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Mittwoch, 5. März 2008

No Country for Old Men, Friendo


Die faszinierende, karge Landschaft von Texas: Staubtrockene Wüste, die Luft flirrt vor Hitze. Eine starre Kamera fängt die endlose Gegend ein, während ein alternder, unzufriedener Polizist über seinen Beruf, Gewalt und den Wandel der Zeit erzählt.

Der Anfang von No Country for Old Men sagt alles nötige über den Film aus. Es ist ein stiller Film, der auf Filmmusik verzichtet und keine Eile hat. Die Geschichte hat ihr eigenes Tempo und die Regie führenden Brüder Joel und Ethan Coen überlassen es den Geschehnissen auch, sich so zu entwickeln, wie es ihnen beliebt. Die Kameraarbeit ist subtil. Zurückhaltend. Die wenigen Kamerafahrten, die der Film zu bieten hat sind unspektakulär. Fliegende Helikopteraufnahmen oder hastige Wackelkamera-Verfolgungsjagden sucht man vergebens. Entscheidend ist was die Kamera aufnimmt. Die Landschaft, die grandiosen Darsteller. So zieht der Film sein Publikum in seinen Bann. Versetzt ihn in die Geschichte.
Ähnlich wie der große Oscar-Konkurrent There Will Be Blood ist auch No Country for Old Men kein Film großer Worte - die vorhandenen Dialoge sind dafür umso großartiger.

Zu seiner vollen Entfaltung kommt No Country for Old Men schließlich mit der Einführung von Anton Chigurh (Javier Bardem), einem psychopatischen Killer, der nicht nur einen Auftrag befolgt, sondern auch aus genereller Mordeslust nahezu jeden tötet, der ihm in Weg steht oder ihn unnötig nervt. Nur einige wenige können bei einer Partie Münzewerfen ("Kopf oder Zahl?") das Schicksal in die eigene Hand nehmen - so sehr es bei einem auf Zufall basierenden Spiel geht. Bardem füllt die gesamte Leinwand mit seiner Präsenz - Chigurh spricht nicht viel, seine Mimik ist zurückhaltend. Doch jedes Muskelzucken, jeder Ton den er macht erfüllt den Raum mit einer nicht zu definierenden Bedrohung. Die Angst seiner Opfer nährt beim Publikum weitere Anspannung.

Chigurhs Zielperson ist Josh Brolins Charakter Llewelyn Moss, ein waschechter Texaner mit Schnauzbart, Cowboyhut und Wohnsitz in einem Trailerpark. Dieser kernige Typ, der genau wie Chigurh nur selten redet, aber dem der Zuschauer trotzdem (oder gerade deshalb?) bei jedem Wort an den Lippen hängt entdeckt zufällig 2 Millionen Dollar - genau das Geld, dass Chigurh beschaffen sollte. Von nun an kann Llewelyn nicht mehr sicher leben. Er schickt seine Frau weg und macht sich nun auf sein eigenes Leben vor dem ominösen Killer zu retten.

Dritte Hauptperson ist Ed Tom Bell, gespielt von Tommy Lee Jones. Der alternde Polizist, der das Intro sprach ist die redseligste Figur im Film. Stets einen weisen Spruch auf den Lippen und mit Hang zum Abschweifen gibt er krude Geschichten von sich und bleibt zugleich nachdenklich, melancholisch. Als Philosoph und zynischer Humorist weiß er zu überzeugen, auch seine Schlussfolgerungen sind treffend. Doch sonst sind seine Fähigkeiten beschränkt, größere polizeiliche Erfolge konnte er schon länger nicht mehr aufweisen.

Nun jagt der Killer den grummelnden Texaner, und der Polizist geht diesem Fall nach. Klingt nicht gerade nach Oscar-Material?
Durchaus richtig! Denn es ist nicht die Grundlage, die die zahlreichen Preise und das zahlreiche Kritikerlob erhielt, sondern das, was die Coens daraus gemacht haben. In der Umsetzung liegt die Innovation, nicht in der Geschichte von Katz und Maus.
Vor allem die Langsamkeit des Films ist herauszustellen. Keine der Figuren hat es eilig, in der knalligen Hitze Texas' rennt niemand und Auto wird auch nicht schnell gefahren. Die Inszenierung passt sich den Figuren an - bedächtig gewählte Kameraeinstellungen, minutenlange Szenen in denen kaum oder gar nicht gesprochen wird. In einer Zeit, in der man die Qualität eines Thrillers an den durchgedrehten Reifen und gebrochenen Tempolimits auf überfüllten Highways misst, lassen sich die Coens die Zeit, minutenlang einen Ort zu zeigen, an dem nichts mehr passiert, weil schon alle weg sind.

Doch es ist diese Behäbigkeit, die paradoxerweise die Spannung in die Höhe treibt und beim Zuschauer das Herz rasen lässt. Wenn Chigurh um eine Motelanlage schleicht, rutscht das Publikum auf die Kante der Kinosessel. Und wenn der Polizist Bell neue Informationen über den möglichen Tathergang erhält, zieht er blitzschnell seine Schlüsse daraus - und liest dann seinem Assistenten erstmal aus der Zeitung vor. Und erzählt, erzählt und erzählt. Zu einem Tatort, an dem bereits alles geschehen ist, muss man ja nicht eilen. Als würden die Leichen davonlaufen...

Beeindruckend ist, dass die Spannung komplett ohne Hintergrundmusik erreicht wird - allein die perfekt ausgewählten Bildausschnitte und das Schauspiel der drei zentralen Charaktere bewirken diese fesselnde Spannung.
Zu unterschätzen ist natürlich auch nicht, dass der Zuschauer mit allen drei Figuren mitgeht. So verschroben und simpel gestrickt sie auch sein mögen - man möchte ihnen weiter folgen und gönnt im Grunde genommen jedem der dreien einen Sieg. Chigurh ist unheimlich. Erschreckend unheimlich. Aber dadurch, dass dieser Killer kaum ein Wort spricht, und den meisten Menschen allein durch seine wenigen Sätze solch eine Angst einflösst, wird er faszinierend. Und durch seine verschrobene Art wächst er dem Zuschauer irgendwie ans Herz - dieser Münze werfende, augenrollende, staubtrockene Killer, der mit einem Luftdruck-Kolbengewehr und einer Schrotflinte durch den Süden Amerikas latscht bietet zuviel Unterhaltungswert, als dass man gegen ihn sein könnte.

Llewelyn wiederum fungiert als Identifikationsfigur - als eine verzerrte Identifikationsfigur zwar, aber immer noch als Identifikationsfigur. Er fand zufällig das Geld, würde es gern behalten und wird nun von einem Killer gejagt. Sicherlich könnte er sich durch einfache Wege aus der Affäre ziehen... Aber als kerniger Texaner in Cowboystiefeln und Cowboyhut bittet man doch nicht um Hilfe. Nein, das geht nicht... Man muss sich dem Kampf stellen.
Und Tommy Lee Jones' Blicke, wenn seine Figur Ed Tom Bell mal wieder über die heutigen Verbrecher klagt sind zu mitleidserregend, als dass man diesem alterneden Polizisten nicht nochmal eine erfolgreiche Festnahme gönnen würde.

Mancher Zuschauer mag davon vielleicht abgeschreckt sein - allein die behäbige Inszenierung, deren großartige Wirkung sich nur entfaltet, wenn man sich auf sie einlässt ist für manche Kinogänger recht schwer zu tragen. Doch wenn man mehr als den halben Film über dasitzt und mitfiebert, aber nicht weiß, wem man denn nun die Daumen drücken soll, fühlen sich einige sicherlich überfordert. Wenn man doch für alle drei ist, ist das doch nicht spannend. Einer davon muss doch regelkonform schlecht davonkommen, und einer als Gewinner...

Aber das ist gerade das besondere. No Country for Old Men pfeift auf zahlreiche Regeln und Konventionen - und wenn man sich darauf einlässt und mit allen Figuren mitfiebert, ist ein gelungener Kinoabend gesichert.
Auf welcher Ebene sich der Kinoabend abspielt überlassen die Coens jedem Zuschauer selbst. Sie heben No Country for Old Men nämlich so weit über jegliche Gattungskonventionen, dass er gleich mehereren Gattungen gleich gut und gleich schlecht zugeordnet werden kann. No Country for Old Men weist aufgrund seiner zahlreichen skurrilen Situationen einen hohen Grindhouse-Faktor auf, wirkt wie der verloren gegangene, anspruchsvolle dritte Film des letztjährigen Tarantino- und Rodriguez-Projektes, und die stellenweise wahrlich verrückten Dialoge über Nebensächlichkeiten, die mit einer solchen Coolness rübergebracht werden, dass man sich in Reservoir Dogs oder Pulp Fiction zurückversetzt fühlt tun dies keinem Abbruch.
Die Melancholie und Behäbigkeit der Inszenierung, der Symbolismus in einigen Einstellungen und die anspruchsvolleren Dialoge wiederum heben No Country for Old Men ins Arthouse-Programm. Die Coens machen Filme für Leute die mitdenken und dieser macht da keine Ausnahme. Der Zuschauer muss stets aufmerksam bleiben, jeden Satz verfolgen und im Hinterkopf die Bilder analysieren. Viele Informationen werden nur angedeutet, sind ebenso schnell vorbei, wie sie aufgezeigt wurden.

Es ist ein Western ohne Saloon, mit wenig Staub und relativ wenig Blei. Ein Thriller, der langsam ums Haus schleicht und sich noch ein bisschen unterhält. Eine Komödie, die wenige Sekunden nach einer zynischen, verrückten, coolen oder einfach nur schreiend komischen Szene dem Zuschauer das Lachen im Halse verschlucken lässt. Eine Charakterstudie, in denen die Figuren auf die wesentlichen Informationen reduziert sind.
No Country for Old Men ist ein riesiges Paradoxon, das in einen einheitlichen Stil gehüllt wurde und so ein in sich logisches, schlüssiges künstlerisches Werk ergibt. Dies trifft auch auf den hervorragenden Schluss zu, der manchem Zuschauer jedoch wohl so ungewöhnlich vorkommen wird, dass er die Logik vielleicht hinterfragt. Doch wer sich darauf einlässt, bekommt mit No Country for Old Men einen düsteren, hochspannenden, dramatischen und witzigen Film geliefert, der sich noch lange im Gedächtnis festsetzen wird.

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