Der Film
"Lachend in die Kreissäge".
So bezeichnet es man üblicherweise, wenn jemand so glückselig-doof
ist, dass er geradewegs in sein Verderben rennt. Im Falle der Marvel
Studios lässt sich der Spruch indes umdeuten: Wenn im Frühling
dieses Jahres das Marvel Cinematic Universe sein zehnjähriges
Jubiläum feiert, kommt es zum megalomanischen Crossover-Event
zwischen seinen zahlreichen Heldinnen und Helden – und dieses
Aufeinandertreffen wird, wie könnte es anders sein, ein sehr
dramatisches. Bevor sich das Marvel-Filmuniversum aber in die
Kreissäge der schwerwiegenden narrativen Konsequenzen von
Avengers: Infinity War stürzte, gönnte es sich
und seinen Fans ein betont humorvolles Jahr.
Nach der auch einige ruhigere
Charaktermomente aufweisenden, bunten Weltraumsause Guardians
of the Galaxy Vol. 2 und dem selbstironisch unterfütterten
Superhelden-High-School-Spaß Spider-Man: Homecoming
endete Marvels 2017 mit Thor – Tag der Entscheidung,
der noch mehr auf die Lachmuskeln seines Publikums abzielt als die
früheren Filme über den Donnergott und die beiden anderen MCU-Filme
des Jahres 2017. Und damit sträubt sich der von 5 Zimmer
Küche Sarg-Regisseur Taika Waititi inszenierte
Superheldenfilm bewusst gegen das, was wohl unter zahlreichen anderen
Filmschaffenden aus diesem Stoff geworden wäre. Denn der
grundlegende Plot aus der Feder des Autorenteams Christopher Yost,
Craig Kyle, Stephany Folsom und Eric Pearson liest sich wie aus dem
Katalog für Big-Budget-Trilogie-Finalfilme zusammengeklaubt:
In seinem dritten (Quasi-)Solofilm
treffen wir Donnergott Thor (Chris Hemsworth) in einer misslichen
Lage wieder: Der Thronprinz von Asgard hat sich mit der dunklen
Prophezeiung befasst, dass Feuerdämon Surtur eines Tages den
Ragnarök heraufbeschworen wird – den Untergang seiner Heimat.
Selbstredend bemüht sich Thor, seiner Geburtsstätte dieses
Schicksal zu ersparen, doch dabei hat er die Rechnung ohne
Todesgöttin Hela (Cate Blanchett) gemacht. Diese zerstört Thors
mächtigen Hammer und nimmt zielstrebig Kurs auf Asgard – und zu
allem Überfluss strandet der eitle Recke bei seiner Klopperei mit
Hela auf dem Schrottplaneten Sakaar. Auf diesem hat der hedonistische
Grandmaster (Jeff Goldblum) das Sagen, der in Thor einen potentiellen
Herausforderer für seinen Champion im Gladiatorenkampf sieht.
Kann sich Thor rechtzeitig von Sakaar
befreien, oder machen ihm der Grandmaster, sein Champion oder die
versoffene Aufpasserin Valkyrie (Tessa Thompson) einen weiteren
Strich durch die Rechnung? Und wie fügt sich der Gott der Täuschung,
Loki (Tom Hiddleston), in dieses Bild?
Okay, okay. Einige Details dieses Plots
deuten bereits an, dass Thor – Tag der Entscheidung
das Sprungbrett für ein eskalierendes Fantasyepos-Trilogiefinale
nimmt und dann beschließt, lieber in ein exzentrisches Bällebad zu
springen. Die dramaturgische Fallhöhe bleibt bei der somit gebotenen
Comedy-Attacke in Thor – Tag der Entscheidung
dem Untertitel zum Trotz niedrig – da haben die zwei anderen
Marvel-Cinematic-Universe-Einträge 2017 einen stärkeren Akzent auf
die interpersonellen Konflikte gelegt. Dieser Film hingegen bemüht
sich nur um dezent mehr als das Minimum an charaktergestützter
Dramatik – viel mehr geht es darum, dem Cast die Möglichkeit für
eine albern-gute Zeit einzuräumen.
Laut Produzent Kevin Feige geschah dies
zu großen Stücken auf Anraten des Hauptdarstellers: Hemsworth
wollte mit Thor gänzlich neue Wege beschreiten, weil die Rolle ihn
allmählich langweilte. Mit Waititi fand sich ein Regisseur, der
genau auf Hemsworths humoristischer Wellenlänge liegt – wer also
Hemsworth in Ghostbusters oder Vacation –
Wir sind die Grisworlds für sein komödiantisches Timing
liebt, wird auch hier aus dem Grinsen kaum rauskommen.
Thor zeigt sich als seeliger
Kämpferbursche mit unkaputtbarem Siegeswillen und entsprechend
großem Ego, das er aber nicht arrogant, sondern mittels einer
bübisch-kollegialen Großspurigkeit zu Tage legt. Der Rest das
Ensembles passt sich Waititis und Hemsworths Ansatz an: Cate
Blanchetts Hela ist als Schurkin zwar so tiefgreifend motiviert wie
ein 16-bit-Videospiel-Antagonist, dennoch hat sie ein imposantes
Auftreten, so dass sie als Bedrohung durchaus funktioniert – und
das, obwohl Blanchett sich in genüsslichem Overacting übt und die
Rolle der Todesdiva so großspurig anlegt, wie es möglich ist, ohne
zur reinen Parodie zu verkommen.
Das klingt so niedergeschrieben
vielleicht negativ, funktioniert in diesem Film aber hervorragend –
es ist fast so, als sei die Oscar-Gewinnerin von einer boshaften Kate
McKinnon (Ghostbusters) besessen. Das schürt zwar
keine Angst, steckt jedoch vor lauter Verve und Launigkeit sofort an.
In einer etwas subtileren Dosis ergeht es Tom Hiddleston als
lausbübischer Trickster-Gott genauso, und Tessa Thompson nimmt als
Valkyrie den Archetyp der taffen Kämpferbraut und läuft damit
erstmal in den nächsten Schnapsladen.
Auch Avengers-Veteran
Mark Ruffalo zeigt sich von seiner spaßigsten Seite und ergötzt
sich sichtlich an der Möglichkeit, sich mit seinen Castmitgliedern
Scherzdialoge um die Ohren zu hauen. Darunter leidet allerdings der
Charakterbogen: Bruce Banner wird vom traumatisierten Opfer seiner
gespaltenen Persönlichkeit zum Gute-Laune-Krieger, als sei es ein
Spaziergang durch den Comedypark. Die Filmemacher bemühen sich, mit
Schall und Rauch und Lachern davon abzulenken: Waititi und seine
Cutter Joel Negron & Zene Baker lassen oftmals die verdatterten
Reaktionen der Dialogpartner im Film drin, um der Gagparade eine Spur
Authentizität zu geben … Schließlich werden besonders
schlagfertige Wortwechsel im echten Leben auch Mal mit Schmunzlern
bedacht, ehe es zum Ernst der eigentlich besprochenen Lage
zurückgeht. Dafür lassen die Filmmacher manche der Scharmützel
dann und wann einen Takt länger laufen, als es das gewollt
undramatische Drehbuch zulässt.
Gestalterisch nimmt sich der Wo
die wilden Menschen jagen-Regisseur die Freiheit raus, ein
kreatives Kuddelmuddel an Einflüssen zusammenzuführen. So scheppert
Led Zepplins markiger 1970er-Hit "Immigrant Song" aus den
Lautsprechern (und das ganze zwei Mal, was ihm an Wirkung raubt). Das
Design von außerirdischen Randfiguren sowie der Mode auf dem
Planeten Skaar erweckt indes die Zeichnungen der Marvel-Comic-Legende
Jack Kirby zum Leben, die er in den 60er-Jahren für die
Thor-Comics zu Papier brachte. Die Gesamtästhetik
des Films, mit martialischen Posen in Weichzeichner-Optik einerseits
und der retrofuturistischen Innenarchitektur und Vehikelgestaltung
andererseits, mutet letztlich so an, als hätte Waititi den Look von
Super-Nintendo-Weltallgames mit Heavy-Metal-Albencovern verschmolzen
– all dies, während Komponist Mark Mothersbaugh (The LEGO
Movie) einen launigen Synthie-Score im 80er-Jahre-Style
abliefert.
Dieser gewaltige Clash aus
popkulturellem Zeitkolorit und sich beißenden Gestaltungsschulen hat
Methode, trägt er doch zur schmissigen Grundstimmung des Films bei:
Die Marvel-Version einer nordischen Gottheit will ihre Heimat, die
wie ein Pappnachbau eines Mittelerde-Disneyland aussieht, beschützen,
hängt aber auf einem Space-Metal-90er-Jahre-Videospiel-Planeten mit
60er-Jahre-Comicgestalten fest. Das soll gaga sein. Waititi weiß,
diese Gegensätze mit amüsierter Pointiertheit gegeneinander
auszuspielen und mit ironisch unterwanderten Rückgriffen auf
vergangene Marvel-Filme klar komödiantisch zu positionieren.
Dass die nostalgische Vorstellung, wie
ein Space-Fantasy-Film auszusehen hat, auch in einige detailarme,
sehr künstlich aussehende Kostüme resultiert, ist ebenso klar
Geschmacksfrage wie Waititis sich wiederholende Witz-Kombination: Es
sind Cosplay-Stunden im Marvel Cinematic Universe, während sich die
Figuren in einer "Subtile Ironie, launige Situationskomik,
fesche Selbstironie, verbaler Schlagabtausch, ZOTE!"-Kombo üben.
Das setzt eine entsprechende Erwartungshaltung voraus – Thor
– Tag der Entscheidung ist ein Marvel-Lachfest, bei dem
das Design herrscht, kein spaßig aufgelockertes Abenteuer mit
glaubwürdiger Ausstattung.
Damit sind Waititi und die Autoren
immerhin ehrlich zu ihrem Publikum: Als hätte irgendjemand erwartet,
dass die Marvel Studios wenige Monate vor Avengers: Infinity
War Thor in einem düsteren Weltallactiondrama über die
Klinge gehen lassen … Wer braucht also das Vortäuschen drastischer
Sequenzen für den Titelhelden, wenn ein Gros des Publikums eh weiß,
dass es ihm gut genug gehen wird, um noch mindestens ein Crossover zu
absolvieren? Dennoch hätten die Kostüme nicht so sehr nach Cosplay
aussehen müssen.
Was uns zu einer weiteren prägenden
Charakteristik des Films führt: Thors dritter Soloausflug ist der
womöglich am wenigsten ausgegorene Film im 'Marvel Cinematic
Universe'. Dies betrifft einerseits das Storytelling: Das eigentliche
Abenteuer, das den Gott des Donners nach Sakaar führt, beginnt erst
nach einem ausgiebigen, jegliche Stringenz missen lassenden
Filmeinstieg. Da wird Loki auch mal wiedergefunden, um verloren zu
gehen, und direkt danach wiedergefunden zu werden und erneut verloren
zu gehen. Als narrativ untermotivierte Sketchparade lassen sich die
Pre-Sakaar-Szenen amüsiert weggucken. Doch erzählerisch ist der
Beginn von Thor – Tag der Entscheidung ein
heilloses Durcheinander, bei dem die böse Vermutung aufkommt, dass
sich das Autorenquartett mehrfach in eine Ecke manövriert hat, was
in sehr behelfsmäßige Mini-Plotfäden resultierte. Weshalb das
Konzept des Ragnaröks sogleich mehrfach mühselig erklärt werden
musste, bleibt derweil ein ungelöstes Rätsel – und noch dazu
eines, dass diesem Spaßfest Sand ins Getriebe streut.
Und dann wäre da der zweite,
unausgegorene Aspekt an Thor – Tag der Entscheidung:
Für einen mutmaßlich 180 Millionen Dollar teuren Kinofilm eines
etablierten Hollywood-Studios hat Taika Waititis Actionspaß
allerhand blamabel-miese Chromakey-Szenen zu bieten. Immer wieder
kommt es zu statischen Bildeinstellungen, in denen es extrem
offensichtlich ist, dass der Cast nicht am gezeigten Schauplatz
zugegen war. Da werden mit digitaler Anfängertrickserei klinisch
saubere, leblose Küstenaufnahmen hinter die Schauspieler gelegt oder
auch Mal Chris Hemsworth und Co. für eine Handvoll Einstellungen in
ein Foto eines der Filmsets gebeamt.
Aufnahmen mit Green- oder Bluescreen
sind im Filmgeschäft längst Alltag und gerade die effektlastigen,
einen enormen Cast jonglierenden Marvel-Filme sind voll von ihnen –
umso erschütternder, wie provisorisch die grellen, keinerlei
glaubwürdigen Schattenwurf aufweisenden, steifen Schummeleien hier
ausfallen. Als wäre Thor – Tag der Entscheidung
in den letzten Produktionswochen mit der ganz heißen Nadel gestrickt
worden ...
Thor – Tag der
Entscheidung ist somit ein sonderbares Biest im
Marvel-Filmkanon. Dieser Film hat den mutigsten Look, aber auch die
eklatantesten Effektpatzer des Franchises. Und das Drehbuch ist
voller Leerlauf, über all das Nichts und die ganzen sketchartigen
Eskapaden verteilt, macht der Held aber tatsächlich eine
nennenswerte Wandlung durch. Als Fortführung der ersten beiden
Thor-Filme taugt er kaum etwas (es fehlt nicht
viel, und man würde mit einem "Ach, was bisher geschah, das ist
nicht weiter von Bedeutung, vergesst es einfach!"-Spruch
rechnen), und dennoch fühlt er sich dank der intensiven Spielfreunde
Hemsworths wie die Vollendung der Titelfigur an. Kurzum: Für
Drehbuch- oder Effektpreise empfiehlt sich Thor – Tag der
Entscheidung kein Stück, aber wer ein Herz für das
Ensemble hat, wird sich schwer tun, nicht mehrmals herzlich zu
lachen.
Thor – Tag der
Entscheidung ist somit der Klassenclown des Marvel
Cinematic Universe, der sich nach einer hochdramatischen Trennung
einer radikalen Typenänderung unterzogen hat, woraufhin er sein
Umfeld zu einem Wochenendtrip mit sonderbarem Ziel einlädt:
Auffällig, aufgekratzt, aufgedreht sowie hoch motiviert, sich neu zu
erfinden und gefälligst Freude daran zu haben. Da werden auch mal
unnötige Umwege in Kauf genommen und mit Anspruch ist auch nicht zu
rechnen. Aber: "Alles so schön bunt hier!" Tapetenwechsel
ist ja auch mal fein und eine gute Zeit mit gut aufgelegten, lustigen
Leuten sowieso. Selbst wenn leider der eine oder andere gepfefferte
Fremdschammoment nicht ausbleibt …
Die Scheibe
Die Blu-ray ist technisch auf dem
Standard, der von einem Marvel-Film nunmehr verlangt wird. Satter,
klarer Sound und sauberes Bild – auch wenn das den schwacheren
Effekteinstellungen nicht zwingend zugute kommt. Aber die Zielgruppe,
die sich Thor – Tag der Entscheidung zum Tonfall
und Look passend im abgenudelten VHS-Look wünscht, dürfte
verschwindend gering sein. (Als Easter Egg auf der Blu-ray wäre das
dennoch genial.)
Das Bonusmaterial ist erfreulicherweise
umfangreich – heutzutage ja leider keine Selbstverständlichkeit
mehr. Neben den nahezu obligatorischen, ulkigen Pannen vom Dreh gibt
es einen Kurzfilm namens Team Darryl, der die
Erlebnisse von Thors WG-Partner aus den Team Thor-Späßen
weitererzählt. Achtung, Lachtränen-Gefahr! Die entfallenen Szenen
(insgesamt knapp unter acht Minuten Laufzeit) sind derweil, wie eh
und je, eine Mischung aus "Interessant zu sehen" und "Ja,
kein Wunder, dass das rausflog". Ein echtes Highlight ist
dagegen der urkomische, keinen Deut informative, augenzwinkernde
Audiokommentar zum Film von Taika Waititi.
Die Featurettes zu einzelnen Aspekten
des Films sind teils informativ (etwa das über das Steinwesen Korg),
andere sind mir etwas zu werbend im Tonfall (Leute, ich habe die Disc
schon in den Händen, ihr müsst den Film nicht mehr verkaufen!). Als
kleines Bonmot gibt es außerdem einen Fünf-Minuten-Clip über die
Entwicklung der MCU-Helden im Laufe der zehn Filmjahre sowie ein
paar, stylische 8-Bit-Sequenzen.
Thor – Tag der
Entscheidung ist ab dem 15. März 2018 auf DVD, Blu-ray,
4k-Blu-ray und 3D-Blu-ray erhältlich.
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen