Freitag, 12. Mai 2017
Freitag der Karibik #42
Das Pirates of the Caribbean-Franchise hat ein Problem. Ein Luxusproblem, das zahlreichen anderen Franchises dieser Größtenordnung fremd sind: Seine öffentliche Wahrnehmung dreht sich um eine einzelne Performance - Johnny Depps Darstellung des verwegenen, chaotischen Piratenkapitäns Jack Sparrow. Star Wars hat sich längst zu einem ganzen Kosmos an vielen, unterschiedlichen Aspekten gewandelt, die auch Gelegenheitszuschauer als Grund herausstellen, sich in diese Filmwelt zu begeben. Das Marvel Cinematic Universe hat eine Heerschar an Figuren zu bieten, die sich beim Stammpublikum um den Ehrentitel "Publikumsfavorit" prügeln. Die James-Bond-Filme genießen ihren Sonderstatus, dass bei ihr eine Umbesetzung des Protagonisten nicht nur geduldet, sondern praktisch erwartet wird. Die Transformers-Reihe dreht sich mehr um ihre Special Effects und Michael Bays Krachbumminszenierung als um irgendwelche Figuren- und Besetzungsfragen. Und bei Fast & Furious gibt es ebenso wenig die eine, zentrale Rolle, um die sich alles drehen muss.
Für das Fortbestehen der Pirates of the Caribbean-Saga drängt sich somit eine Frage auf: Sollte Disney sie eines Tages zusammen mit Käpt'n Jack Sparrow in den Ruhestand schicken? Oder kann sie aus dem langen Schatten von Johnny Depps Paraderolle herauswachsen? Respektive: Sollte Disneys dies zumindest versuchen?
How Do You Solve a Problem Like Johnny?
Oder alternativ: Braucht es überhaupt eine Lösung? Im Frühjahr 2016 sah es durchaus so aus. Johnny Depp war aus den Negativschlagzeilen nicht mehr rauszukriegen und Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln legte eine wirtschaftliche Bruchlandung hin. Aber dies scheint nunmehr passé zu sein. Ja, als Depp im kalifornischen Disneyland als Jack Sparrow Gäste überraschte, ließen es sich diverse Reporter nicht entgehen, anzumerken, dass dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, den Depps Image nunmehr darstellt. Eine deutlichere Antwort, ob die im Raum stehenden Vorwürfe gegenüber Depp sich auch mit piratigem Rum-Salzwasser-Gemisch nicht fortwaschen lassen, werden die Einspielergebnisse und Publikumsreaktionen geben. Bislang sieht es aber so aus, als würden Zuschauerinnen und Zuschauer, unabhängig von ihrer Meinung zu Depp, wenigstens Jack Sparrow verzeihen: Das US-Tracking spricht aktuell von einem 90-Millionen-Dollar-Startwochenende. Das wäre über Teil eins, weit unter Teil zwei und drei sowie auf Augenhöhe mit Teil vier.
Iger hatte dies schon vor einem Jahr vorhergesagt: Er mache sich wegen Pirates of the Caribbean keine Sorgen, erklärte er in einem Interview. Denn der Star des Films sei Käpt'n Jack, nicht Johnny Depp. Und die Hollywood-Erfahrung lehrt, dass weit mehr Menschen zwischen Kunst und Künstler trennen, als es Onlinedebatten mutmaßen ließen. Michelle Rodriguez wurde vor bald zehn Jahren dasselbe vorgeworfen wie Depp. Und seither spielte sie im erfolgreichsten Film aller Zeiten und zwei Milliarden-Dollar-Hits mit. Und anders als im Falle Depp gibt es deshalb keine "Hot Take"-Artikel zu lesen.
Zugegeben: Rodriguez ist sowohl in Avatar als auch den Fast & Furious-Filmen ein kleines Rädchen, während Depp die Aufmerksamkeit in den Pirates-Filmen auf sich zieht. Zudem ist Depp ein ganz anderes Star-Kaliber, so dass kritische Artikel eine andere Klickstärke haben als bei Rodriguez. Und als Disney-Filme werden den Pirates-Produktionen ungleich höhere moralische Standards angedichtet als James Camerons Bombastwerk und den Universal-Actionern. Dennoch: Disney scheint bei Salazars Rache noch nicht in Zugzwang zu sein. Was aber nicht bedeutet, dass Disney sich ausruhen sollte.
Erstens: Depp wird nicht jünger, die Pirates-Filme aber nicht ruhiger. Irgendwann wird er zu alt oder steif für die Rolle sein. Zweitens: Die Negativberichte über Depp werden zwar leiser, nicht aber weniger. Und "Trennung zwischen Schauspieler und Rolle" hin oder her, ein Multi-Milliarden-Franchise daran hängen zu lassen, dass die Masse dieser Person zumindest in einer Rolle wohlgesonnen bleibt, ist ... riskant. Wirtschaftlich. Und auch künstlerisch. Ich als Fan würde keinen siebten Teil mit offenem Ende haben wollen, nur um dann im Kalten stehen gelassen zu werden, weil der Film floppt und daher keine Fortsetzung folgt. Kurzum: "Mit Depp als Hauptverkaufsargument lustig weiter machen, bis es nicht mehr gelingt" ist keine Option. Über kurz oder lang muss die Sparrow-Saga ein rundes Ende finden. Für Disneys wirtschaftliches Wohl, ja. Vor allem aber, weil es diese großartige Figur verdient hat, nicht verheizt zu werden.
Der Symmetrie zu Liebe wäre ein sechster Teil nett. Zwei Trilogien, in denen Jack Sparrow zwar nicht der klassische Protagonist ist, wohl aber die Hauptfigur. Nur bleibt weiter die Frage offen: Danach weiter machen, oder es bleiben lassen?
Bring Me A New Horizon
Klar. Die vorsichtige Variante wäre, Pirates of the Caribbean mit dem Ende des Jack-Sparrow-Handlungsfadens abzuschließen. Wäre natürlich besser als ein offenes Ende, aber ganz eigennützig muss ich festhalten: Das wäre verflucht schade, würde es doch eine Menge ungenutzten Potentials liegen lassen. Pirates of the Caribbean ist mehr als die Sparrow-Show. Es ist eine faszinierende, spannende Abenteuerwelt des wahrgewordenen Seemannsgarns, die schaurige Inhalte und coole, lustige Action mit einer rockigen Attitüde zu bombastischem Kinovergnügen formt. Die Reihe hat schon jetzt viele exzentrische, reizvolle Figuren zu bieten - und sie könnte auch ohne Jack weitergehen. Man muss es nur richtig anpacken.
Daher muss Disney nach Teil fünf dringend Entscheidungen treffen. Sollte es einen sechsten Film geben, bringt es nichts, in ihm womöglich die Sparrow-Saga zu beenden, dann PotC sieben, acht Jahre ruhen zu lassen und dann ein neues Abenteuer rauszuhauen, und zu erwarten, dass das Publikum die neuen Figuren schon schlucken wird, ist äußerst riskant. Und ebenso wenig sollte eine explizite Staffelstabübergabe erfolgen. Bei Indiana Jones hat das bekanntlich auch nicht funktioniert.
Star Wars hat es hervorragend vorgelebt: Starke neue Figuren einführen, die fantastische Welt
und Mythologie betonen, die wir alle in dieser Reihe erleben können, und mit alten Bekannten ein Gefühl der Familiarität erzeugen. Vielleicht können in Teil sechs Pintel und Ragetti zurückkehren (die in Teil fünf allen Berichten zufolge erneut aussitzen) und so wieder stärker in Erinnerung zurückgeholt werden, ehe sie in Teil sieben die Sidekicks einer neuen Protagonistin werden? Vielleicht bleibt auch wer aus Salazars Rache an Bord?
Und je nachdem, wer weiß: Vielleicht schreiben wir Sparrow nicht ganz raus. Sondern geben ihm hie und da eine Gastrolle. Eventuell auch nicht. Die Story muss das diktieren.
Als Test, wie groß der Markt ist, könnten gute, Sparrow-freie Materialien (Comics, Romane, Videospiele) dienen. Ja. Genau. Den ganzen Star Wars-Kram halt. Das will ich für meine geliebten Piraten.
Ich weiß, ich verlange viel. Ich will klare Zäsuren und dennoch mehr. Aber es ist wert, es zu versuchen: Pirates of the Caribbean ist im Hollywood-Angebot zu einzigartig, die Tonalität und Mythologie der Reihe zu spannend, um die Saga als Jack-Sparrow-Story zu beenden. Und wenn es doch so sein soll: Hey. Danke Disney. Wenigstens ein rundes Ende.
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