Mittwoch, 14. März 2018

Thor - Tag der Entscheidung


Der Film
"Lachend in die Kreissäge". So bezeichnet es man üblicherweise, wenn jemand so glückselig-doof ist, dass er geradewegs in sein Verderben rennt. Im Falle der Marvel Studios lässt sich der Spruch indes umdeuten: Wenn im Frühling dieses Jahres das Marvel Cinematic Universe sein zehnjähriges Jubiläum feiert, kommt es zum megalomanischen Crossover-Event zwischen seinen zahlreichen Heldinnen und Helden – und dieses Aufeinandertreffen wird, wie könnte es anders sein, ein sehr dramatisches. Bevor sich das Marvel-Filmuniversum aber in die Kreissäge der schwerwiegenden narrativen Konsequenzen von Avengers: Infinity War stürzte, gönnte es sich und seinen Fans ein betont humorvolles Jahr.

Nach der auch einige ruhigere Charaktermomente aufweisenden, bunten Weltraumsause Guardians of the Galaxy Vol. 2 und dem selbstironisch unterfütterten Superhelden-High-School-Spaß Spider-Man: Homecoming endete Marvels 2017 mit Thor – Tag der Entscheidung, der noch mehr auf die Lachmuskeln seines Publikums abzielt als die früheren Filme über den Donnergott und die beiden anderen MCU-Filme des Jahres 2017. Und damit sträubt sich der von 5 Zimmer Küche Sarg-Regisseur Taika Waititi inszenierte Superheldenfilm bewusst gegen das, was wohl unter zahlreichen anderen Filmschaffenden aus diesem Stoff geworden wäre. Denn der grundlegende Plot aus der Feder des Autorenteams Christopher Yost, Craig Kyle, Stephany Folsom und Eric Pearson liest sich wie aus dem Katalog für Big-Budget-Trilogie-Finalfilme zusammengeklaubt:

In seinem dritten (Quasi-)Solofilm treffen wir Donnergott Thor (Chris Hemsworth) in einer misslichen Lage wieder: Der Thronprinz von Asgard hat sich mit der dunklen Prophezeiung befasst, dass Feuerdämon Surtur eines Tages den Ragnarök heraufbeschworen wird – den Untergang seiner Heimat. Selbstredend bemüht sich Thor, seiner Geburtsstätte dieses Schicksal zu ersparen, doch dabei hat er die Rechnung ohne Todesgöttin Hela (Cate Blanchett) gemacht. Diese zerstört Thors mächtigen Hammer und nimmt zielstrebig Kurs auf Asgard – und zu allem Überfluss strandet der eitle Recke bei seiner Klopperei mit Hela auf dem Schrottplaneten Sakaar. Auf diesem hat der hedonistische Grandmaster (Jeff Goldblum) das Sagen, der in Thor einen potentiellen Herausforderer für seinen Champion im Gladiatorenkampf sieht.

Kann sich Thor rechtzeitig von Sakaar befreien, oder machen ihm der Grandmaster, sein Champion oder die versoffene Aufpasserin Valkyrie (Tessa Thompson) einen weiteren Strich durch die Rechnung? Und wie fügt sich der Gott der Täuschung, Loki (Tom Hiddleston), in dieses Bild?

Okay, okay. Einige Details dieses Plots deuten bereits an, dass Thor – Tag der Entscheidung das Sprungbrett für ein eskalierendes Fantasyepos-Trilogiefinale nimmt und dann beschließt, lieber in ein exzentrisches Bällebad zu springen. Die dramaturgische Fallhöhe bleibt bei der somit gebotenen Comedy-Attacke in Thor – Tag der Entscheidung dem Untertitel zum Trotz niedrig – da haben die zwei anderen Marvel-Cinematic-Universe-Einträge 2017 einen stärkeren Akzent auf die interpersonellen Konflikte gelegt. Dieser Film hingegen bemüht sich nur um dezent mehr als das Minimum an charaktergestützter Dramatik – viel mehr geht es darum, dem Cast die Möglichkeit für eine albern-gute Zeit einzuräumen.

Laut Produzent Kevin Feige geschah dies zu großen Stücken auf Anraten des Hauptdarstellers: Hemsworth wollte mit Thor gänzlich neue Wege beschreiten, weil die Rolle ihn allmählich langweilte. Mit Waititi fand sich ein Regisseur, der genau auf Hemsworths humoristischer Wellenlänge liegt – wer also Hemsworth in Ghostbusters oder Vacation – Wir sind die Grisworlds für sein komödiantisches Timing liebt, wird auch hier aus dem Grinsen kaum rauskommen.

Thor zeigt sich als seeliger Kämpferbursche mit unkaputtbarem Siegeswillen und entsprechend großem Ego, das er aber nicht arrogant, sondern mittels einer bübisch-kollegialen Großspurigkeit zu Tage legt. Der Rest das Ensembles passt sich Waititis und Hemsworths Ansatz an: Cate Blanchetts Hela ist als Schurkin zwar so tiefgreifend motiviert wie ein 16-bit-Videospiel-Antagonist, dennoch hat sie ein imposantes Auftreten, so dass sie als Bedrohung durchaus funktioniert – und das, obwohl Blanchett sich in genüsslichem Overacting übt und die Rolle der Todesdiva so großspurig anlegt, wie es möglich ist, ohne zur reinen Parodie zu verkommen.

Das klingt so niedergeschrieben vielleicht negativ, funktioniert in diesem Film aber hervorragend – es ist fast so, als sei die Oscar-Gewinnerin von einer boshaften Kate McKinnon (Ghostbusters) besessen. Das schürt zwar keine Angst, steckt jedoch vor lauter Verve und Launigkeit sofort an. In einer etwas subtileren Dosis ergeht es Tom Hiddleston als lausbübischer Trickster-Gott genauso, und Tessa Thompson nimmt als Valkyrie den Archetyp der taffen Kämpferbraut und läuft damit erstmal in den nächsten Schnapsladen.

Auch Avengers-Veteran Mark Ruffalo zeigt sich von seiner spaßigsten Seite und ergötzt sich sichtlich an der Möglichkeit, sich mit seinen Castmitgliedern Scherzdialoge um die Ohren zu hauen. Darunter leidet allerdings der Charakterbogen: Bruce Banner wird vom traumatisierten Opfer seiner gespaltenen Persönlichkeit zum Gute-Laune-Krieger, als sei es ein Spaziergang durch den Comedypark. Die Filmemacher bemühen sich, mit Schall und Rauch und Lachern davon abzulenken: Waititi und seine Cutter Joel Negron & Zene Baker lassen oftmals die verdatterten Reaktionen der Dialogpartner im Film drin, um der Gagparade eine Spur Authentizität zu geben … Schließlich werden besonders schlagfertige Wortwechsel im echten Leben auch Mal mit Schmunzlern bedacht, ehe es zum Ernst der eigentlich besprochenen Lage zurückgeht. Dafür lassen die Filmmacher manche der Scharmützel dann und wann einen Takt länger laufen, als es das gewollt undramatische Drehbuch zulässt.

Gestalterisch nimmt sich der Wo die wilden Menschen jagen-Regisseur die Freiheit raus, ein kreatives Kuddelmuddel an Einflüssen zusammenzuführen. So scheppert Led Zepplins markiger 1970er-Hit "Immigrant Song" aus den Lautsprechern (und das ganze zwei Mal, was ihm an Wirkung raubt). Das Design von außerirdischen Randfiguren sowie der Mode auf dem Planeten Skaar erweckt indes die Zeichnungen der Marvel-Comic-Legende Jack Kirby zum Leben, die er in den 60er-Jahren für die Thor-Comics zu Papier brachte. Die Gesamtästhetik des Films, mit martialischen Posen in Weichzeichner-Optik einerseits und der retrofuturistischen Innenarchitektur und Vehikelgestaltung andererseits, mutet letztlich so an, als hätte Waititi den Look von Super-Nintendo-Weltallgames mit Heavy-Metal-Albencovern verschmolzen – all dies, während Komponist Mark Mothersbaugh (The LEGO Movie) einen launigen Synthie-Score im 80er-Jahre-Style abliefert.

Dieser gewaltige Clash aus popkulturellem Zeitkolorit und sich beißenden Gestaltungsschulen hat Methode, trägt er doch zur schmissigen Grundstimmung des Films bei: Die Marvel-Version einer nordischen Gottheit will ihre Heimat, die wie ein Pappnachbau eines Mittelerde-Disneyland aussieht, beschützen, hängt aber auf einem Space-Metal-90er-Jahre-Videospiel-Planeten mit 60er-Jahre-Comicgestalten fest. Das soll gaga sein. Waititi weiß, diese Gegensätze mit amüsierter Pointiertheit gegeneinander auszuspielen und mit ironisch unterwanderten Rückgriffen auf vergangene Marvel-Filme klar komödiantisch zu positionieren.

Dass die nostalgische Vorstellung, wie ein Space-Fantasy-Film auszusehen hat, auch in einige detailarme, sehr künstlich aussehende Kostüme resultiert, ist ebenso klar Geschmacksfrage wie Waititis sich wiederholende Witz-Kombination: Es sind Cosplay-Stunden im Marvel Cinematic Universe, während sich die Figuren in einer "Subtile Ironie, launige Situationskomik, fesche Selbstironie, verbaler Schlagabtausch, ZOTE!"-Kombo üben. Das setzt eine entsprechende Erwartungshaltung voraus – Thor – Tag der Entscheidung ist ein Marvel-Lachfest, bei dem das Design herrscht, kein spaßig aufgelockertes Abenteuer mit glaubwürdiger Ausstattung.

Damit sind Waititi und die Autoren immerhin ehrlich zu ihrem Publikum: Als hätte irgendjemand erwartet, dass die Marvel Studios wenige Monate vor Avengers: Infinity War Thor in einem düsteren Weltallactiondrama über die Klinge gehen lassen … Wer braucht also das Vortäuschen drastischer Sequenzen für den Titelhelden, wenn ein Gros des Publikums eh weiß, dass es ihm gut genug gehen wird, um noch mindestens ein Crossover zu absolvieren? Dennoch hätten die Kostüme nicht so sehr nach Cosplay aussehen müssen.

Was uns zu einer weiteren prägenden Charakteristik des Films führt: Thors dritter Soloausflug ist der womöglich am wenigsten ausgegorene Film im 'Marvel Cinematic Universe'. Dies betrifft einerseits das Storytelling: Das eigentliche Abenteuer, das den Gott des Donners nach Sakaar führt, beginnt erst nach einem ausgiebigen, jegliche Stringenz missen lassenden Filmeinstieg. Da wird Loki auch mal wiedergefunden, um verloren zu gehen, und direkt danach wiedergefunden zu werden und erneut verloren zu gehen. Als narrativ untermotivierte Sketchparade lassen sich die Pre-Sakaar-Szenen amüsiert weggucken. Doch erzählerisch ist der Beginn von Thor – Tag der Entscheidung ein heilloses Durcheinander, bei dem die böse Vermutung aufkommt, dass sich das Autorenquartett mehrfach in eine Ecke manövriert hat, was in sehr behelfsmäßige Mini-Plotfäden resultierte. Weshalb das Konzept des Ragnaröks sogleich mehrfach mühselig erklärt werden musste, bleibt derweil ein ungelöstes Rätsel – und noch dazu eines, dass diesem Spaßfest Sand ins Getriebe streut.

Und dann wäre da der zweite, unausgegorene Aspekt an Thor – Tag der Entscheidung: Für einen mutmaßlich 180 Millionen Dollar teuren Kinofilm eines etablierten Hollywood-Studios hat Taika Waititis Actionspaß allerhand blamabel-miese Chromakey-Szenen zu bieten. Immer wieder kommt es zu statischen Bildeinstellungen, in denen es extrem offensichtlich ist, dass der Cast nicht am gezeigten Schauplatz zugegen war. Da werden mit digitaler Anfängertrickserei klinisch saubere, leblose Küstenaufnahmen hinter die Schauspieler gelegt oder auch Mal Chris Hemsworth und Co. für eine Handvoll Einstellungen in ein Foto eines der Filmsets gebeamt.

Aufnahmen mit Green- oder Bluescreen sind im Filmgeschäft längst Alltag und gerade die effektlastigen, einen enormen Cast jonglierenden Marvel-Filme sind voll von ihnen – umso erschütternder, wie provisorisch die grellen, keinerlei glaubwürdigen Schattenwurf aufweisenden, steifen Schummeleien hier ausfallen. Als wäre Thor – Tag der Entscheidung in den letzten Produktionswochen mit der ganz heißen Nadel gestrickt worden ...

Thor – Tag der Entscheidung ist somit ein sonderbares Biest im Marvel-Filmkanon. Dieser Film hat den mutigsten Look, aber auch die eklatantesten Effektpatzer des Franchises. Und das Drehbuch ist voller Leerlauf, über all das Nichts und die ganzen sketchartigen Eskapaden verteilt, macht der Held aber tatsächlich eine nennenswerte Wandlung durch. Als Fortführung der ersten beiden Thor-Filme taugt er kaum etwas (es fehlt nicht viel, und man würde mit einem "Ach, was bisher geschah, das ist nicht weiter von Bedeutung, vergesst es einfach!"-Spruch rechnen), und dennoch fühlt er sich dank der intensiven Spielfreunde Hemsworths wie die Vollendung der Titelfigur an. Kurzum: Für Drehbuch- oder Effektpreise empfiehlt sich Thor – Tag der Entscheidung kein Stück, aber wer ein Herz für das Ensemble hat, wird sich schwer tun, nicht mehrmals herzlich zu lachen.

Thor – Tag der Entscheidung ist somit der Klassenclown des Marvel Cinematic Universe, der sich nach einer hochdramatischen Trennung einer radikalen Typenänderung unterzogen hat, woraufhin er sein Umfeld zu einem Wochenendtrip mit sonderbarem Ziel einlädt: Auffällig, aufgekratzt, aufgedreht sowie hoch motiviert, sich neu zu erfinden und gefälligst Freude daran zu haben. Da werden auch mal unnötige Umwege in Kauf genommen und mit Anspruch ist auch nicht zu rechnen. Aber: "Alles so schön bunt hier!" Tapetenwechsel ist ja auch mal fein und eine gute Zeit mit gut aufgelegten, lustigen Leuten sowieso. Selbst wenn leider der eine oder andere gepfefferte Fremdschammoment nicht ausbleibt …

Die Scheibe
Die Blu-ray ist technisch auf dem Standard, der von einem Marvel-Film nunmehr verlangt wird. Satter, klarer Sound und sauberes Bild – auch wenn das den schwacheren Effekteinstellungen nicht zwingend zugute kommt. Aber die Zielgruppe, die sich Thor – Tag der Entscheidung zum Tonfall und Look passend im abgenudelten VHS-Look wünscht, dürfte verschwindend gering sein. (Als Easter Egg auf der Blu-ray wäre das dennoch genial.)

Das Bonusmaterial ist erfreulicherweise umfangreich – heutzutage ja leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Neben den nahezu obligatorischen, ulkigen Pannen vom Dreh gibt es einen Kurzfilm namens Team Darryl, der die Erlebnisse von Thors WG-Partner aus den Team Thor-Späßen weitererzählt. Achtung, Lachtränen-Gefahr! Die entfallenen Szenen (insgesamt knapp unter acht Minuten Laufzeit) sind derweil, wie eh und je, eine Mischung aus "Interessant zu sehen" und "Ja, kein Wunder, dass das rausflog". Ein echtes Highlight ist dagegen der urkomische, keinen Deut informative, augenzwinkernde Audiokommentar zum Film von Taika Waititi.

Die Featurettes zu einzelnen Aspekten des Films sind teils informativ (etwa das über das Steinwesen Korg), andere sind mir etwas zu werbend im Tonfall (Leute, ich habe die Disc schon in den Händen, ihr müsst den Film nicht mehr verkaufen!). Als kleines Bonmot gibt es außerdem einen Fünf-Minuten-Clip über die Entwicklung der MCU-Helden im Laufe der zehn Filmjahre sowie ein paar, stylische 8-Bit-Sequenzen.

Thor – Tag der Entscheidung ist ab dem 15. März 2018 auf DVD, Blu-ray, 4k-Blu-ray und 3D-Blu-ray erhältlich.

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