Denkbar ungünstig für jeden, der gerade eine Trennung durchsteht. Denkbar überwältigend für alle, die sich gerade am anderen Ende einer Beziehung befinden.
Ein Film über Wahrheit, Schönheit, Freiheit, aber vor allem über Liebe. Eigentlich liefert Regisseur und Co-Autor Baz Luhrmann selber in seinem schillernden Popmusical-Opus die perfekte Zusammenfassung für seinen zweifachen Oscar-Gewinner Moulin Rouge, der simplen geschichte eines aufstrebenden Künstlers, der sich in Mitten des schillernden Moulin Rouges unsterblich in eine Curtisane verliebt, die wieder wahre und idealistische Liebe lernt und hofft durch ein von ihm geschriebenes Stück eine echte Schauspielerin werden zu können. Doch die Tücken der "Unterwelt" des Showgeschäfts und ein eifersüchtiger Duke stellen sich entgegen die bedingungslose Liebe.
Eine ziemlich simple, altbekannte tragisch-dramatisch-romantische Liebesgeschichte. Aber wie sich selbst unter den wenigen, die Moulin Rouge bislang nicht gesehen haben rumgesprochen haben sollte, ist nicht etwa eine originelle Geschichte das Verkaufsargument von Moulin Rouge, sondern zum einen die rasante und extreme Gefühlsachterbahn aus Witz, Trauer und Spannung, auf die der Australier Baz Luhrmann seine Zuschauer schickt, zum anderen (und vor allem) die schillernde Optik dieses filmischen Sündenpfuhls.
Moulin Rouge fängt bereits andersartig an. In der genialen Eröffnungssequenz weist ein wild gestikulierender Dirigent am unteren Bildrand das ungesehene Orchester an, die berühmte "20th Century Fox"-Fanfare zu spielen. Direkt danach beginnt die opulente, mit vibrierender Energie ausgestattete, völlig verrückt mit Stilmitteln jonglierende Fahrt ins Paris des Jahres 1889 und in eine dermaßen glühend, überfrachtet und verkitschte Liebesgeschichte, dass alle, denen bereits Luhrmanns Romeo + Julia zu übertrieben war schreiend aus dem Raum rennen und sich die Augen auswaschen werden, um danach zum gefühlsmäßigen Ausgleich ein Death-Metal-Album durchzuhören.
Um Luhrmanns Abschluss der so genannten "Red Curtain"-Trilogie (mit den Vorläufern Strictly Ballroom und Romeo + Julia) lässt sich sorglos als Antonym für Subtilität und Intovertiertheit beschreiben. Moulin Rouge ist auf stilistischer Ebene "Romeo + Julia im Quadrat", wenn nicht sogar noch mehr. Um das Blitzgewitter an Kameraeinstellungen, Schnitten, Schwenks, reizvollen Kostümen, knalliger Ausstattung und theatralischer Inszenierung zu überstehen, muss sich der Zuschauer wirklich in der richtigen Stimmung befinden, und während er bei jedem neuen Michael-Bay-Film am besten sein Logikzentrum an der Kinokasse abgibt, sollte er bei Luhrmann, und gerade bei Luhrmanns bislang buntestem Werk, am besten vor DVD-Start alles aus dem Fenster schmeißen, das weder auf den Namen Herz, noch auf den Namen "Seh- und Hörnerven" gehorcht. Hier sind Romantiker, hoffnungslos Verliebte und all diejenigen gefragt, die sich für rund zwei Stunden von einem audiovisuellen Feuerwerk mit blinkenden Lichtern, satten Farben, lauter, wild durcheinander gewürfelter Musik und schrillen Figuren gegen die nächste Wand brennen lassen möchte. Zeit zum Atmen gibt es bei Moulin Rouge nämlich genauso wenig, wie Platz für rationale oder gar sarkastische Einwürfe.
Doch genau hier drin liegt die Stärke und die Intention von Moulin Rouge: Als sich der junge Künstler (ein witzig-jungenhafter Ewan McGregor) erstmals vom ruhigen Land in die lebhafte und sündige Stadt Paris, und dann noch in das Zentrum dessen Nachtlebens, begibt, ist er (dazu noch von Absinth beflügelt) selbstverständlich völlig erdrückt von der ihm umgebenden Reizüberflutung. Genau dies lässt uns Luhrmann mit seinem Inszenierungsstil nachfühlen. Viel mehr noch stellt er aber die Emotionen nach, die unsere Hauptfigur für die bezaubernde Satine (Nicole Kidman bevor sie zum regungslosen Porzellanpüppchen mutierte) hegt.
Diese vibrierende Energie die den stilistischen Cocktail von Moulin Rouge durchzieht, und die seltsame, unterbewusste und emotionale Logik, die das Wechselgewitter in der Farbästhetik durchzieht, das stetige Gefühl des Irrealen, die prachtvolle Ausstattung und rasante, wahnsinnige, überwältigende Kameraführung, die einen die Kontrolle über das Gesehene entreißt, die Unerklärlichkeit, dass in der Musik Raum und Zeit sowie stilistische Gräben (von Elton-John-Pop und Monroe-Filmtiteln zu Grunge und Kiss in nur wenigen Sekunden) völlig sorglos durchquert werden und alles in einer seeligen Trunkenheit zusammenkommt und das Gefühl hinterlässt auch zusammenzugehören, das alles rührt einzig und allein aus der Liebe. So wie sich Moulin Rouge in der ersten Hälfte erleben lässt, fühlt sich auch sein zentrales Thema an. Alles entbehrt sich in Worte zu fassenden Argumenten, und ist dennoch in sich schlüssig, es ist viel zu schnell und übersteigt das eigene Fassungsvermögen - und die Welt sieht plötzlich unheimlich theatralisch, glitzernd und glamourös aus.
Leider gibt es dahingehend einen großen Wermutstropfen zu beklagen: Moulin Rouge schafft es zwar zu anfangs die Rauschartigkeit junger Liebe nachzustellen, jedoch lässt die Bildgewalt mit der Zeit nach, das Tempo des Films wird wieder ruhiger und die Umsetzung gewöhnlicher.
Zyniker würden dazu sagen, dass das nur konsequent ist und man diese Entwicklung deshalb loben solle: Wem es gefällt, dass Moulin Rouge zu Beginn so sehr überwältigt, wie eine frisch aufkeimende Liebe, dem müsste es ebenso gefallen, dass die Energie des Films mit der Zeit erschlafft. In der Liebe sei das ja nicht anders.
Aber unabhängig davon, dass ich (zumindest in dieser Hinsicht) kein solcher Zyniker bin, fände ich es als Zuschauer wesentlich erfüllender, wenn Moulin Rouge die komplette Laufzeit über seine berauschende Wirkung beibehielte, völlig gleich, ob dies nun weiterhin als Parallele zu den in der Handlung geschilderten Gefühlen zählen könne oder nicht. Denn konventionelle Romanzen gibt es in der Filmgeschichte bereits mehr als genug - welche, die so wie (der Anfang von) Moulin Rouge aufgezogen sind, gibt es dagegen weniger. Zu guter Letzt hielte ich ein durchgehend überwältigendes Ton- und Bilderlebnis zumindest einer solch hingebungsvollen Liebe wie der im Film gezeigten angemessen, da kann mir niemand mit Realismus kommen. Hartherzige würden so oder so nicht mit Luhrmanns Liebesstreifen klarkommen und wer Moulin Rouge zu kitschig und zu überfrachtet findet, steigt eh nach wenigen Minuten raus. Der formell gemäßigtere Teil wird also niemanden plötzlich von Moulin Rouge überzeugen.
Das zentrale Elephant Love Medley, in dem Liebeslieder aus mehreren Jahrzehnten Pop- und Rockmusik ineinander verschmelzen, steigert sich in seiner Intensität immer und immer mehr, bis es letztlich zum finalen, Gänsehaut erzeugenden Befreiungsschlag I will always love you angelangt. Und nach diesem Klimax... hat Moulin Rouge erstmal keine Energie mehr. Es ist so, als hätte die unvorstellbare Leistung, es tatsächlich hinzubekommen dieses eigentlich total nervige Lied in einen solchen Kontext zu setzen und so zu akzentuieren, dass es mir tatsächlich gefällt, sämtliche Kräfte aus diesem Film gesogen hätte.
An den Stil der ersten Hälfte reicht als alleiniger Höhepunkt "Tango de Roxanne" heran, eine intensive und ekstatische, großartig choreographierte Nummer, die ebenfalls in einem fabulösen Kimax gipfelt.
Ansätze sind auch in The show must go on zu vernehmen, wo man sich jedoch im Spannungsaufbau ein paar ärgerliche Atempausen gönnte, die wohl als Konterpunkte gedacht waren, in Wahrheit jedoch bloß die Antizipation des enormen Schlusspunktes dieser Nummer untergraben.
Der inszenatorische Abbau scheint eine echte Macke von Baz Luhrmann zu sein. Von Strictly Ballroom angefangen, der als cleverer, selbstironischer und einfallsreicher Tanzfilm beginnt und nach den ersten paar Sequenzen zu einem 08/15-Tanzfilmchen mit Klischees verkommt, bis zu Australia, was Luhrmann beeindruckend und überwältigend beginnt, führt er schwächer zu Ende. Im direkten Vergleich zieht Romeo + Julia seinen Stil am konsequentesten durch, und Moulin Rouge würde enorm davon profitieren, etwas mehr wie sein direkter Vorgänger zu sein.
Allerdings möchte ich die zweite Hälfte von Moulin Rouge nicht zu sehr schlecht reden, sie ist zwar weniger beeindruckend, aber es ist nicht gleich so, als wäre ein krasser Bruch im Film, der es möglicherweise gar so aussehen ließe, als wären zwei verschiedene Filme zusammengekleistert worden.
Moulin Rouge fährt auch nachdem er betrüblicherweise einen Gang zurückschaltete den richtigen Kurs und bleibt sich selbst treu: Für Verliebte perfekt, für Zyniker Gift, für jeden auf der Suche nach einem berauschenden Trip eine herrliche Versuchung.
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Hmmm..... ich stimme deiner Kritik nicht zu, aber das liegt daran, dass ich den Film anders aufteile als du. Für mich endet die wilde Überspitzung mit dem ersten Auftritt Satines, also nach dem "Can Can". Das ist für mich die Zeit, in der Baz Luhrmann dem Publikum (gemäß seiner Red-Curtain-Regeln) den Vertrag vorlegt. Wenn man diese Zeit durchsteht und akzeptiert, hat man den Vertrag unterschrieben und ist bereit für den Rest des Films. Ab dem Moment setzt dann mit dem Auftritt Satines die Handlung ein.
AntwortenLöschenDas Ganze ist bei "Romeo und Julia" bei der Tankstellen-Szene ähnlich. Ich fand es ehrlich gesagt bei "Romeo und Julia" unerträglicher als bei "Moulin Rouge" aber das ist Geschmackssache. Ebenso halte ich "Moulin Rouge" auch im Ganzen für gelungener. Den Vorwurf, den du "Moulin Rouge" machst, sehe ich bei "Romeo und Julia" nämlich fiel stärker. Meiner Meinung nach fällt der Film nach Tybalts Tod in ein Loch und bleibt darin erst einmal stecken, bis Romeo sich aus seiner Verbannung nach Mantua wieder zurück nach Verona aufmacht. Das liegt einerseits an der 5-Akt-Struktur der Vorlage, in der ja im 4. Akt die Spannungskurve abfällt, zum Anderen finde ich aber von da ab bis zum Finale mit Ausnahme von "When Doves Cry" die Musikauswahl lahm lahm lahm und habe immer das Gefühl, eingeschläfert zu werden. Ich mag dem Film im Ganzen zwar gerne, aber wenn es eine Stelle gibt, bei der ich überlege, ob ich nicht doch ausmachen soll, dann ist es diese Trockenperiode nach Tybalts Ermordung.
Mir fällt gerade ein, warum du das Gefühl haben könntest, dass die Handlung erst nach "Elephant Love Medley" einsetzt. Bis zu diesem Punkt, der ja schon beinahe die Hälte des Films markiert, hat der Film nur 2 Hauptspielorte, das Moulin Rouge selbst und den Elefanten. Und die Szene im Elefanten ist ja quasi ein eigenes kleines Stück innerhalb des Films, im Stil einer überdrehten Farce gespielt, die bis zu diesem Zeitpunkt schon 20 Minuten dauert. Eigentlich ist es ziemlich riskant, bei so einem Film einen so großen Teil der Handlung auf einem so kleinen Raum abspielen zu lassen, seltsamerweise fällt es einem aber wenn überhaupt erst nach wiederholtem Anschauen auf.
Mir geht es da übrigens genau umgekehrt wie dir: Jetzt, wo ich den Film kenne, finde ich die Szene manchmal etwas zu lang und ich fühle mich nach "Your Song" immer wieder in Versuchung geführt, bis zum Beginn von "The Pitch" ("Orpheus in der Unterwelt") vorzuspulen.
Vielen Dank, dass du auch in meiner Abwesenheit den Blog mit so ausführlichen Kommentaren bereicherst. Wie ich mir so die Zahl der neuen Comments ansehe, sollte ich öfter mal auf Newsmeldungen verzichten. *g*
AntwortenLöschenFreut mich, dass dir diese etwas unkonventionelle Rezension trotz anderer Meinung /Filmaufteilung gefiel.
Ob ich "Romeo + Julia" oder "Moulin Rouge" besser finde, kann ich übrigens nicht wirklich sagen - ich denke an normalen Filmmaßstäben gemessen finde ich "Moulin Rouge" besser, da er die größere inszenatrische Leistung ist. Als Luhrmann'sches Rauscherlebnis setzt für mich bei "Romeo + Julia" der Kater wesentlich später ein.
Bitte bitte, gern geschehen.
AntwortenLöschenNaja.. ich poste ja nur zu Themen, bei denen ich wirklich der Meinung bin, dass ich noch was mitzuteilen habe. Sooooo oft ist das ja nun auch nicht.
Manchmal sind mir deine Postings allerdings auch etwas zu lang und kompliziert, so dass ich, selbst, wenn ich was zu sagen habe, mich zurückhalte, weil ich noch andere Sachen zu tun hab.
Aber es freut mich, dass es dich freut. :-)
Muss den Atlantis Artikel mal lesen, vielleicht fällt mir dazu ja auch was ein. *g*