Cloverfield gehört zu der Art Film, die es einem so richtig schwer macht. Eine gute Kritik zu diesem Film zu schreiben ist eine wirkliche Herausforderung. Schließlich möchte man seinen Lesern nicht den Spaß am Film verderben.
Spoiler über das Ende oder unerwartete Wendungen machen natürlich jeden Film kaputt. Darüber muss man nicht reden. Bei vielen anderen Filmen ist es egal, ob man mal einen Trailer gesehen hat, oder ein Making of. Solange man sich aus 10 verschiedenen Trailern nicht den kompletten Film zusammenbasteln kann, ist das schon in Ordnung. Bei einigen wenigen Filmen ist es sogar förderlich, wenn man durch Trailer oder Artikel auf das zu erwartende vorbereitet wird (ich sage nur "Grindhouse und die ahnungslosen Kinozuschauer, die sich über die Farbprobleme und sonstige Schundkino-Mittel beschwerten").
Doch dann gibt es auch die Art von Film, bei der jede einzelne Information eine Information zuviel ist. Mein persönliches Paradebeispiel ist und bleibt The Village - Das Dorf, ein Film, bei dem man idealerweise gar nicht Mal von seiner Existenz wissen sollte, bevor man ihn sieht. Zwar verriet kein einziger Trailer oder TV-Werbespot eine der Wendungen oder verdarb auf sonstige, konventionelle Art den Spaß. Aber dennoch verdarb nahezu alles einen Teil des Spaßes am Film. Man sollte nichts über ihn wissen. Bereits die Genreangabe (egal ob die korrekte oder die falsche, durch den Trailer implizierte) ist zuviel Information. Eigentlich war sogar das Poster zuviel.
Cloverfield steht gewissermaßen ganz in der Tradition von The Village, wenn auch nicht ganz so drastisch.
Dennoch: Wenn ihr bislang gar nichts, absolut überhaupt nichts (!) von Cloverfield gehört habt, dann hört auf zu lesen und geht ins Kino. Schaut nicht auf das Plakat. Kauft einfach eine Kinokarte und setzt euch in den Saal.
Einzige Vorwarnung von mir: Wenn euch schnell schwindlig wird oder ihr zufälligerweise Epileptiker seid... dann vergisst am besten sofort wieder, was ich euch empfohlen habe. Der Film ist nichts für euch.
Wenn ihr bereits etwas über Cloverfield gehört habt (einen Artikel gelesen, einen Webespot gesehen oder etwa den Trailer... oder das Kinoplakat) und / oder zu denen gehört, die gerne wissen möchten, wofür sie fünf bis acht Euro ausgeben... Dann dürft ihr gerne weiterlesen...
So... Alle, die überhaupt nichts über den Film wissen weg? Sehr gut.
Dann kann ich nun mit meiner Rezension anfangen.
Cloverfield könnte man perfekt als "Blair Witch Lostzilla" bezeichnen. Zum einen ist er nämlich ein digitaler Nachfolger im Geiste des Überraschungserfolges Blair Witch Project: Der Film erscheint als das 1:1 übernommene Material eines gefundenen Videobandes. Der Inhalt des Videos zeigt die Erlebnisse einer Gruppe, die sich selbst bei einer ungewöhnlichen Situation gefilmt hat. Inklusive aller Mängel und Eigenheiten, die zu einem Homevideo dazugehören. Daumen im Bild, extrem wackelige Kameraführung, plötzliche Schnitte, Bildaussetzer, Kommentare "aus dem Off" vom Kameramann.
Zum anderen ist Cloverfield ein Monster-/Survivalmovie im Stile von Godzilla und Co: Ein Monster greift eine Großstadt an und die Menschen versuchen dem Ungetüm zu entkommen. Simples Konzept - funktioniert seit Jahrzehnten.
Und zu guter letzt merkt man dem Projekt auch an, dass es vom Erfinder der genialen Serie Lost stammt. Aber dazu später mehr.
Die Geschichte von Cloverfield ist schnell erzählt: Rob wurde befördert und wird deshalb für einige Zeit aus beruflichen Gründen nach Japan ziehen. Seine Freunde schmeißen deshalb eine Abschiedsparty für ihn. Zunächst soll sein Bruder das Homevideo von der Party drehen, doch schon sehr früh entscheidet sich dieser, dass ihm diese Arbeit lästig ist und drückt seinem Kumpel Hud die Digitalkamera in die Hand. Die Party beginnt, Hud geht seiner Aufgabe halbherzig nach, die Party eskaliert, da sich Rob und seine beste Freundin Beth zerstritten haben. Und als die Feier endgültig zu kippen droht greift ein Monster New York an. Völlig panisch flieht die Gruppe um Rob aus dem Apartment und versucht sich in Sicherheit zu bringen. Aufgrund der Hektik der Ereignisse vergisst Hud völlig die Kamera auszuschalten, später entscheidet er sich, alles so gut er kann aufzuzeichnen... Für die Nachwelt. Oder als Beweis, dass er diese Tragödie miterlebt hat. Je nachdem, was halt passiert...
Es ist die Form, die Cloverfield bestimmt. Der Film ist komplett im Handkamera-Stil gehalten. Ohne jegliche klassischen cineastischen Mittel zeigt uns der Film genau das, was Rob im Laufe des Abends aufzeichnet. Es wird kein Material einer anderen Kamera gezeigt, weder einer weiteren Kamera innerhalb dieses Films, noch von der "normalen" Filmkamera, die innerhalb der Welt des Films natürlich nicht existiert.
Dadurch wird Cloverfield zum realistischsten, was das Monsterfilm- bzw. Survival-Genre bieten kann: Wir bekommen ungefiltert den Überlebenskampf einer kleinen Menschengruppe mit. So als wäre es genauso passiert, als hätte jemand inmitten einer großen Tragödie alles gefilmt. Die Parallelen zum 11. September sind unübersehbar. Wir erinnern uns alle an die verwackelten Homevideos von Touristen und Passanten, die ihren Alltag oder ein besonderes Ereignis festhalten wollten... und dann auf die in die Tower einstürzenden Flugzeuge schwenken.
Genau so funktioniert Cloverfield, manche Bilder von zerstörten Häusern scheinen sogar durchaus mit der Parallele zu kokettieren. Das Ergebnis dessen ist, dass man erstmals bei einem Monsterfilm tatsächlich das Gefühl vermittelt bekommt, wie man es selbst erleben würde, wenn so etwas geschähe.
Die Dialoge und die Handlung sind dem Realismus des Films entsprechend simpel: Die Menschen wollen einfach nur überleben, unterhalten sich nur wenig, und wenn, dann sind es nur knappe Gespräche, in denen sie versuchen ihre Emotionen, ihre Angst auszudrücken oder zu überspielen.
Gerade dieser Punkt könnte die Zuschauer von Cloverfield abstoßen. Wer die enorm komplexe Werbekampagne im Internet verfolgt hat, vermutet vielleicht, dass auch Cloverfield ein komplexer Film voller Hinweise im Detail ist, mit kopfzerbrechenden Knobelaufgaben an jeder Ecke. Doch das ist Cloverfield keineswegs. Das Konzept ist genial, intelligent ausgearbeitet. Perfekt ausgeklügelt präsentiert sich hier ein Film, bei dem jede Kamerabewegung Huds und jedes technische Problem mit der Kamera die Wirkung und die Atmosphäre des Films unterstützt. Der Zuschauer soll auf dem Kinosessel herumrutschen, die Augen verkneifen um irgendwelche Details im verschwommenen zu erkennen. Die Macher von Cloverfield haben auf der Seite des Filmedrehens nichts dem Zufall überlassen.
Aber innerhalb der Handlung ist der Film simpel. Außerordentlich simpel. Überleben und mehr über die Geschehnisse herausfinden. Um mehr geht es nicht.
Oder anders gesagt: Cloverfield ist intelligent gemacht, aber selbst kein anspruchsvoller Film.
Es gibt keine Lost-ähnlichen Verschwörungen die aufgedeckt werden, Details die vom Zuschauer entschlüsselt werden wollen oder eng verzwirbelte Schicksale, die durchschaut werden müssen.
An Lost erinnert viel mehr die Werbekampagne für Cloverfield - auf zahlreichen im Netz versteckten Internetseiten kann man sich mit allerhand Gedankenarbeit und das austüfteln verschiedenster Codes oder das klicken der hinterlistig versteckten Links die Hintergrundgeschichte des Films zusammenbasteln. Ansatzweise.
Inwieweit die Werbekampagne nun dem Film geschadet oder geholfen hat muss jeder selbst wissen. Sie hat definitiv geholfen einem experimentellen Film eine respektable Anzahl an Zuschauern zu besorgen. Außerdem hat sie keinen Hehl aus der Natur des Films gemacht. Nirgends wurde behauptet, dass der Film seinen Fokus auf die Bekämpfung oder Entstehung des Monsters legt. Der "Was zur Hölle ist los, wir wissen von nichts, weg hier"-Gedanke lag mehr im Vordergrund
Zugleich aber verleitet die Kampagne leicht dazu, irgendwie doch mehr Hintergründe und vor allem auch mehr Rätsel und Lost- oder Alias-mäßige Unmengen an zu verknüpfenden Storyfäden zu erwarten.
Im endgültigen Film Cloverfield dagegen erinnert an Lost ebenfalls
[SPOILER] der Einsatz von "Flashbacks". Doch während diese bei der Kultserie eindeutig als filmische Stilmittel erkennbar sind, werden sie in Cloverfield geschickt als Bedienungsfehler der Digitalkamera getarnt. Immer wenn Hud den falschen Knopf drückt bekommen wir Ausschnitte eines alten Home Videos zu sehen, dass hier gerade unwissentlich überspielt wird. In diesen kurzen Szenen erfahren wir mehr über Rod und seine beste Freundin Beth.
Weitere Erinnerungen an Lost weckt der Umstand, dass das Monster eigentlich recht wenig Screentime hat, und es viel mehr um die Hauptfiguren geht, auch wenn diese in Lost weitaus vielschichtiger sind.[/SPOILER]
Cloverfield ist halt hauptsächlich realistisch, der Zuschauer ist nah am Geschehen und deshalb ist der Film auch mitreißend und auch stellenweise schockierend, obwohl die Schock- und Ekeleffekte erfreulich rar gesät sind. Es ist die Atmosphäre, die hier die Arbeit macht.
Aber was bietet Cloverfield noch, außer dem Gefühl eine völlig unrealistische Katastrophe so gezeigt zu bekommen, als wäre man mittendrin, als würde man selbst ungläubig dabei sein und um sein Leben rennen?
Hauptsächlich nur noch gute und vor allem spannende Unterhaltung. Doch es gibt da noch etwas.. Es mag zunächst speziell klingen, doch wer den Film bereits gesehen hat wird vielleicht wissen, wovon ich spreche:
Cloverfield bringt einem die gesamte Thematik durch einen kleinen Geniestreich NOCH näher, als sie es hier eh schon ist. Nämlich durch das Setting des Anfangs.
Wohl jeder hat schon einmal eine Feier miterlebt, die aus dem Ruder lief. Und damit meine ich keine öffentlichen Feiern, bei denen der DJ ein mieses Lied nach dem anderen auflegt und somit die Laune der Gäste untergräbt, oder irgendwelche Discobesuche oder Stadtfeste, auf denen sich irgendwelche Unbekannte prügeln.
Ich meine private Feiern, mit geladenen Gästen. Wo man einen Großteil der Gäste kennt, so dass einen sämtliche Probleme viel mehr betreffen. Geburtstagsfeiern, auf denen die Freundin des Gastgebers Schluss macht. Das kleine all-vorweihnachtliche Treffen im Keller des besten Freundes, bei dem sich Leute wegen der Geschenke zerstreiten. Das Silvester, an dem sich der Gastgeber mit zuviel Alkohol abschießt.
Oder auch der Abschlussball, während dem man erfährt, dass die Begleitung deiner guten Freundin vor drei Tagen fremd gegangen ist.
Diese Nächte, an deren Ende man mit brummendem Kopf neben einigen Freunden und auch so manchem Unbekannten (Leuten, die wohl nur der Gastgeber kennt) sitzt und nicht weiß, was man nun sagen soll. Das Taxi kommt einfach nicht und man ist in dieser Krisensituation gefangen. Die Musik musste bereits leiser gedreht werden, weil die Nachbarn sonst Amok laufen würden, man selber ist schon seit rund 19 Stunden wach, weil man ja auch ausgerechnet heute früh Schule / Schicht hatte und es nicht schaffte frühabends wenigstens ein bisschen vorzuschlafen. Das abgestandene Bier, das man vorhin getrunken hat, weil sonst schon fast alle Getränke alle sind sorgt für einen üblen Geschmack im Mund und mit geneigtem Haupte sitzt man einfach da und lässt sich von der Situation erdrücken. Mancher versucht die Situation zu deeskalieren, aber von Erfolg ist das auch nicht gekrönt. Und die nette Person, die einem zu Beginn der Party ins Auge fiel ist auch schon weg...
Es ist dieser Rahmen, der noch lange vor dem ersten Erdbeben und der ersten Zerstörungswelle den Ton von Cloverfield setzt. So viele andere Möglichkeiten hätte es gegeben, logisch zu erklären, warum jemand den ganzen Vorfall aufzeichnet. Doch nur eine solche Situation, in die sich jeder hineinversetzen kann und von der jeder weiß, wie aufwühlend, verwirrend und auf eine subtile Art sogar beängstigend sie ist, kann den Zuschauer sofort in diese alltagsnahe Katastrophenstimmung versetzen. Und dann, wenn man sich hineinversetzt hat und langsam anfängt sich für die Figuren zu interessieren löst die filmische, fiktive Katastrophe das lebensnahe Unglück ab.
Noch erstaunlicher ist die Realitätsnähe für all diejenigen, die (so wie ich) schon einmal oder gar öfter auf einer Feier waren, auf der jemand mit einer Kamera versucht hat den Abend für die Ewigkeit festzuhalten. Er läuft überall herum, fragt die Gäste nach Geburtstagsglückwünschen oder Abschiedsworten (oder was auch immer zum Anlass der Feier passt), verlangt kurze Statements darüber, wie sie das Fest denn so wünschen und natürlich sind auch sie immer dabei, wenn sich irgendwo zwischen Leuten ein Streit anbahnt.
Und meistens sind es ausgerechnet die (mehr oder weniger) Freiwilligen mit der Kamera, die das Bild kaum gerade halten können und mit laufender Kamera versuchen die Schönheit des Abends anzugraben. Genauso wie in Cloverfield. Hud ist alles andere als ein guter Hobbyfilmer. Klar, man kann es ihm den Umständen entsprechend verzeihen, aber es gibt mit Sicherheit Leute, die wesentlich besser filmen können.
Wer es besonders bunt treiben möchte, kann sogar so weit gehen und behaupten, Cloverfield wäre so etwas wie eine übergroße Parabel auf eine Feier, die den Bach runtergeht. Die wichtigsten Leute der Feier haben schon ordentlich einen im Tee, Paare zerstreiten sich, Dinge gehen zu Bruch, Menschen suchen verzweifelt ihre große Liebe, die Stimmung flaut völlig ab und trotzdem bleibt der harte Kern des Freundeskreises zusammen.
Allerdings lag es nicht in der Absicht der Filmemacher so eine Parabel zu kreieren. Es entstand also mehr aus reinem Zufall.
Das Setting, die Umsetzung und die äußere Form sind also die beherrschenden Elemente von Cloverfield. Zu verdanken haben wir dies vor allem J.J. Abrams, der auf die Idee zu diesem Film während einer PR-Tour durch Japan kam. In einem Laden voller Godzilla-Spielzeug fiel ihm auf, dass Amerika kein ganz eigenes, bösartiges Filmmonster hat. Dies wollte er ändern, und dabei einen Monsterfilm drehen, der die heutige Zeit widerspiegelt, in der überall jeder mit Handy- und Digitalkameras alles aufnimmt.
Um Zeit für sein kommendes Traumprojekt Star Trek zu haben, verteilte Abrams die weitergehenden Aufgaben auf Vertraute. Der ihm noch von Felicity-Zeiten bekannte Matt Reeves nahm auf dem Regiestuhl Platz und leistete eine großartige Arbeit. Was man daran erkennen kann, dass man selbst nach dem Kinobesuch keinen Moment lang darüber nachdenkt, was der Regisseur wohl getan hat. Der Film hat (der Wirkung nach) keinen Regisseur. Es ist die aufgezeichnete Flucht eines Amateuerfilmers!
Das Buch stammt dagegen dem ehemaligen Buffy, Alias und Lost-Autoren Drew Goddard. Auch vor ihm muss man den Hut ziehen: Eine solch unrealistische Geschichte so glaubwürdig zu verfassen, verdient Respekt.
Die Darsteller sind, um die Wirkung zu vergrößern, nahezu allesamt bislang Unbekannte, die sehr glaub-, aber nicht weiter denkwürdig ihr Werk verrichten.
Gegen die Atmosphäre und die reine Wirkung des Films kommen sie nunmal nicht an.
Fazit: Cloverfield lebt von seinem Balanceakt zwischen außerordentlich origineller Form sowie Umsetzung und konventionellem Inhalt. Der Film erfüllt seine Aufgabe mit Bravour, er ist spannend, mitreißend und unterhaltsam. Darüber hinaus gibt es aber nicht viel mehr: Es bleiben keine darstellerischen Leistungen im Kopf hängen, keine Dialogzeilen. Lediglich über die Art und Weise, wie der Film funktioniert wird sich so mancher Zuschauer noch länger unterhalten. Und dafür muss man Cloverfield halt erst auch erlebt haben.
Somit eine klare Seh-Empfehlung, aber keine Kinorevolution, wie man es uns glauben lassen wollte.
Der Film ist halt einfach nur gut und originell (auf eine so spezielle Art, dass man ihn gesehen haben sollte, statt dass man sich alles erzählen lässt, denn man kann diesen Film einfach nicht nacherzählen) - aber mehr auch nicht. Nichts für die Jahres-Bestenlisten oder einen Ehrenplatz im DVD-Regal. Doch auch nichts, was man verpassen sollte. Auch auf die Gefahr hin, am Ende nicht wirklich überzeugt zu sein.
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