Freitag, 28. März 2008
Die Welle
Als Schüler hat man ja phasenweise überhaupt keine Lust auf Unterricht. Aber sofern man nicht zu den ganz schlimmen Fällen gehört, findet man immer wieder auch Gefallen an einer Unterrichtsreihe. Ich natürlich auch. Es ist ja nicht alles schlecht, was in diesem Gemäuer statt findet.
Manches war schließlich so gut, dass ich mich Jahre später auch freiwillig damit beschäftige. Darunter auch "Die Welle" - ein Unterrichtsthema, dass immer wieder Mal in den deutschen Schulen auftauchte.
In meinem Jahrgang stand "Die Welle" jedoch nicht verpflichtend auf dem Stundenplan - aber mein Lehrer hat uns dieses Thema trotzdem nahe gebracht. Sehr ambitioniert, eindrucksvoll. Und deshalb auch eines der Themen meiner 9. bis 10. Klasse, an das ich mich noch detailliert erinnere.
Derzeit läuft eine Neuverfilmung dieses Stoffes in den deutschen Kinos - und während ich über zahlreiche andere Filme und Bücher, die ich aus der Schule kenne weiterhin einen hohen Bogen mache, hat mich dieser Film sofort wieder gereizt.
Die Welle ist die erste Kinoadaption einer wahren Begebenheit, die bereits als TV-Film und Roman verarbeitet wurde und behandelt eine Unterrichtsreihe, in der ein Lehrer seinen Schülern Autokratie und die Manipulation der Massen nahe bringen möchte. Dadurch, dass er seine Schüler zu einer gleichgeschalteten, einheitlichen Masse formt, möchte er ihnen klar machen, dass eine Diktatur heutzutage noch lange nicht unmöglich ist, und dass sich weiterhin eine faschistoide Ideologie verbreiten kann, wenn man nicht darauf achtet. Jedoch verläuft dieses Projekt nicht so, wie es sich der Lehrer vorstellte, und aus einem Rollenspiel (bei dem die Schüler nicht wissen, dass sie eine Rolle spielen) wird für die Schüler bitterster Ernst. Sie übernehmen die Ideen, erweitern sie ins Extreme und setzen ihre Bewegung gegenüber "den Anderen" durch.
Das Experiment wurde 1967 vom Geschichtslehrer Ron Jones an einer amerikanischen High School durchgeführt, nachdem mehrere seiner Schüler behaupteten, dass so etwas wie es in Deutschland passierte niemals in den USA geschehen könne.
Die derzeit in den deutschen Kinos laufende Neuverfilmung von Regisseur Dennis Gansel (Mädchen, Mädchen; Napola) verlegt die Handlung ins heutige Deutschland.
Dies zeigt sich nicht nur inhaltlich und vom bloßen Setting her, sondern auch in der Optik des Films. Dynamische Kamerafahrten, schnelle Schnitte und stylische Farbfilter lassen den Film zusammen mit seinem Soundtrack anfangs schnell wie einen modernen Jugendfilm wirken. So zieht der Film seine Zielgruppe großartig an - ohne jedoch in eine Videoclipästhetik zu verfallen und so alle anderen Interessierten zu verprellen.
Dies ist zum Teil auch den Darstellern zu verdanken, die ihre Rollen sehr passioniert spielen und so eine bodenständige, realitätsnahe Ebene liefern, die gegenüber der wesentlich filmischeren Optik steht. Jürgen Vogel ist geradezu eine Idealbesetzung für die Rolle des Lehrers Rainer Wenger. Zu Beginn des Films blüht er in der Rolle des "Anarcholehrers" auf, der auf die Meinung seiner Kollegen pfeift, sich von der Oberstufe duzen lässt und alternative Unterrichtsmethoden ausprobiert. Zugleich kauft man ihm auch ab, wie er im Laufe des Experiments in seiner neuen Rolle als Leitfigur der neuen Bewegung "Die Welle" aufgeht und sein neues Image genießt - und deshalb darauf verzichtet das Projekt vorzeitig abzubrechen.
Hierin findet sich auch die einschneidendste Veränderung gegenüber dem Original: Während der Geschichtslehrer Ron Jones 1967 am vierten Tag davon erfuhr, dass die Schüler das Projekt außerhalb der Klassenräume zu Ernst nehmen und beendete es deshalb am fünften Tag abrupt, wird Vogels Figur schon früher auf die Nebenwirkungen aufmerksam. Doch da er selbst auf seinen eigenen Versuch reinfällt, unternimmt er dahingehend nichts.
[Minispoiler]So kommt es auch zu einer Veränderung in der Schlusssequenz, die lange Zeit nah an dem TV-Film von 1981 ist, nur mit intensiverer schauspielerischer Leistung und beeindruckender Optik, dann jedoch konsequenterweise den Abweichungen gegenüber dem Originalexperiment Tribut zollt. Es sind nicht mehr die 60er Jahre...[/Minispoiler]
Doch nicht nur Jürgen Vogel darf in diesem Film sein Talent beweisen. Auch die zahlreichen Jungdarsteller wissen zu überzeugen.
Vor allem Frederick Lau als Außenseiter Tim, der mit allen Mitteln versucht in die Gruppe integriert zu werden, aber dennoch keine Akzeptanz findet. Erst durch die Wellenbewegung und das Einführen von Disziplin findet er Achtung und engagiert sich dem entsprechend besonders stark. Lau lässt Tims Fanatsimus in seinen Augen aufblitzen, in seinem Sprachduktus bemerkt man die unterdrückten Gefühle, hört wie sich die Stimme vor Freude über die Welle überschlägt. Lau ist so stark, dass sein überzeugendes Spiel sogar eine der wenigen Schwächen im Drehbuch völlig problemlos überdeckt und so eine Szene, die einfach viel zu früh kommt vor der Lächerlichkeit bewahrt, sie zumindest glaubwürdig macht.
[Spoiler]Die erzielte Wirkung erreicht die an die heutige Jugend angepasste Reminiszenz an die Bücherverbrennung dennoch nicht.[/Spoiler]
Auch Max Riemelt als anfangs selbstzentrisches Sport-As und leicht orientierungsloser Freund von Wellengegnerin Caro weiß zu überzeugen, macht von den Jugendlichen die interessanteste Wandlung durch.
Besonders erwähnt sei noch Cristina Do Rego, die bisher vor allem als Bastian Pastewkas dauergenervte und laute Nichte in der Serie Pastewka bekannt ist, und nun mehr von ihrem schauspielerischen Können zeigen durfte.
Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander sind, trotz einiger Vorwürfe von etablierten Zeitungen, realitätsnah gehalten. Oberstufenkurse sind so oder so ähnlich mit verschiedenen Gruppierungen und Charakteren ausgestattet und ihre Pendants auf der Leinwand sind keineswegs überzeichnet oder vereinfacht. So sehen Schulen heutzutage aus - das wird manche nun schockieren, andere Leute hingegen nicht. Sie kennen es nunmal nicht anders.
Man kann dem Film im Bezug auf die Figuren höchstens vorwerfen, dass die "normalen" Schüler etwas in den Hintergrund fallen. In der "Hauptgruppe" des Films sind mit Do Regos Lisa und dem in der Theater AG nicht zu seinem Ziel kommendem Dennis nur zwei Figuren, die keiner besonderen Gruppierung zugehören (Hip Hopper, Emos, Rocker, Kiffer, Sportler, Alternative,...) oder besondere Familienverhältnisse (reich, arm, Migrationshintergrund,...) haben.
Doch diese Kritik finde ich nicht wirklich angebracht - der Film stellt die Schule keineswegs so dar, als wenn es nur vorurteilsbelastete Gruppen gäbe. Es gibt durchaus stillere, "normalere" Schüler im Film. Nur sind es nicht sie, die die Welle vorrantreiben. Sie im Film verstärkt zu porträtieren, nehme dem Film an Kraft und dramatischer Spannung. Die normalen Schüler, die nicht aus bestimmten Gründen der Welle beitreten, sondern einfach so reinrutschen werden nicht ausgeblendet - sie werden aber auch nicht extra beleuchtet. Und mit Lisa und Dennis haben zumindest zwei "Normalos" es in die Hauptgruppe geschafft, auch wenn sie dort nicht die größte Rolle spielen. Das finde ich durchaus in Ordnung.
Die Figurenkonstellation spannt den Bogen zurück zur Modernisierung - die übrigens nicht nur optisch und hier zu bemerken ist. Auch in einigen Details wurde die Geschichte gekonnt ins heutige Deutschland übertragen. So fallen Sätze über Michael Moore, die Fußball-WM und weiteres. Diese "Anspielungen" an die Realität sind nie aufgesetzt und stützen die Neuverfilmung. Wichtigste Veränderung im Detail ist jedoch die Reaktion der Schüler auf das Thema "Das dritte Reich". Die Schüler sind übersättigt, haben zuviel in zuvielen Fächern über das Thema gehört. Zentraler Satz: "Ja, Nazis sind böse. Sogar ich hab das kapiert!"
Hier trifft der Film ins Schwarze. Ich hatte seit der 7. Klasse durchgehend irgendwo das dritte Reich als Thema - und bin damit nicht allein. Die NS-Zeit findet sich in den deutschen Lehrplänen überall: Deutsch, Politik, Sozialwissenschaften, Literatur, Religion (bzw. Ethik), Geschichte, Kunst, Englisch (!!!), ...
Und immer wieder sieht der Unterricht gleich aus - rudimentäre Informationen darüber was passiert ist, es folgt der erhobene Zeigefinger ("Das darf nie wieder passieren!"), kurze Zusammenfassung und dann alles nochmal von vorne.
Der Schulunterricht dreht sich zu sehr um seine Moral, ist zu sehr in die Länge gezogen ohne in die Tiefe zu gehen. Und weil das Thema immer und immer wieder kommt, hört keiner mehr zu. Was da passieren könnte, zeigt der Film auf. Man sollte mehr in die Tiefe gehen (anstatt "was" auch öfter das "wie" beantworten) und das Thema alles in allem weniger über die gesamte Schullaufbahn erstrecken. Wohl dosiert, aber dann auch intensiv das Thema behandeln. Die Erwähnung dieser Problematik ist dem Film hoch anzurechnen. So begründet er zugleich auch seine Existenz: In einer Zeit, in der die Jugendlichen der NS-Thematik so überdrüssig sind, braucht es einen Film, der das Thema anpackt ohne einen einzigen Nazi zu zeigen.
Der Film ist trotzdem nicht völlig frei von Fehlern: Viele kritisieren, dass das Experiment zu schnell funktioniere. Diese Kritik ist jedoch völlig falsch, schließlich streckt der Film die wahre Geschichte sogar in die Länge um glaubwürdiger zu werden. Trotzdem gibt es viele Stimmen, dass das alles so schnell doch nicht funktionieren könne. Um dieser Kritik vorzubeugen, hätte man stärker auf die Intentionen der "wichtigsten", ambitioniertesten, Welle-Mitglieder eingehen sollen. Der Teil, bevor das Experiment beginnt hätte länger sein müssen. Für einen guten Film reicht die Exposition, aber es wäre ohne größere Mehrarbeit möglich gewesen den Film zu stärken, indem man den Jugendalltag noch detaillierter beleuchtet. Außerdem fallen die Szenen über den Wellen-Widerstand zu kurz aus, hier hätte man noch mehr rausholen müssen.
So ist Die Welle aber immer noch ein sehr gutes und bedrückendes Filmdrama, das intelligent ist und zu Diskussionen anregt, ohne dabei den Zeigefinger zu erheben oder sein Publikum für dumm zu verkaufen.
Zur DVD-Rezension
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