Mittwoch, 4. Juni 2008

Interview


Kammerspiel um Journalismus, Schauspielerei und Geheimnisse

Der niederländische Regisseur Theo Van Gogh machte in Deutschland erst Schlagzeilen, als er von einem fanatischen Islamisten aufgrund einer kritischen Dokumentation getötet wurde. Die vorherigen Filme des kontroversen, aber auch gefeierten Regisseurs sind in Deutschland nahezu unbekannt, und das obwohl sie aus unserem Nachbarland stammen.

Ein Wunsch des Regisseurs war es stets seine Filme später mit Freunden in Hollywood neu zu produzieren - sozusagen als Erfüllung seines letzten Willens startet mit Interview nun das erste von drei geplanten US-Remakes seiner Filme in den deutschen Kinos.

Den Regieposten sowie die männliche Hauptrolle und einen Credit als Co-Autor übernahm der sowohl im anspruchsvollen, als auch im Blockbuster-Kino erfahrene Steve Buscemi (Fargo, Desperado, Con Air, Armageddon). Er verkörpert den mürrischen Polit-Journalisten Pierre Peters, welcher gegen seinen Willen einen Artikel über eine heiße Krise in der US-Regierung in den Wind schlagen muss um stattdessen das Starlet Katja zu interviewen.
Katja ist Soap-Schauspielerin, war in Sequels von Slasher-Horrorfilmen zu sehen und ist vor allem für ihr Privatleben bekannt, in dem sie schon zahlreiche Verflossene hatte. Gespielt wird das blonde Püppchen von Sienna Miller, die hauptsächlich für ihre Liaisons mit Daniel Craig und Jude Law bekannt wurde. Welch feiner Sinn für das wahre Leben, dass das Casting hier beweist.

Doch dieser Clou ist kein kleiner Hauch von Ironie, Zufall oder Gag. Nein, er kommt dem Film zu gute, und das ist völlig beabsichtigt.
Denn dadurch, dass die Rollenverteilung noch vor dem Filmstart klar umrissen ist, kann Regisseur Steve Buscemi sofort quer in die Geschichte des knapp 90-minütigen Films einsteigen: Journalist Pierre Peters macht sich genervt auf zum Interview und wartet knapp eine Stunde auf das Starlet, welches gerade eben noch für ihre Soap-Rolle probte. Peters ist dementsprechend genervt, doch er ist nicht der einzige, der keinerlei Sympathie für sein Gegenüber aufbringen kann. Katja ist mindestens ebenso genervt von Peters, wie er von ihr. Denn dieser hat sich kein bisschen vorbereitet, weiß nahezu nichts über Katja - was sie mehr und mehr nervt.

Schnell platzt der Termin in einem Restaurant, doch dann kommt alles anders und Pierre Peters und Katja geben sich gegenseitig noch eine Chance: Sie führen das Interview in Katjas nahe gelegenen Loft weiter. Allerdings entspannt sich die Lage dort keineswegs: Tiefschürfende Anfeindungen, Mitleidsbekundungen und Gehässigkeiten überschatten das eigentlich geplante Interview, die Grenzen zwischen Interviewer und Interviewte verschwimmen, es entwickelt sich ein kleines Machtspiel.

Kaum betreten Pierre und Katja das Loft, beginnt auch der eigentliche Film, ab hier startet das dramatische und wird mit den von massentauglicheren Filmen geprägten Zuschauererwartungen gespielt. Alle paar Minuten schwankt die Stimmung von einem Extrem ins andere, und dank der packenden Inszenierung Buscemis lässt sich der gebannte Zuschauer auch auf alle Eventualitäten ein.

Das funktioniert natürlich auch nur, weil die Darsteller voll und ganz zu überzeugen wissen. Buscemis intensive Darstellung ist dabei für den Kenner keine Überraschung, aber dass er dabei Sienna Miller keineswegs an die Wand spielt, sondern sie viel mehr zu ungeahnten Höchstleistungen antreibt, lässt den Zuschauer durchaus baff dasitzen. Miller ist nicht bloß gut anzusehen, sondern verkörpert innig ihre Rolle, weißt ein facettenreiches Spiel auf. So vertieft sich die Komplexizität der Geschichte, lässt eine eingehende Analyse des Films nach dem Kinobesuch zu. Doch bereits während des Films ist der Zuschauer gefordert, muss die Aussagen und Behauptungen der Charaktere auf die Goldwaage legen - wer beabsichtigt was mit seinem Handeln?

Jeder Kinogänger, der nichts dagegen hat, wenn ein Film nur aus Dialogen zwischen zwei Leuten besteht, sollte sich Interview angucken, so lange er noch im Kino läuft. Denn die sogartige Wirkung des Films, die den Zuschauer mit der Zeit glauben lässt im Loft eines Starlets Mäuschen spielen zu können und Zeuge eines fragwürdigen Interviews zu werden kann sich nur im Kino völlig entfalten.

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