Montag, 15. September 2008

VielMontageHasen - Zweite Chance für KeinOhrHasen


Achtung! Dieser Beitrag enthält Spoiler zu KeinOhrHasen. Wer den Film noch nicht kennt und sich von alleine nicht denken kann, wie der Film ausgeht, und zugleich keinesfalls vorher den Ausgang verraten bekommen möchte, darf diesen Artikel überspringen.


Til Schweiger landete letztes Jahr mit KeinOhrHasen einen Volltreffer: Außerordentlich positive Kritiken und viele begeisterte Kinozuschauer mündeten in einen großen Kinoerfolg: Bislang lockte Schweigers Liebeskomödie mit ihm und Nora Tschirner in der Hauptrolle sage und schreibe 6.272.539 Besucher in Deutschlands Kinos, und auch jetzt nach dem DVD-Start befindet sich der Film im Einsatz, sei es in One-Dollar-Houses, auf Open-Air-Events oder in Autokinos.

Einen absoluten, blütenreinen Erfolg gibt es aber natürlich nicht, auch nicht für Til Schweiger. Unter all dem Lob verstecken sich auch gnadenlose Kritken von erbosten Eltern, die mit der ursprünglichen FSK-Freigabe des Films nicht einverstanden waren und Schweiger aufgrund seiner obszönen Sprachwahl an den öffentlichen Pranger stellen wollten. Wie ich finde absoluter Schwachsinn - wenn, dann kann man allein die FSK aufgrund der Jugendfreigabe beschuldigen, und nicht die Filmemacher. Sicherlich ist die Entscheidung der FSK diskutabel, es gilt abzuwägen, ob eindeutige Dialogszenen über Sex einem 6-jährigen Kind schaden (was eine FSK ab 12 nötig macht), oder ob Kinder diese Sequenzen lediglich nicht verstehen. In letzterem Falle wäre eine FSK ab 6 völlig ausreichend, da eine Jugendfreigabe nur eine pädagogische Richtlinie darstellt, ab wann ein Film im Normalfall keine psychisch negative Auswirkungen auf ein Kind hat, und nicht etwa eine Verständnisgarantie.
Die Forderung nach einer FSK ab 12, damit Eltern ihren Kindern nicht Begriffe wie "Blasen" oder "Lecken" erklären müssen war in dieser Form reiner Selbstschutz der Eltern, da Kinder bei Verständnisproblemen immer nachfragen, dass das Thema den Eltern unangenehm sein könnte muss die FSK in ihrer Empfehlung nicht berücksichtigen. Viel entscheidender für die FSK ist, ob der Film z.B. die Sexualmoral nachhaltig beeinflussen könnte. Ich selbst finde da Coyote Ugly (Kinoversion: FSK ab 6) wesentlich eher fehlinterpretierbar und somit möglicherweise schädlicher als KeinOhrHasen, aber dennoch ist die FSK ab 12 akzeptierbar.
Überhaupt - welche Eltern nehmen ihr sechsjähriges Kind in eine Romantikkomödie? Das Genre interessiert doch niemanden, der nicht zumindest mit den Zehenspitzen in der Pubertät angelangt ist. Wenn Eltern also tatsächlich so leerstirnig sind, ihr Kind in einen Film zu zerren, dessen Titel süß klingt und dabei völlig die Inhaltsangaben und das Poster (zwei nackte Menschen unterschiedlichen Geschlechts, liegend im Bett) ignorieren, und sich dann bei den Filmemachern beschweren, dass sie nicht auf ihre Kinder Rücksicht nehmen, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

Doch an dieser Stelle soll nicht die FSK-Freigabe von KeinOhrHasen behandelt werden, sondern eine weitere negative Stimme gegenüber Schweigers Film, abseits der über die Freigabe klagenden Eltern. Nämlich meine eigene Meinung zu KeinOhrHasen.
Ich mochte KeinOhrHasen, fand ihn für einen deutschen Film sehr schön fotografiert, das Casting fand ich bis in die kleinsten (Gast-)Rollen gelungen, und hatte meinen Spaß an den Dialogen. Allerdings fand ich den Ton katastrophal (ich hatte an mehreren Stellen des Films Probleme die Dialoge zu verstehen) und empfand den Film "bloß" als charmant, aber bei weitem nicht so romantisch wie er hätte sein können, wobei die Schuld an der subjektiv wahrgenommenen Überstrapazierung der Montage-Technik lag. Dennoch kam KeinOhrHasen ganz gut bei mir an, wie ihr auch hier lesen könnt. Der riesige Erfolg an den Kinokassen überraschte mich jedoch. Ich hätte Barfuss solche Zahlen gewünscht, und KeinOhrHasen im Ausgleich ähnliche Zahlen wie besagtem Vorgänger zugetraut.

Kurioserweise fällt KeinOhrHasen in die Kategorie der Filme, über die ich gerne mehr wissen möchte, die meine Wissensbegierde wecken. Deshalb besorgte ich mir auch die 2-Disc-Edition im so genannten Flipbook, einer leicht instabilen, aber für Kurzweil sorgenden Papp-Verpackung die optisch etwas an Pralinenschachteln erinnert.

Das Bonusmaterial ist wirklich klasse, da sehr ausführlich und dank Schweigers Kommentaren auch kurzweilig. Die "Deleted Scenes"-Sektion dehnt sich auf über 50 Minuten mit entfallenen und gekürzten Szenen aus, deren Rausschmiss aus dem Kinofilm Schweiger ausführlich erklärt. Schweiger gibt auch ein gelungenes Interview, in dem er über die Produktion des Films und seine Rezeptionsgeschichte erzählt. Dabei spricht er auch die FSK-Diskussion und den Streit mit der Filmakademie an, ist dabei selbstreflektiv und ehrlich. Sogar die Posterentwürfe kommentiert Schweiger, was wohl ein Novum in Sachen Bonusmaterial darstellt und wirklich begrüßenswert ist. Aber auch der Rest der Extras ist sehr gelungen und deckt alles ab, was man über diesen Film wissen wollte.

Die Extras machen die Mehrinvestition gegenüber der Single-Disc lohnenswert. Die Hauptsache ist aber natürlich weiterhin der Film, dem ich nun auf DVD eine zweite Chance geben wollte. Vor allem wollte ich meine Kritik an den vielen Montagen überprüfen, da sich viele meiner Freunde und Bekannte sehr darüber wunderten, dass es mir echt so viel vorkam. In dieser Hinsicht bin ich uneitel und zugleich neugierig, und deshalb stoppte ich beim Ansehen die Zeit mit. Wieviel Prozent von KeinOhrHasen sind Montagen? Sind es faktisch zu viele, oder sind sie bloß so unglücklich platziert, dass es mir so vorkommt, als seien es so viele? Die Wirkung auf mich als Zuschauer wäre in beiden Fällen ähnlich, doch im ersteren Fall wäre es natürlich die pessimistischere Version, da sich dann die Kritik an KeinOhrHasen förmlich aufdrängt, während es im zweiten Falle auch meiner Sehgewohnheit geschuldet wäre, dass mir der Film nicht so sehr gefällt, wie es sein Potential möglich mache.

Also: Film eingelegt, Zeit gestoppt.

3:51 - 5:36: Nach dem Intro mit Jürgen Vogel folgt eine dynamisch gefilmte Autofahrt durch das dank Farbfilter optisch aufgemöbelte Berlin. Die flotte Musik im Hintergrund und die englischen Credits lassen den Film sehr amerikanisch wirken.

5:37 - 6:30: Die vorhin noch gelobte Musik wird jetzt zu laut aufgedreht, es wird schwerer die Darsteller zu verstehen.

20:01: Ich beginne an meiner Kritik zu zweifeln, so viele Montagen und Montagen ähnelnde Szenen gab es bis jetzt auch wieder nicht.

25:28: Jetzt beginnen die Rückblicke auf Ludos und Annas gemeinsame Kindertage. Der kleine Ludo und die junge Anna werden übrigens von den Schweiger Sprößlingen gespielt, die den Mund auch richtig aufmachen können, im Gegensatz zu Chayenne Blue, die von Emma Tiger Schweiger gespielt wird. Bei der muss ich meine Ohren ziemlich anstrengen. Aber sie guckt süß.

25:40 - 27:18: Ich wusste, da war noch was. Die "Pointen" in den Flashbacks, die Udos Streiche zeigen, werden von dem Song aus dem Vorspann untermalt, der auch hier ziemlich laut aufdreht. Das macht die gesamte Szene nicht zur Montage, hinterlässt rückblickend aber einen solchen Eindruck. Ich mag übrigens die Farbgebung in diesen Szenen.

52:33: Nur so nebenbei, dafür dass der Film so lang ist, freunden sich Ludo und Anna etwas schnell an. Kam mir bei der ersten Betrachtung noch gar nicht so vor, jetzt stört es mich ein klein wenig...

55:37 - 56:35: Nora Tschirner zieht sich aus. Das freut die moralsauren Eltern und wird den Film, sollte er es auch in die USA schaffen, auf der anderen Seite des großen Teichs noch sehr beliebt machen. Vom kommenden Dialog über Cunnilingus-Techniken ganz zu schweigen. Und wehe, irgendwer beschwert sich, dass seine kleinen Geschwister oder Kinder nun nervige Fragen über Cunnilingus stellen... Was lasst ihr die das hier denn auch lesen?
Ach ja, die Musik hier kommt mir auch sehr bekannt vor, die kam einige Minuten vorher bereits vor und war auch dort ein wenig zu stark über den restlichen Ton gemischt. Jetzt stört's aber wirklich: Den Text von Annas Freundin habe ich kaum verstanden. So eben hat sich die gerade laufende Szene mit der Szene, in der das Lied erstmals vorkam, in meinem Kurzzeitgedächtnis vereinigt. Meinen Internetsüchtige aus dem US-Sprachraum etwa das, wenn sie vom "Mindfuck" sprechen?
Naja, vielleicht lecken sich die zwei Szenen auch nur...

1:11:46 - 1:14:13: Die zentrale Liebesmontage. Die eigentliche Szene begann schon bei Minute 71, die Musik ging 33 Sekunden später los. Die Musik wird langsam wieder ausgeblendet.

1:15:32: Nun ist auch die Szene zu Ende, in der die Montage-Musik ihren Schluss fand.

1:17:24 - 1:18:55: Bei einem Workshop wurde mir mit dem Holzhammer eingedroschen, dass man unter zentrale Dialoge niemals Musik mit Texten legen soll. Wenn man den Song aber unbedingt verwenden möchte, sollte man die Gesangspausen für den Dialog ausnutzen. Beide Regeln werden gerade über den Haufen geworfen. Ich weiß nicht, ob ich Nora und Til oder dem Gesang zuhören soll. Die Musik ist sicher auch zu laut, aber ich will hier ja keine Haare spalten.

1:20:04 - 1:22:23: Anna erwischt Ludo auf Chayenne Blues Mutter. Nackt. Es gibt Zoff. Als ich den Film zum ersten Mal sah, dachte ich kurzzeitig, dass er tatsächlich hier zu Ende geht. Muss ja nicht alles ein Happy End haben. Der Film nimmt aber doch noch eine Kurve und geht weiter. Außerdem kam Apologize von OneRepublic noch nicht vor - wenn ich damals gewusst hätte, dass der Song im Film vorkommt, wäre mir diese unkonventionelle Idee gar nicht erst in den Sinn gekommen.
Diese Szene wirkt übrigens rückblickend wie eine Montage, in Wahrheit sind es Blenden und Gegenschnitte. Ist aber egal, ich weiß nämlich noch, dass ich damals nach verlassen des Kinos wirklich dachte, dass der Inhalt dieser rund zwei Minuten in einer Montage erzählt wurden...

1:30:16 - 1:32:22: *mitsing* I'm holding on your rope, got me ten feet off the ground... And I'm hearing what you say but I just can't make a sound... *mitsing*
Eigentlich könnte man auch von KeinOhrHasen eine Karaoke-Version ins Kino bringen... Wäre da nur nicht die Stelle, wo sich Jürgen Vogel mit einem Reporter anlegt. Der Dialog beginnt nämlich exakt mit einer Strophe. Die lange instrumentale Stelle vorher hat man natürlich nicht ausgenutzt. Wie will man da Mitsingen und zugleich den Dialog verfolgen? Wie auch immer, gutes Lied, es passt perfekt in den Film und diese Szene und ich finde es genial, dass das Material live auf dem roten Teppich des Bundesfilmpreises gedreht wurde. Das hat was für sich.

1:35:47 - 1:38:33: Die Rapversion des Zauberlehrlings passt hervorragend zu dieser Szene, vor allem die Stimmung der Musik scheint förmlich die Gefühlswelt Ludos in diesem Moment wiederzuspiegeln. Mittlerweile habe ich an der Szene auch nichts auszusetzen, aber der Rap ist so präsent eingesetzt worden, dass ich beim ersten Ansehen letztlich gar nichts mitbekam, da ich dauernd zwischen den Kindern und den Dialogen hin- und herschwankte.

1:38:58 - 1:40:37: Da ist die eine Szene mit etwas zu lauter Musik zu Ende, schon geht der Film fast lückenlos hinüber zu der Sequenz, die ich gerne "die Hampelmann-Montage" nenne. Die Stelle hier hätte wirklich besser ohne die Kombination aus stumm gestellter Szene und aufgedrehtem Song funktioniert.

1:43:04 - 1:45:27: Der alte Taxifahrerwitz, den Schweiger laut eigener Aussage aus dem Playboy oder Penthouse hat mag ja gut zum Schluss des Filmes passen, aber warum muss mitten in dieser Szene auf die Musik geblendet werden? In den Deleted Scenes sieht man eine andere Fasung ohne penetrante Musik, die mir sogleich auch besser gefällt.
Das Lied geht noch zu einer kurzen Gagszene über, dann beginnt der Abspann.

Was schlussfolgere ich daraus? Nun, wirkliche Montagen gibt es nicht ganz so viele (nur die zentrale Liebesmontage), aber gleich mehrere stilistisch artverwandte Sequenzen (die Flashback/Dialog-im-Hier-und-Jetzt-Montage, die Gegenblenden beim verpatzten Date, das stetige auf die Musik überblenden und den restlichen Ton abschalten am Ende) sowie einige schlecht abgemischte Momente.

0,1% Nicht einzuordnende Übergänge

Meine Montage-Kritik an KeinOhrHasen war also zum Großteil meinem subjektiven Empfinden geschuldet, die restliche Kritik hat sich in meinen Augen nun jedoch bestätigt.
Was die Montagen angeht, stehe ich dem Film nun etwas milder gegenüber, aber dafür finde ich die erste Versöhnung zwischen Anna und Ludo etwas verfrüht. An meinem Gesamturteil ändert sich also nichts: KeinOhrHasen ist recht gut, könnte aber besser sein und ist allgemein leicht überschätzt, erst Recht wenn man ihn mit dem ungleich gelungeneren Barfuss vergleicht.

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