Frenetisch flackern die Studiologos über die Leinwand, ehe eine Gruppe jugendlicher Freundinnen von derben Technobeats begleitet zu einer Party düst. Sie saufen, machen Scherze, sind fies zueinander. Die 16-jährige Tina (Carolyn Genzkow) bekommt einen dieser vermeintlichen Späße in den falschen Hals, was ihr direkt die Partylaune vermiest. Doch der sie und ihre Freundinnen lockende (illegale?) Rave in einem Freibad bei Berlin hämmert mit seinen kühlen, schnellen Sounds Tinas Gedankenwelt hinfort, versetzt sie mit einem desorientierenden Gewitter an farbenfrohen Blinklichtern in einen beklommenen Rausch. Losgelöste „Mir gehört die Welt!“-Stimmung sieht anders aus, Miesepeter-Laune aber auch. Doch dann überkommen sie in einem ruhigen Moment Panikattacken, die immense Wellen nach sich ziehen: Auch im sicheren Schoß ihres Kinderzimmers wird sie von Furcht und Angst geplagt, in Albträumen wird sie von einem seltsamen Fabelwesen heimgesucht. Tinas Eltern nehmen ihre Sorgen nicht ernst, vor ihren Freunden traut sie sich nicht, die Maske der abgeklärten Partymaus fallen zu lassen – und den Rat ihres Psychiaters, Kontakt zu diesem Monstrum aufzunehmen, findet sie absurd …
Der entfesselte, manische Einstieg, den Multitalent Akiz gewählt hat, ist nicht nur der größte Segen dieses mutigen, atypischen deutschen Kinoprojekts. Sondern zudem der Ursprung großer Missverständnisse: Nachdem Der Nachtmahr uraufgeführt wurde, machten auf diversen Filmportalen Berichte die Runde, es sei ein neuer, hemmungsloser Experimentalfilm entstanden, der sich idealerweise als verstörender Leinwandrave bezeichnen ließe. Selbst wenn diese Seele zweifelsohne in Akiz' tranceartiger Genreübung schlummert, so ist es ein Unding, Der Nachtmahr darauf zu beschränken. Denn abseits der heißblütigen, hemmungslosen Partyszenen pocht ein zweites Herz in diesem Film. Verwirrend geschnittene, mit hypnotischer Kameraführung verwirklichte Sequenzen, in denen lange unklar bleibt, ob Tina Albträume hat, in wachem Zustand Grimmiges fantasiert oder in Wirklichkeit von einem unförmigen Ding verfolgt wird, dienen als Übergang zu einem ruhigeren, dennoch spannenden Einblick ins pubertierende Gemüt.
Gerade dadurch, dass der Einstieg so exzessiv geraten ist und zudem vielerorts ein Bild von Der Nachtmahr gezeichnet wird, das keinen anderen Eindruck erlaubt, besteht die Gefahr, dass die späteren, einfühlsameren Passagen Teile des Publikums verlieren. Dabei sind sie es, die Akiz krassen Stil mit achtbarer Substanz stützen: Carolyn Genzkow blüht als verschreckte, nachdenkliche Teenagerin auf, liefert eine facettenreiche, verletzliche, trotzdem kesse Performance ab, durch die Tina weit mehr darstellt als das übliche, hohle Horrorfilmopfer. Selbst wenn ihr Umfeld sie gerne als ebensolches sehen möchte: Mitleidig, teils sehr mahnend, zeichnet Akiz ein Bild moderner Teen-Freundschaften, die nur daraus bestehen, gemeinsam abzuhängen. Solidarität scheint verpönt, während sich gut betuchte Eltern empathisch geben, aber nur nach simplen Lösungen greifen.
Je größer die Fallstricke in den tagsüber spielenden Szenen werden, desto heimeliger werden die Nachtsequenzen: Die titelgebende Gestalt, realisiert als extrem schlichter, haptischer Puppeneffekt, ist nicht mehr als ein hässlich-knuffiges Etwas. Eine Kreuzung aus einem abgetriebenen Embryo, einem schlecht gealterten E.T. und Gollum. Es gab schon scheußlichere Kinoungetüme – aber gerade dies gibt Akiz' ersten Teil eines filmischen Triptychons über Geburt, Liebe und Tod eine altmodische, effektvolle Spannung. Die spitze, aber billige „Ich will das eklige Monster nicht sehen!“-Furcht weicht einer profunden Angst diesbezüglich, wie Tina von ihrem Umfeld behandelt wird. Somit rückt Der Nachtmahr an das frühe, expressionistische deutsche Kino heran, als bis in die 20er-Jahre hinein Werke wie Der Golem oder Das Cabinet des Dr. Caligari monströse Ereignisse mit wehleidiger, dunkler Romantik oder introspektiver Melancholie versehen haben.
Dass der Cast um Genzkow herum zuweilen arg dick aufträgt und kurz vor dem Finale unter anderem eine kurze Englischstunde den Zuschauenden direkt eine der möglichen Interpretationen dieser Geschichte zur Hand reicht, trübt ein wenig den Gesamteindruck. Wenn der Abschluss erneut mit Wahn und Wirklichkeit spielt, dabei aber ruhiger geraten ist als das Intro, und Der Nachtmahr somit rund und in sich schlüssig endet, sind solche Schönheitsmakel aber schnell verziehen. Der Rave mag enden, die Faszination jedoch nicht.
Fazit: Der Nachtmahr ist der Urahn des klassischen, expressionistischen deutschen Horrors. Stylisch, melancholisch. Und auf ACID.
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