Der Film:
Ein lüstern waberndes Saxophon erklingt, sanft gibt ein Schlagzeug den Takt vor. Gitarren heizen die Stimmung weiter an. Die Stimmung explodiert förmlich, als eine verführerische Brünette im roten Leder-BH und goldenem Minirock das Bild betritt. Leidenschaftlich tanzt sie zur Musik - oder folgt die Musik den leidenschaftlichen und feurigen Bewegungen dieser wohlgeformten Tänzerin?
Sie zeigt ihre Kurven, weiß ihren Körper einzusetzen, kokettiert mit den schmutzigen Gedanken der männlichen Zuschauer, räkelt sich im anrüchig-sinnlichen Rotlicht, das die Bühne nicht mehr als nötig beleuchtet.
Dieser Vorspann knistert nur so vor Erotik. Wortwörtlich. Der Film ist kurz vor'm durchbrennen, so heiß ist die uns bislang unbekannte Frau auf der Bühne. Das Bild springt, hat Aussetzer. Der Ton knistert frivol, Dreck aus dem ungepflegten Projektorraum setzt sich an dem Zelluloid fest. Die Farbe ist verwaschen, zieht den Zuschauer in einen Bann. Der Reiz des Schmutzigen, des Verbotenen.
Es gibt Filme, die automatisch Kult sind. Darunter auch das gemeinsame Kinoprojekt von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez: Grindhouse. Seinen Ursprung hat dieses Projekt in den Billigkinos Amerikas. Zumeist Bruchbuden, die ihre Zuschauer mit Double Features lockten und Filme zeigten, die nicht in den größeren Kinos anliefen. Filme voller Gewalt, Sex, Drogen, seltsamen Dialogen und schrägen Typen.
Dieses Erlebnis ahmt Filmfan Quentin Tarantino noch heute in seinem Heimkino nach. Mit kleinen Filmchen und Trailern spult Tarantino die abgenutzten Filmrollen ab. Tonaussetzer, desaströse Farben und zahlreiche Dreckspuren sorgen für ein ganz anderes Filmerlebnis.
Und so kam 2003 den engen Freunden Rodriguez und Tarantino die Idee gemeinsam ein Double-Feature namens Grindhouse zu drehen. Ein Film, der die kleinen Kinos und ihre an den Haaren herbeigezogenen Streifen Tribut zollt - und sie auch übertrumpft. "Die Poster (für Grindhouse-Filme) waren so viel besser als die Filme, doch wir machen nun etwas, das sich mit den Postern messen kann!", erklärte Rodriguez in einem Interview.
Anfangs sollten die zwei Filme, die zusammen mit Fake-Trailern Grindhouse ergeben würden, 45 bis 60 Minuten dauern. Doch im Laufe der Skript- und Planungsphase mutierten die Episodenfilmchen zu eigenständigen Spielfilmen in voller Länge.
Grindhouse wurde zum 215-minütigen Mammutfilm, der Hype nahm riesige Formen an. Die Trailer waren großartig, die Poster mehr als nur vielversprechend. Hervorragende Kritiken ließen Filmfans immer heißer auf Grindhouse werden.
An den Kinokassen erfüllte Grindhouse leider nicht die Erwartungen, doch dies machte seinem Kultfaktor keinen Abbruch. Grindhouse gehört nicht dem Massenpublikum. Er gehört den Cineasten, den Genrefans und Filmliebhabern, den Verehrern Tarantinos und Rodriguez'.
Aus Angst, Nicht-Amerikaner könnten den Sinn hinter Grindhouse nicht verstehen, wurde der Film zweigeteilt.
Rodriguez' Hälfte heißt Planet Terror und zeigt erneut, wieviel der Texaner als Regisseur auf dem Kasten hat.
Der Film ahmt nicht nur den Look abgenutzter 70er und 80er-Jahre B- und C-Movies nach, sondern setzt diese Grindhouse-Effekte mit Bedacht, Sinn und Verstand ein. Wie im oben beschriebenen Intro des Films: Es ist oberflächlich gesehen eine stupide Zuschaustellung von optischen Reizen. Sex sells.
Das Intro nimmt die eh vornehmlich männliche Zuschauerschaft ganz und gar für sich ein - auf eine Art und Weise, wie sie aus einem echten Grindhouse-Film stammen könnte. Die Bildfragmente, Tonstörungen und der schief dahinknatternde Film verstärken den Eindruck, einen Film aus der hintersten Ecke eines eingestaubten Kinos zu sehen.
Aber auf der Metaebene korrespondieren die "Fehler" mit dem Inhalt des Films. Als sich die von Rose McGowan verkörperte Figur Cherry Darling nach vorne lehnt und fast nur noch ihr Dekolleté von der Kamera eingefangen wird, erfüllt ein riesiges Brandloch das Bild, aufwändigere Tanzschritte haben ein verstärktes Aufkommen von Farbfehlern oder einem verschobenen Bildausschnitt zu Folge und in dem Moment, in dem die Musik förmlich zu glühen beginnt und ein genialer Einfall seitens der Kameraführung (auf den wohl kein echter Grindhouse-Regisseur gekommen wäre) dem Zuschauer noch mehr Erotik vorgaukelt, als auf dem Bild eh schon vorhanden ist, springt die Filmrolle fast aus ihrem Projektor.
Diese Metaebene zieht sich durch den gesamten Film, und sorgt dafür, dass die künstlichen Abnutzungseffekte dem Film nicht nur seine Schmuddelatmosphäre verleihen, sondern ihm auch einen eigenen, verschrobenen Filmliebhaberhumor geben. Ganz zu schweigen von diesem subtilen Schleier des Anspruchs - den es so in einem Zombiehorrorsplatteractionmovie eigentlich nicht gibt.
Die Effekte im Intro unterstützen die Figur der Cherry Darling. Sie ist eine gut aussehende Frau mit Humor, zweifelsohne. Doch dadurch, dass ihr Tanz sogar das Zelluloid, auf dem er gebannt wurde um den Verstand bringt, wirkt sie wie die ultimative sexy Teufelsbraut.
Im restlichen Film finden sich weitere Einsätze der Abnutzungserscheinungen. So werden z.B. Szenen, die vor lauter Anspannung und düsterer Atmosphäre knistern und das Publikum in Erwartung eines Schockeffektes erschaudern lässt von verstärkten Bildproblemen begleitet. Der Horror entsteht dadurch, dass das Publikum etwas erwartet, es aber noch nicht sieht. Nun sieht es aber noch weniger, als es in einem normalem Film der Fall wäre.
Eine anderer, subtilerer Effekt, ist in Szenen zu beobachten, in denen Figuren eine Schnitt- oder Hack-Bewegung mit ihren Händen simulieren. Hier lässt sich beobachten, wie Teile von Einzelbildern abgeschnitten wurden, und die Filmrolle recht unbeholfen vom (vermeintlichen) Vorführer wieder zusammengeklebt wurde.
Natürlich beschränkt sich die weitergesponnene Hommage an Grindhouse-Filme nicht nur in einzelnen Szenen und dem Look des Films. Auch die Geschichte ist völlig an den Haaren herbeigezogen und simpel zusammen geschustert. Wie es sich für Grindhouse ja auch gehört.
Planet Terror handelt von der Go-Go-Tänzerin Cherry Darling, die ihre Stelle kündigt und nach einem neuen Sinn in ihrem Leben sucht. In JTs Barbeque-Restaurant "The Bone Shack" - welches laut JT (Jeff Fahey) das beste Barbeque von Texas anbietet - begegnet sie zufällig ihrem etwas eigenen und zerknautscht-mürrischen Exfreund Wray (überzeugend in seiner ersten Actionrolle: Freddy Rodriguez). Dieser bietet ihr an, sie zurück in die Stadt zu fahren. Auf dem Weg dorthin werden sie jedoch von Sickos angefallen - Menschen, die durch ein im nahe gelegenen Militärcamp ausgetretenes Gas zu einer nach Fleisch gierenden Art von Zombies mutierten.
Parallel zu dieser Geschichte bekommt das Publikum auch die Medizinerfamilie Block vorgestellt, bestehend aus der Anästhesistin Dakota Block (die charismatische Marley Shelton), ihrem Mann Dr. William Block (besonders mürrisch: Josh Brolin) und ihrem Sohn. Dakota und William haben an diesem Mittwoch die Nachtschicht im Krankenhaus der Stadt, wo ihnen mehr und mehr seltsame Fälle von Entzündungen und seltsamste Todesfälle begegnen. Zugleich sieht sich das Ehepaar großen Beziehungsproblemen ausgesetzt. William Block traut seiner Frau nicht mehr, Dakota fürchtet aufgrund der psychopatischen Ader ihres Mannes um ihr Leben.
Als sich die Sicko-Plage weiter ausbreitet treffen die Protagonisten noch auf die Polizisten der Stadt, darunter Sheriff Hague (Michael Biehn), JTs gestrengen Bruder.
In bester Grindhouse-Manier wird diese große Menge an Charakteren nach und nach zusammengewürfelt, um dann als letzte Hoffnung für die Menschheit gegen die Zombies und gegen übergeschnappte Soldaten zu kämpfen.
Der Titel "Planet Terror" hat allerdings, wenn überhaupt, nur sehr wenig mit dem Film zu tun. Viele Verleiher verpassten ihren Filmen seinerzeit völlig hochtrabende Titel, die andere Storys versprachen, als sie geboten wurden. Und als Hommage an das Grindhouse-Kino von anno dazumal wählte auch Robert Rodriguez einen leicht irreführenden Titel.
Die eigentliche, an den Haaren herbeigezogene, Geschichte von Planet Terror bietet mit ihrem (absichtlich) einige Nummern zu großen Figurenrepertoire jede Menge schwarzen Humor, verschrobene Spannung und hanebüchene Action mit einem überdeutlichen Augenzwinkern. Dabei spielt es keine Rolle, wie bewandert man nun im Zombie-Action-Horror-Thriller-Splatter-Genre bewandert ist, so lange man weiß, dass der Film absichtlich sinnlos ist, hat man beim Anblick dieses Streifens eine unbändige Freude. Wobei Kenner natürlich durch direkte Zitate, Anspielungen und Gastauftritte immer ein kleines bisschen mehr Spaß haben werden.
Dabei muss man nicht Mal die Zombie- und Horrstreifen der 70er bis 80er Jahre kennen, um Details zu erkennen, die dem normalen Zuschauer verwehrt bleiben. Auch Vorkenntnisse der Werke von Tarantino und Rodriguez erhöhen den Spaßfaktor:
Wer etwa niemals Kill Bill oder From Dusk Till Dawn sah wird wohl kaum mit großen Augen den Auftritt des Schauspielers Michael Parks betrachten - und nur Kenner von Rodriguez 7.000-Dollar teuren Film El Mariachi werden bei der Vorstellung von den Assistenten des Sheriffs verstohlen grinsen.
Generell ist Rodriguez' Beitrag zum Grindhouse-Projekt mehr die Mordsgaudi (bei dem Bodycount des Films gerne auch wörtlich zu nehmen), der heiter-frivole Beitrag, der die Sinnlosigkeit und Verdorbenheit des Gammelkinos zelebriert. So wundert es auch nicht, dass hier (im Gegensatz zu Tarantinos anspruchsvolleren Death Proof) auch keine schauspielerischen Akzente gesetzt werden. Der große Cast hat hier einen riesigen Spaß, füllt die Charaktere mit Leben und hat aufgrund der freien, gesetzeslosen Art des Films auch sichtbare Spielfreude. Besondere Tiefe im Spiel würde aber wieder das Konzept zerstören.
Besonderes Lob hat sich dennoch der Star des Films, Rose McGowan, verdient, die ihr eine auf den leib geschneiderte Rolle ausfüllen darf und mit Cherry Darling ihre Paradefigur durch die Zombiemengen schießen darf.
Allein schon das Poster des Films lebt allein schon von ihr und dem irren visuellen Einfall, ihr eine MG als Beinprothese zu verpassen. Dieser Gag wird niemals alt.
Planet Terror ist ein kultiger Spaßfilm, und auch wenn er auf seiner Metaebene auch zahlreiche helle Momente hat, so geht es hier um derbe Gags, blutige Action und B-Movie-Suspense. Deshalb ist Planet Terror für sich betrachtet eine Unterhaltungsgranate, aber auch der Grindhouse-Part der wesentlich stärker von seinem "Gegenpart" profitiert.
Tarantinos Death Proof besteht auch ohne den Grindhouse-Rahmen den Test und verliert nur Minimal an Reiz.
Deshalb sollte man sich am besten gleich beide Filme anschaffen (und auch zusammen gucken).
Die DVD:
Planet Terror erschien in Deutschland in (bislang) 3 Fassungen: Als ungeschnittenes Verleih-Steelbook, als um knapp 7 Minuten gekürztes Verkaufs-Steelbook (in dieser Fassung fehlen der Fake-Trailer Machete, zahlreiche Gewaltspitzen sowie einige Dialoge und Gags) sowie als ungeschnittene sowie limitierte 2-Disc-Edition.
Die 2-Disc-Edition befindet sich, genau wie Death Proof in einer stylischen Metalldose mit passendem Grindhouse-Design. Während die Box zu Death Proof eine Öl- oder Benzinkanne darstellt, ist Planet Terror einer Munitionsbox nachempfunden.
In der Box befindet sich ein Papp-Digipack, welches das Themening perfekt weiterführt und außerdem eine Postkarte (mit dem DVD-Cover) und die zwei DVDs beinhaltet. Die DVD-Oberschichten entwickeln bei Berührung einen Eigengeruch. Faszinierend ist, dass man fünf Leute um die DVDs versammeln kann, und jeder etwas anderes riecht.
Meiner Meinung nach ist es der Geruch leicht abgestandener BBQ-Soße, andere vermuten Leder, Schießpulver oder mit Schießpulver bedecktes Leder. Andere vermuten die Chemiekeule, die im Film die Epidemie auslöste.
Außerdem befinden sich in der Box ein ziemlich sinnloses, aber faszinierendes Blood-Pack. Es ist wie eine Lavalampe. Je länger man darauf guckt, desto gebannter ist man davon.
Für diejenigen, die kein Kunstblut herumdrücken wollen gibt es letztlich noch ein Stück Karton, auf dem das Rezept für JTs Barbequesoße abgedruckt ist.
Bild, Ton, Bonusmaterial:
Das Bild ist gestochen scharf - so weit man das bei diesem Film überhaupt sagen kann. Selbiges gilt auch für den Ton, den es auf deutsch in DTS 5.1 und Dolby 5.1 gibt. In diesem Format ist auch die englische Tonspur gehalten.
Das Bildmaster auf der DVD ist ein deutsches - was manche Leute ziemlich abnervt, da sie den Film auf englisch sehen wollen und dann mit deutschem Bild konfrontiert werden. Meiner Meinung nach ist es dagegen löblich, da ich mich bei vielen Filmen darüber ärgere, dass ich im Kino noch deutsches Bild hatte, nun aber nicht mehr. Wer Filme eh nur im O-Ton guckt, kann auch direkt importieren.
Aber das ist halt Geschmackssache.
Auf Disc 1 beherbergen sich neben dem Film noch Robert Rodriguez' launischer und zugleich informativer Audiokommentar sowie eine Audiospur mit texanischem Kinopublikum. Leider gibt es nicht sehr viel von dem Publikum zu hören, was daran liegt, dass das Publikum die kürzere Grindhouse-Fassung sah, auf der DVD aber die internationale Langfassung enthalten ist. Da hat die Publikums-Audiospur bei Sin City mehr Spaß gemacht.
Außerdem gibt es eine kleine Galerie, und je einen deutschen Trailer zu Death Proof und Planet Terror.
Besonders erwähnt werden sollte noch, dass der völlig schwachsinnige, und gerade deshalb so geniale Fake-Trailer Machete ebenfalls auf dieser DVD ist. Für die anderen Fake-Trailer hat es jedoch leider doch nicht gereicht.
Auf Disc 2 befindet sich das restliche Bonusmaterial.
Die 10-Minuten-Filmschule ist wiedermal länger als ihr Titel verspricht und bietet ein informatives Making-Of, das zeigt, wie Robert Rodriguez seine Filme dreht. Und da der Kerl so viel wie möglich selbst und möglichst schnell macht erklärt sich auch, warum seine Filme so niedrige Budgets haben.
Die zwei Featurettes "Die Girls von Planet Terror" bzw. "Die Jungs von Planet Terror" zeigen in 11 bzw. 16 Minuten kurz und knapp, was die Darsteller zu ihren Figuren zu sagen haben und welche Entscheidungen hinter ihrem Casting stehen.
"Casting Rebel Rodriguez" ist ein etwas trockener 5-Minüter darüber, dass der Regisseur seinen Sohn in den Film steckte.
13 Minuten lang klärt ein weiteres Extra über die Stunts auf. Und im letzten Extra "Der Freund, der Arzt und der Grundstücksmakler" gibt es einen weiteren, sehr unterhaltsamen Blick, auf Rodriguez' sehr eigensinnige Castingentscheidungen - die sich aber mal wieder voll und ganz auszahlten.
Fazit:
Planet Terror ist ein derber Mordsspaß mit herrlicher Ironie, der vor Testosteron und Ideen nur so überspritzt. Wer sich diesen genialen Film in der Langfassung ansehen möchte, sollte sich diese liebevoll gestaltete DVD-Veröffentlichung nicht entgehen lassen. Besonders zusammen mit dem genauso großartig auf DVD präsentierten Death Proof ist stundenlanger Spaß an postmodernem, selbstreferenziellem Kino garantiert. Und obendrein sieht das alles im DVD-Regal obercool aus.
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