Weshalb
Bernard & Bianca im Känguruhland etwas mehr Respekt verdient hat, zeigt sich meiner Meinung nach allein schon im direkten Vergleich mit seinem Vorgänger
Bernard & Bianca aus dem Jahr 1977: Der als Kleinod wertgeschätzte erste Film mit der Mäusepolizei wird in nahezu allen Belangen von seiner Fortsetzung überholt, ach was, zerschmettert!
Bernard & Bianca sieht zunächst einmal ziemlich bescheiden aus. Er hat für einen Disneyzeichentrickfilm schockierend wenig optische Tiefe, die Zeichnungen sind mitunter ziemlich grob und von wenigen Rottupfern abgesehen besteht die Farbpalette aus einem völlig dunklem, dreckigen Mischmasch. Und damit meine ich nicht eine stylische, düstere und dreckige Dunkelheit, nein, der Film ist einfach nur völlig verdunkelt. Er wirkt, als hätte man sämtliche Farbtöpfe mit dem innerhalb eines Jahrzehnts im Disney-Archiv angesammelten Staub gestreckt um Kosten zu sparen.
Die Lieder in
Bernard & Bianca finde ich völlig einschläfernd und dafür, dass es im Film um eine von Mäusen geleitete Rettungsaktion für ein von einer wahnsinnigen Cruella-DeVil-Kopie zur Zwangsarbeit in einem wackeligen Schacht geschundenes Mädchen geht, ist die Handlung sehr arm an Spannungspunkten.
Zugegeben:
Bernard & Bianca ist nicht völlig schlecht, er versprüht sicherlich durchaus eine kleine Prise Charme, für völlig überbewertet halte ich ihn trotzdem. Er sieht nicht besonders aus, im Gegensatz zu anderen Disneyfilmen hat er keine musikalischen Evergreens produziert und seine zwei Protagonisten gehören auch nicht gerade zu den Dauerkandidaten in von Disneyfans erstellten Hitlisten der beliebtesten Charaktere.
Teil 2 ist zwar nicht gerade das absolute Gegenteil, doch
wenn einer der zwei
Bernard & Bianca-Filme Wertschätzung als eines der besseren "kleinen" Disney-Meisterwerke verdient hat, dann ja wohl ganz klar der Ausflug nach Australien (der stattdessen viel eher unter ferner liefen gehandelt wird).
Ganz besonders die Optik von
Bernard & Bianca im Känguruhland ist außerordentlich gelungen und wäre Grund genug dem Film eine etwas sonnigere Position im Disney-Pantheon zu verleihen. Schließlich ist er eine ausführliche und beeindruckende Demonstration des damals neuen (
nicht mit Computeranimation zu verwechselnden) CAPS-Systems, welches hier erstmals den gesamten Film über verwendet wurde.
Dank des in Zusammenarbeit mit Pixar entwickelten, digitalisierten Produktionsverfahrens konnten die von Hand gemalten Hintergründe und die Charakterzeichnungen der Zeichnungen eingescannt werden. Dies ermöglichte wesentlich komplexere Kamerafahrten und eine völlig neue Tiefenwirkung im Film, die selbst mit der Multiplankamera nicht umsetzbar war. Außerdem konnte man die zeit- und kostenaufwändigere Kolorisierung von Hand und das Übertragen der Zeichnungen mit dem so genannten Xeroxverfahren durch digitalisierte Verfahren ersetzen, was vielfältigere Farbgestaltungen ermöglichte.
In
Bernard & Bianca im Känguruhland griffen die Regisseure Hendel Butoy (später auch für die "Pinien von Rom"-Sequenz in
Fantasia 2000 verantwortlich) und Mike Gabriel (Regisseur des 1995 veröffentlichten
Pocahontas) an zahlreichen Stellen auf die neuen technischen Möglichkeiten zurück, fast schon wirkt er wie ein intensives Training mit dem CAPS System: Direkt zu Beginn zoomt die Kamera mit einem Affenzahn quer durch das australische Outback und führt den Zuschauer zur kleinen Hütte in der der tierliebe Junge Cody lebt, welcher einen Hilferuf von seinen tierischen Freunden hört. Nach einem kurzen Querfeldeintrip durch die farbenfrohe Dschungelwelt Australiens befreit er auf einem hohen Felsen die stolze Riesenadlerin Marahute aus einer Wildererfalle. Es folgen atemberaubende Flugsequenzen, die es wirklich vermögen einem das Gefühl des Fliegens zu vermitteln.
Als Cody dann vom fiesen Wilderer McLeach entführt wird, bringt uns der Film kurz ins verschneite, ebenfalls imposante New York, wo Mäusepolizist Bernard in einem schicken Restaurant versucht seiner Kollegin Bianca einen Heiratsantrag zu machen. Doch dank allerlei Missverständnisse und der ewigen Pflicht der Mäusepolizei kommt es, wer hätte es gedacht, ganz anders und stattdessen machen sich die zwei auf zur Rettungsmission des kleinen Codys. Und zwar auf dem Rücken des chaotischen Albatros Wilbur - eine erneute Gelegenheit für tolle Flugsequenzen.
In Australien angekommen treffen Bernard und Bianca auf den "Crocodile Dundee"-Mäuserich Jake, der sich mit seiner Outbackerfahrung und seinem verschmitzen Humor aufspielt und von Bernard gleich als Nebenbuhler eingestuft wird.
Während der Suche nach McLeachs Geheimversteck gibt es weitere beeindruckende Impressionen der australischen Landschaft zu sehen, und McLeachs überdimensionales Jagdgefährt ist mit all seiner (computerunterstüttzen) Komplexizität und Bedrohlichkeit für die Zeit, zu der
Bernard & Bianca im Känguruhland produziert wurde, ebenfalls eine unglaubliche Leistung.
Die Fortsetzung sieht nicht nur wesentlich besser aus als der erste Teil, sie ist, zumindest meiner Meinung nach, auch trotz seiner etwas in die Länge gezogenen Eröffnung wesentlich spannender.
Bernard & Bianca hatte für mich stets eine einlullende Wirkung, daran änderte selbst die keifende und zeternde Bösewichtin nichts, Teil 2 dagegen ist zumindest ein tolles, mildes Familien-Abenteuer mit sehr witzigen, erfrischenden Szenen mit Wilbur und einer nicht oft genug gelobten Arbeit des fantastischen Disney-Animators Glen Keane, welcher in nur wenigen Szenen der Adlerdame Marahute eine beeindruckende majestätische Ausstrahlung verleiht.
Allerdings gibt es auch einige Elemente, die es durchaus verständlich machen, weshalb
Bernard & Bianca im Känguruhland nicht die Popularität anderer Disneyfilme seiner Ära erreichte. Zum einen ist das Repertoire an Nebencharakteren zwar ganz bunt und kurzweilig, jedoch schnell vergessen. Und Jake versprüht manchmal eine zeitgemäße Coolness, oft ist er allerdings eher lästig und unangenehm großkotzig.
Die Hintergrundmusik, die bei Disney-Meisterwerken generell ohrwurmverdächtig sein muss, müsste wesentlich epischer und weniger bescheiden sein, um die beeindruckenden Bilder richtig wirken zu lassen. Und überhaupt bleibt das Visuelle des Films wesentlich besser hängen als die zwar amüsant-spannende, doch nichtssagende Geschichte. Die Pointen werden ebenso schnell wieder vergessen.
Den letzten Nagel im Sarg seiner Bekanntheit bekommt
Bernard & Bianca im Känguruhland zweifelsohne aufgrund seiner "Andersartigkeit" verpasst: Er war erst der zweite abendfüllende Disney-Zeichentrickfilm ohne Musikeinlagen (den Song im deutschen Abspann nicht eingerechnet) und erst 2001 bekamen er und
Taran und der Zauberkessel mit
Atlantis - Das Geheimnis der verlorenen Stadt in ihrem kleinen Club Gesellschaft. Er hat im Gegensatz zu den meisten Filmen der 90er keine überpopuläre Vorlage und generell fühlt er sich mehr an wie ein im Stil der 60er/70er-Disneys gehaltenes Abenteuer im opulenten Gewand der 90er. Kein Wunder, dass er immer wieder aus der Assoziationskette fällt.
Dennoch ist
Bernard & Bianca im Känguruhland ein sehr unterhaltsamer, kleiner Film mit großen optischen Werten und einer disneyhistorischen Signifikanz (erste Fortsetzung eines Meisterwerks, erster komplett mit CAPS produzierter Film), der zudem seinen Vorgänger
Bernard & Bianca winzigklein aussehen lässt. Er mag der schwächste Vertreter der Disney-Renaissance sein, für etwas mehr als eine Stunde gute Unterhaltung mit fantastischen Flugszenen und Hintergründen als Bonus ist er aber allemal zu haben.
Und deshalb hat
Bernard & Bianca im Känguruhland mehr Respekt verdient.
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