Sonntag, 20. November 2016
Ice Age – Kollision voraus!
Es gibt eine Szene in Ice Age – Kollision voraus!, die so viel mehr über diesen Animationsfilm aussagt, als sie es sollte: Die kunterbunte Herde, die sich einst bloß aus Wollhaarmammut Manni, Säbelzahntiger Diego und Faultier Sid zusammengesetzt hat, durchkreuzt einen von Meteoriten zerschlagenen, elektromagnetisch aufgeladenen Pfad ( … nicht fragen …). Da durch die lila Blitze, die von den Gesteinsbrocken ausgehen, ordentlich Chaos entstanden ist und es die pelzige Truppe eilig hat, versucht Sid, rasch durchzuzählen, ob alle das Hindernis hinter sich gelassen haben. Doch Sid kapituliert kurz darauf – denn bevor er alle Mitglieder seiner XL-Patchworkfamilie nennen kann, gehen ihm die Finger aus.
Selbstredend gibt es kein Filmgesetz, das besagt, wie groß ein Figurenensemble zu sein hat. Nicht einmal ein ungeschriebenes. Schließlich zeigten allein in jüngerer Vergangenheit unter anderem das Superheldenspektakel The First Avenger – Civil War und die durchgeknallte Satire Heil, dass eine Heerschar an Sprechrollen einem Film keineswegs schaden muss. In diesen Fällen ist die Größe des Figurenensembles aber zweckmäßig: Während das Marvel-Epos ganz klar einen Protagonisten kürt, und die weiteren Figuren dazu dienen, seinen zentralen Konflikt zu intensivieren, erhält Dietrich Brüggemanns derber Spaß gegen Rechts erst durch die Fülle an Figuren seinen markant-fiebrigen Irrsinn. Ice Age – Kollision voraus! hingegen gewinnt nichts dadurch, dass mittlerweile mehr Pelzträger über ihre Pfoten stolpern, als ein Riesenfaultier zählen kann. Zumal nach besagter Szene eine ganze Enklave an weiteren, neuen Figuren eingeführt wird.
Die zynische Erklärung dafür, dass die Eiszeitfamilie Wollny, äh, Manni wächst und wächst und wächst, führt natürlich ins Spielzeugregal. Wieso nur Sid-Plüschtiere verkaufen, wenn sogleich vier verschiedene Faultiere durch den Film spazieren und so Kaufimpulse auslösen können? Die weniger zynische Erklärung: Innerhalb der Blue-Sky-Studios mangelt es an Mut, Figuren aus früheren Ice Age-Teilen wieder auszusortieren und so ihre Fans zu enttäuschen, so dass immer mehr und mehr Ballast mitgeschleppt wird. Ganz gleich, welche der beiden Erklärungen zutrifft, oder ob vielleicht beide zu einem gewissen Grad zutreffen: Der nunmehr fünfte Part der computeranimierten Saga bekommt die Folgen der Ice Age-Überbevölkerung noch stärker zu spüren, als der bereits arg vollgestopfte und orientierungslose vierte Teil.
Das Ursprungstrio, das am ehesten als der Kleister betrachtet werden kann, der die Handlung zusammenhält, wird immer und immer wieder von Randfiguren übertönt, die in ihrem Debütfilm noch Funktion und Charakter hatten, nun aber bloß noch lärmende Stichwortgeber sind. Die Opossums Crash und Eddie sind diesbezüglich die schlimmsten Übeltäter, sie haben mittlerweile jegliche Persönlichkeit und Zurückhaltung abgegeben, um nur noch rumquäkend jeden Gag auf die Spitze und darüber hinaus zu treiben. Jedoch wissen die Autoren nicht nur mit diesem Duo nichts Vernünftiges anzufangen. Wiederholt stoppt der winzige Hauch an Restplot, der erzählt wird (ein Meteor rast auf die Erde zu, die Herde will dies aufhalten, während Manni lernen muss, die Zukunftspläne seiner Tochter respektieren zu lernen), um eine Parade an flachen Gags abzufeuern, damit auch ja jede der Nebenfiguren nochmal zum Zuge kommt.
Die Herde macht sich in Armageddon-Manier für ihre Mission bereit? Amüsant. Es wird gestolpert und gedrängelt? Auch noch amüsant. Dann aber kommentieren Crash und Eddie das Ganze und Sids Oma bekommt ebenfalls Gelegenheit, das Publikum daran zu erinnern, dass sie alt und frech ist. Bis dahin ist der Armageddon-Persiflage längst die Luft ausgegangen und selbst eine gelungene Pointe würde nur lästig wirken. Das tatsächlich abgelieferte Gezeter raubt dem Film dagegen die Chance, so charmant zu sein wie die ersten Ice Age-Teile. Solche Abläufe wiederholen sich in den anstrengenden ca. 95 Filmminuten mehrfach, weshalb es den gemeineren Teilen des Publikums nicht zu verdenken wäre, den Meteor anzufeuern, statt die zugegebenermaßen sehr flauschige Patchwork-Familie und deren Freunde. Erstaunliche Fellanimationen sind eben nicht alles, was eine anderweitig auf Technik-Mittelmaß liegende Digitaltrickkomödie ausmacht.
Zu den raren Glanzmomenten zählen konsequenterweise die neusten chaotischen Erlebnisse des Säbelzahneichhörnchens Scrat, das weiterhin unbeirrbar denselben Weg geht wie noch im ersten Ice Age-Teil: Das knuffige Tierchen, das auf der Jagd nach einer Eichel nicht nur sich selber immensen Schaden zufügt, sondern auch seiner Umwelt, kommt ohne jeglichen Ballast aus. Scrat steht für turbulenten Cartoon-Slapstick, und selbst wenn seine Looney Tunes-haften Einlagen nunmehr im Weltall spielen, so haben sie ungebrochen etwas uriges, bodenständiges: Das Fellbüschel will etwas erreichen und scheitert wortlos auf eskalierende, rasante Weise. Keine zwei Dutzend Nebenfiguren, keine Anspielungen auf Hashtags und Flirtportale, auch keine Popmusik. Sondern simpler, zwischendurch keck überzogen-garstiger Cartoonspaß. Das können die Ice Age-Macher, und zwar hervorragend. Weshalb also der ganze lästige Rummel drumherum?
Fazit: Der fünfte Ice Age-Film sieht besser aus als seine Vorgänger, doch Herz und Charme sind verloren gegangen: Scrat macht weiter sein entfesseltes Slapstick-Ding, während Sid, Diego und Manni durch einen hibbeligen Alibi-Plot stapfen, der sich durch zahllose, anstrengende Nebenfiguren zur Geduldsprobe wandelt.
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