Nacht. Tiefschwarze Nacht. Nur zwei Autoscheinwerfer sorgen für Licht.
Wenig, unfassbar wenig Licht. In diesem Licht stehen sich zwei Männer gegenüber
– einer vor Nervosität zitternd. Der andere ist üblicherweise gemeingefährlich,
aber nun, im Schatten der Nacht von einer unerwarteten Situation überrumpelt,
steht ihm ein undechiffrierbarer Ausdruck ins Gesicht geschrieben. Einige
Minuten zuvor versank eine Sondereinsatztruppe während eines den Horizont
purpur färbenden Sonnenuntergangs ins satte Schwarz einer einsamen Wüstengegend
nahe Mexiko. Diese zwei Szenen stehen stellvertretend für die Bildsprache der
neusten Regiearbeit des kanadischen Filmemachers Denis Villeneuve: Wenn sich Sicario
in Dunkelheit verliert, so ist es keine Film-Dunkelheit. Hier erstrahlen
Gesichter nicht in einem schmucken Ultramarineblau. Die Dunkelheit ist hier
stockfinster.
Nicht, dass der Tag einladender wäre: Gleißendes Weiß, das jedes noch
so kleine Staubkorn offenbart, das sich im Wind wiegt. Giftiges Gelb-Braun, das
sich in die Augen brennt und den Betrachter an Krankheit, Verzweiflung,
Hoffnungslosigkeit denken lässt. Meister-Kameramann Roger Deakins (No
Country For Old Men, Skyfall) versteht es, die
Schauplätze dieses Drogenthrillers so einzufangen, dass sie abstoßen. Dass sie
schon auf dem ersten Blick einen Fluchtimpuls oder zumindest ein tief sitzendes
Unbehagen auslösen. Paradoxerweise, und das macht eine Legende wie Deakins erst
zur Legende, überträgt sich dieses Unwohlsein, mit dem die Szenerie behaftet
ist, nicht auf den eigentlichen Film. Die Kameraarbeit geht in Sicario
mit zu präzisem Auge und zu kunstvoller Hand vonstatten, als dass sie den
Kenner nicht erstaunen lassen würde. Und selbst wenn der großartige, mehrfache
Oscar-Anwärter die beste Leistung unter den Sicario-Verantwortlichen
verantwortet, so lässt sich dieses Urteil auf praktisch alle relevanten Aspekte
dieses Thrillers anwenden …
Im Mittelpunkt der zu gleichen Teilen bedrückenden wie fesselnden Story
steht Emily Blunt als Kate Macer. Blunt spielt die erfahrene und verbissene
FBI-Agentin mit stiller Intensität. Mit wenigen Worten, aber subtiler Mimik und
einer zurückhaltenden, aber vielsagenden Gestik verleiht die Mimin ihrer Rolle
einen gestrengen Charakter. Kate befolgt stur die Regeln und will mit dieser Haltung
sowie mit Zähheit für Recht sorgen. Als sie aber in eine Spezialeinheit
eingeladen wird, die sich an die Fersen eines Kartellbosses macht, landet die
taffe Agentin in einer Welt, die auf beiden Seiten der Rechtsprechung viel
härter ist als alles, was sie zuvor erlebt hat. So schleicht sich auch ein
leises Gefühl der Überforderung in Kates Gestus, vermengt mit einer sie
treibenden Neugier: Wozu bin ich eigentlich in diesem Team?
Denn Geheimdienstler Matt Graver (Josh Brolin) hat abseits eines
unentwegt zwischen einladend und selbstgefällig schwankendem Grinsen nicht
viel, das er Kate bietet. Von sich aus gibt er kaum Informationen über die
gemeinsame Mission, und wenn Kate nachbohrt, bleibt er zumeist sehr kryptisch.
Kaum besser ist da der undurchsichtige Alejandro (Benicio Del Toro), der
offenbar als Berater fungiert und eine tragische Vergangenheit hat – sowie ein
dunkles Glimmern in seinen Augen. Dass Kates fähiger, aber wenig erfahrener
Kollege Reggie (Daniel Kaluuya) aufgrund seiner Jurakenntnisse nicht in die
Sondereinheit darf, gibt zusätzliche Rätsel auf ….
Obwohl Sicario angesichts der vielen offenen Fragen,
die lange Zeit im Raum schweben, eingangs eine andere Vermutung nahe liegt, ist
Drehbuchautor Taylor Sheridan nicht daran interessiert, einen wendungsreichen
Verschwörungsthriller zu erzählen. Stattdessen zieht er Sicario
als geradlinige Geschichte über den Kampf der US-Behörden gegen ein Kartell auf
– bloß, dass Sheridan das Publikum über weite Strecken auf dem Informationsstand
des Neulings Kate belässt. Die Gründe, weshalb sich niemand darum bemüht, Kate
– und somit die Zuschauer – ausführlich zu informieren, sind wiederum mit dem
eigentlichen Thema des Films verquickt. Denn während Sicario
nach außen hin sehr gut als betrüblicher, aufgrund seiner dichten Atmosphäre
brodelnder Thriller mit wenig, dafür schneidender Action funktioniert,
referiert der Film zwischen den Zeilen über Grau-Graue-Moralität. Und darüber,
dass es in der Drogenbekämpfung keine einfachen Antworten gibt.
Zwar bietet Sheridan trotz der von ihm betriebenen, weit reichenden
Recherchearbeit nur wenig neue Erkenntnisse. Jedoch verpackt er diese in einen
in sich schlüssigen, mitreißenden Thriller, der sich nie wie ein Lehrstück
schaut. Sondern stets wie ein sich langsam steigernder, grimmer Actionthriller
für ein Publikum, das auch mal zwei Stunden auf Hoffnungsschimmer und rasantes
Spektakel verzichten kann. Zwischendurch dürfte Kate angesichts der
Geschehnisse zwar gern etwas aktiver, auflehnender handeln, dafür punktet der
Film aber mit einem persönlichen, antiklimatischen Schluss. Effekthascherei
braucht Sicario nicht. Mit präzisem Schnitt, beißenden
Soundeffekten und einem tiefen, bedrohlichen Bass, der die kraftvolle
Hintergrundmusik von Jóhann Jóhannsson dominiert, bringt Sicario
auch so das Adrenalin zum Kochen. Und der Prisoners-Regisseur
Denis Villeneuve fundamentiert seine Stellung als Schöpfer eindrucksvoller,
ruhiger, unter die Haut gehender Stoffe.
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