mir wahrlich schwer, größere Mängel an Atlantis - Das Geheimnis der verlorenen Stadt zu finden. Zwar gehört der Ausflug raus aus dem Fantasyland hinein ins Adventureland (mit ein paar Spritzern Discoveryland) für mich nicht zur absoluten Speerspitze der Disney-Meisterwerke, dennoch hält mich dies nicht davon ab, für ihn zu kämpfen. Denn dass Atlantis so katastrophal unterging liegt zum Großteil nicht am Film selbst, sondern am Publikum (beziehungsweise Disneys Politik in den 90er Jahren). Allein daran kann ich den Flop nachvollziehen, nicht etwa an den wenigen Kritikpunkten, die ich an Atlantis ausmachen kann. Ein schlappes Einspielergebnis von weltweit gerade Mal 186 Millionen Dollar rechtfertigen diese nämlich bei weitem nicht.

Mit Atlantis konnte Disney es einfach nicht genügend Menschen Recht machen, als dass er zu seinem Kinostart ein Erfolg hätte werden können. Disney überreizte in den 90er Jahren seine Musical-Masche gnadenlos - kurzfristig gesehen brachte Disney zwar durch diese Taktik mehrere gute bis sehr gute Filme heraus und füllte seine Kinokassen, doch langfristig führte es zu der katastrophalen Lage, in der sich die Zeichentrickstudios seit der Jahrhunderwende nunmal befinden: Weder wollten die Menschen klassisches Material sehen (hatten wir alles oft genug), noch andersartiges. Erst zum Abschluss dieser Dekade erwartet uns mit The Princess & the Frog eine Rettung aus dieser Misere.

Von dieser verqueren Publikumserwartung wurde Atlantis zum Kinostart ziemlich hart getroffen: Mit Mulan und Tarzan lenkte Disney Ende der 90er Jahre ja noch recht vorsichtig von seiner alten Formel ab, Ein Königreich für ein Lama dagegen war mit seiner cartoonigen Spritzigkeit schon ein kleiner Schreck. Aber Atlantis? Was wurde nicht überall von allen Seiten geheult... Zu düster, zu brutal, zu komplex, plötzlich wollten alle ihre Lieder wiederhaben (die zuvor ja sooo sehr genervt haben), wie kann man das nur im Jahr 2001 zu Disneys 100. Geburtstag rausbringen...
Vor allem beim letzten Kritikpunkt stellen sich mir noch heute die Haare zu Berge. Als wenn man bei Disney gesagt hätte "oh, wir müssen mit Atlantis schneller fertig werden, damit wir was ganz besonderes zu Walts Jubiläum haben!" beziehungsweise "Halt! Wir müssen Atlantis verschieben, der kann erst 2002 raus!" - Disney mag zwar bei DVD-Veröffentlichungen gerne Mal auf Jubiläen achten, aber doch nicht bei Kinostarts von neuen Filmen!

Sehr viele meckern auch über den Zeichenstil in Atlantis. Zugegebenermaßen könte an manchen Stelle eine kleine Aufpolierung der Figuren nicht schaden (Audreys bzw. Annas Mund oder Milos Hände sind nicht immer gleich gelungen - für nötig halte ich eine Überarbeitung allerdings nicht), die visuelle Gesamtvision finde ich allerdings perfekt, vor allem die Detailtreue und die Hintergründe sind beeindruckend. Auch die stilisierten Effekte und die gelungene Verquickung von CGI-Elementen und traditioneller Animation wissen zu gefallen. Vor allem frage ich mich, wie man dauernd rumjammern kann, dass Atlantis zu eckig sei: Was verlangt ihr, Leute? Ein explosiver Action-Abenteuerfilm mit Fantasyelementen, der total rund, knuffig und knuddelig ist? Dann würde doch nur jeder rumheulen, dass Disney es einfach nicht sein lassen könne - da macht man schon 'nen harten Inhalt und verpackt alles in Bonbonfarben und kantenloser Dumbo-Optik.

Gerade in Totalen zeigt sich, dass der von Mike Mignola (Hellboy) inspirierte Zeichenstil eine ideale Wahl war.

Atlantis kam schlicht und ergreifend zum falschen Zeitpunkt in die Kinos. Heuer besteht eine offener diskutierte Nachfrage nach Erwachsenen orientierten Animationsfilmen aus den großen Studios und Familien, selbst die mit den am lautensten keifenden Zickenmüttern, dulden eine offensichtlichere Orientierung an das gereifte Publikum (Danke, Pixar). Außerdem rennen die Leute mittlerweile nicht mehr mit von Zornesröte und schäumenden Mündern entstellten Fratzen aus dem Saal, wenn in Disneyfilmen mehr Figuren als ein Elternteil des Helden und der Bösewicht sterben (Danke, Jerry Bruckheimer!) - ob Atlantis heutzutage ein großer Erfolg werden würde vermag ich nicht zu prognostizieren, aber man würde ihn sicherlich weitaus weniger schinden.

Weshalb genau Atlantis allerdings selbst bei eingeschworenen Disneyfans weniger verspätete Liebe empfängt, als seine anderen Kollegen aus der Ära von Ein Königreich für ein Lama bis Bärenbrüder kann ich mir nicht wirklich erklären. Vermutlicherweise fällt er hinter den anderen Meisterwerken einfach zurück, so dass er in allgemeinen Diskussionen vergessen wird - das Lama fällt mit seinem Cartooncharme auf und Bärenbrüder kann mit seiner Mischung aus epischer Bandbreite und intimer Geschichte punkten - was er mit so manchem 90er-Film gemeinsam hat. Und Der Schatzplanet erarbeitete sich unter Animationsfans Der Schatzplanet durch seine Optik und die hohen Produktionswerte ein hohes Prestige - der ebenfalls aufwändige, aber weniger auffällige Atlantis versäumt da nunmal schlichtweg den Anschluss in den Diskussionen. Das ist zumindest meine Theorie.

Und schon bleibt für Atlantis ein recht kleiner Kreis von Anhängern zurück, darunter auch Kritikerpapst Roger Ebert. Oder halt meine Wenigkeit (die für sämtliche Pre-Die Kühe sind los!-Meisterwerke der 00er die Fahne schwingt).
Aber natürlich habe ich trotz meiner Liebe zu diesem andersartigen Meisterwerk ein paar Kritikpunkte anzumerken -sonst wäre er ja zumindest Teil meiner persönlichen Disney-Meisterwerk-Speerspitze und nicht bloß ein sehr gutes, ungerechtfertigt geschundenes Meisterwerk.
So passt zum Beispiel der Original-Abspannsong überhaupt nicht zum Film und kollidiert extrem mit der Stimmung und Musik der letzten Szene. Der Song in der deutschen Fassung passt da rein musikalisch schon etwas besser, ob es aber gerade die No Angels sein müssen, die da herumträllern ist wieder eine andere Frage. Am besten wäre es eh gewesen den Film mit einer prallen Creditsuite zu verabschieden, denn der wahlweise mystische oder abenteuerliche, manchmal auch amüsante und vor allem kraftvolle Soundtrack aus der Feder des eh völlig unterschätzten James Newton Howard (der auch Dinosaurier und Der Schatzplanet musikalisch veredelte) ist einer der gewaltigsten Pluspunkte von Atlantis - und es wäre ein Traum, mit einer energiereichen Komposition die verlorene Stadt zu verlassen.

In meinen Augen dürfte Atlantis auch gerne etwas länger sein - die Fallhöhe und die Charakterisierung einiger Figuren würde sicher davon profitieren und es spricht in meinen Augen nichts gegen die ursprünglich von den Filmemachern geplante "Monsterparade" auf dem Weg nach Atlantis. Lavawale, Tintenfischfledermäuse und Riesenkäfer - ich kann einfach nicht verstehen, dass man diese Ray-Harryhausen-Abenteuerfilm-Elemente rausstrich, weil man Angst hatte, es würde zu lange dauern, bis die Charaktere endlich Atlantis erreichen. Sicher, der Film würde dadurch etwas episodischer wirken, aber das gehört nunmal bei einem Expeditionsabenteuer dazu. Und was das verspätet auftauchende Atlantis angeht: Dafür tauschte man ja den Wikingerprolog gegen den bombastischen und das Publikum ins eiskalte, chaotische Wasser stoßenden Anfang mit dem Untergang von Atlantis aus. Problem gelöst, jetzt warte ich gerne 30 bis 40 Minuten auf den nächsten Blick auf diese sagenumwobene Stadt.

Damit einhergehend wäre Atlantis womöglich etwas düsterer, sicherlich aber actionreicher und eventuell brutaler geworden - was bei mir sicherlich auf keinerlei Ablehnung stoßen würde. Erfolgreicher wäre Atlantis durch solche Änderung allerdings wohl kaum geworden, zumindest nicht während seiner Kinolaufzeit. Das Kinder- und Musicalimage von Disney war damals so fest in den Köpfen der Kinogänger einzementiert, dass diejenigen, die darauf zählten nur noch negativere Mundpropaganda von sich gegeben hätte, während die anvisierte Zielgruppe weiterhin rumzweifelte und (im Idealfall) auf die DVD wartete um den Film von Kindern ungestört zu begutachten.
Ich hielte es allerdings für möglich, dass mein Wunsch-Atlantis nach DVD-Veröffentlichung etwas schneller wieder Boden gut gemacht hätte, um nicht weiter in der Flopschublade zu versacken.

So hingegen haben wir einen spannenden, ungewöhnlich aussehenden und mit beeindruckenden Hintergründen auf der verfluchten Cinemascope-Leinwand gebannten Zeichentrickfilm vor uns, der besonders mit seinen mystischsten Sequenzen und seiner gelungen inszenierten Action zu bannen weiß. Vor allem merkt man dem Film aber an, welche Ambitionen und Hoffnungen einst in ihm steckten. Fast macht es mich schon traurig, wie die Träume der Regisseure Gary Trousdale und Kirk Wise sowie des Produzenten Don Hahn und Autor Tab Murphy zerstört wurden. Nach Der Glöckner von Notre Dame und Die Schöne & das Biest wollten sie die Musicalwelt hinter sich lassen und getreu dem Motto "Weniger Songs - mehr Explosionen" einen Film wie aus ihren Jugendtagen machen. Einen Abenteuerfilm, den sich Kinder und Jugendliche mit faszinierten Augen in der Samstag-Matinee anschauen würden, und der sie mit seiner Atmosphäre und breznligem Abenteuer fesselt.

Anders als etwa Der Glöckner von Notre Dame war Atlantis keine von Geschäftsleuten vordiktierte Idee, es war ein von Grund auf von Regisseuren geschaffenes Projekt (etwas, dass Pixar immer und immer wieder als sein Erfolgsrezept auszeichnet), das unabhängig von Marktforschungsergebnissen konzipiert und Michael Eisner vorgesetzt wurde. Wundersamerweise gab er grünes Licht - Wise, Trousdale und Hahn hatten große Erfolge gefeiert, sie wissen schon, was sie tun...
Und so wurde mit Innbrunst ein Abenteuerfilm entwickelt, wie sie ihn kannten. Zugleich sollte er aber auch Dinge enthalten, die man in der Form noch nicht sah. Deshalb entwarf man ein Atlantis, das nicht nach dem antiken Griechenland aussah und warf sich auf die esoterische Theorien von magischen, denkenden Kristallen. Um aus den anderen Disneytrickfilmen herauszustechen, griff man (auch genrebedingt) als erster Disney-Trickfilm seit Taran & der Zauberkessel nach dem PG-Rating und als einziger neben dem gefloppten Taran & der Zauberkessel und dem mittlerweile als Klassiker gefeierten, ursprünglich Walt Disney enttäuschenden Dornröschen sollte Atlantis als 70mm-, Panoramaleinwandfilm in die Kinos kommen. Blickt man auf die historischen Beispiele, waren es wahrlich mutige Pläne - aber man war sich sicher, dass Atlantis funktionieren könne. Man entwarf ein ganzes Paralleluniversum, entwickelte bis ins tiefste Detail die atlantische Kultur und bereitete so den Weg für mehrere Fortsetzungen, eine TV-Serie und Spin-Offs im Printbereich, darunter auch Abenteuerromane für Erwachsene (mehr dazu und zum ganzen Film gibt's im Atlantis-Artikel der Duckipedia).

All diese ambitionistischen Pläne wurden durch das miese Kinoeinspiel zerstört, ebenso wie die zwei leidenschaftlich geplanten und groß angelegten Pläne für Atlantis-Themenparkattraktionen. Was bleibt, ist ein Schatten des ersehnten Atlantishypes und 95 Minuten ungewöhnlichen Disneyspaßes, in die von den Verantwortlichen so viel persönliche Hingabe und Sehnsucht nach Entlohnung durch Anerkennung stecken, wie in nur wenigen anderen Meisterwerken.

Und deshalb hat Atlantis - Das Geheimnis der verlorenen Stadt mehr Respekt verdient.

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2 Kommentare:

  1. Ich fand den auch super.
    Nicht, dass ich etwas gegen Disneys Standardkost einzuwenden hätte, ich mag auch viele der Filme mit "singenden Tierchen" ^^ (Bärenbrüder allerdings fand ich furchtbar), aber Atlantis ist trotzdem klasse.
    Warum hab ich den eigentlich noch nicht auf DVD. Muss ich mal besorgen gehen.
    Und Mike Mignolias Handschrift merkt man auch an vielen Ecken :)

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  2. Ich habe "Atlantis" damals im Kino gesehen. Fand ihn großartig! Mal was ganz anderes und trotzdem von Disney. Tolle Figuren, zu denen auch der andere Zeichenstil passte, schön schräge Charaktere - super! Hat ein bisschen was vom "A-Team" :-D
    "Der Schatzplanet" gefiel mir damals nicht so sehr, liegt aber wohl an meiner grundsätzlichen Abneigung gegenüber Science-Fiction. Naja heute Abend kann ich ja dank RTL die Erinnerung ein wenig auffrischen.

    Nebebei: "Dinosaurier" habe ich neulich auch erstmals (auf RTL) gesehen. Hat mir nicht so sonderlich gefallen - gerade die Musik erinnerte mich teilweise so stark an den grandiosen Soundtrack zu "König der Löwen", dass er mir fast geklaut vorkam.

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