Es gibt Geschichten, die einfach nicht alt werden. Geschichten, die
immer und immer wieder erzählt werden wollen. Und dabei gerne auch ihre Gestalt
ändern dürfen. Die Erzählung von den drei Musketieren ist solch eine. Auch die
edlen Raubzüge von Robin Hood werden stets neu interpretiert. Und J. M. Barries
Schöpfung namens Peter Pan darf sich selbstredend ebenfalls in diese Riege
einreihen. Der Junge, der niemals erwachsen werden wollte, beflügelt seit mehr
als hundert Jahren die Fantasie von Kindern und Erwachsenen. Seit Barrie den
bevorzugt grün gekleideten, fliegenden Flegel erdacht hat, kam er in unzähligen
Bühnenaufführungen vor, diversen offiziellen Kinderbüchern und ebenso in
inoffiziellen Spin-Offs. Die Theatervorlage wurde möglichst originalgetreu auf
Zelluloid gebannt, 1953 von Walt Disney und dessen Zeichentrickkünstlern neu
gedeutet und 50 Jahre später als verspieltes Fantasyabenteuer für ein modernes
Publikum verpackt.
Darüber hinaus brachte Steven Spielberg mit Hook
eine Fortsetzung in die Kinos, in der Peter Pan letztlich doch erwachsen wurde,
aber dann als gereifter Mann ins Nimmerland zurückkehren muss. Jetzt geht der
auf filmische Augenweiden spezialisierte Regisseur Joe Wright (u.a. bekannt
durch die Stolz und Vorurteil-Adaption mit Keira Knightley)
den umgekehrten Weg: In Pan skizziert er die Vorgeschichte
eines neuen Peter Pan. Eines Peter Pan, der als Waise in London aufgewachsen
ist und während eines Fliegerangriffs auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs
ins Nimmerland, respektive Neverland, entführt wurde. Dieser Peter Pan wird von
der bösartigen Piratencrew des diabolischen Kapitäns Blackbeard versklavt und
muss als Minenarbeiter nach kristallisiertem Feenstaub graben.
Während dieser harten Arbeit lernt der von Drehbuchautor Jason Fuchs (Ice
Age 4 – Voll verschoben) erdachte Peter-Pan-Neuentwurf den
sarkastischen James Hook kennen, der ebenfalls ein Gefangener ist und sich nur
eins wünscht: Endlich wieder heimzukehren … Als Peter in Neverland nach und
nach erfährt, wer er wirklich ist, und wozu er alles imstande ist, sieht Hook
seine Chance gekommen und schließt einen Pakt mit dem 12-Jährigen. Aber
Blackbeard lässt niemanden einfach so davonziehen. Es beginnt ein Abenteuer,
das für Peter schockierende Erkenntnisse bereit hält, ihn Bekanntschaft mit
einem kunterbunten Stamm Eingeborener schließen lässt und Hook vor schwere
Entscheidungen stellt …
Wright war Ideenvielfalt nie ein Fremdwort, und das zeigt er in Pan
mehr denn je. Allerdings ist die 150 Millionen Dollar teure Produktion, im Gegensatz
zu Wrights vorhergegangener Regiearbeit Anna Karenina, bloß
vollgestopft mit Ideen. Die ordnende Hand indes, die aus der Vielfalt an
Einfällen der Tolstoi-Adaption ein faszinierendes sowie in sich kohärentes
Ganzes gemacht hat, bleibt dieses Mal aus. So kommt es, dass der unter anderem
von Greg Berlanti (Arrow) mitgetragene Neverland-Ausflug
zwar stets eigensinnig ist und szenenweise mitreißt, als Gesamtwerk aber auf
sehr wackligen Beinen steht. Zu den ganz großen Highlights zählt die theatrale
Einführung Blackbeards, die von einem rhythmischen Schnitt profitiert sowie von
Superstar Hugh Jackman, dessen Spaß an dieser übertriebenen Rolle ansteckt. In
dieser Sequenz sprühen zudem deshalb die Funken, weil Wright in feinster Moulin
Rouge-Manier den Nirvana-Klassiker „Smells Like Teen Spirit“
rezitiert. Dieser Anachronismus wird mit derartiger Chuzpe umgesetzt, dass sich
die Szene möglichen Logikfragen gar nicht erst stellen muss. Sie will „Style
over Substance“ sein, und hat einen derart fetzenden Style, dass sie
funktioniert.
Umso bedauerlicher, dass dieses Stilmittel alsbald aufgegeben wird. Der
„Blitzkrieg Bop“ der Ramones darf noch geschmettert werden, das war es dann mit
moderner Musik im fiebrigen Neverland-Gewand. Ähnlich berückend wie die
Anachronismen sind die visuellen Stilwechsel, in denen der Regisseur
Rückblenden beziehungsweise Nacherzählungen präsentiert, jedoch wird deren
Stilistik ebenfalls irgendwann begraben. Es ist fast so, als mangle es diesem
Leinwand-Neverland an Durchhaltevermögen: Ob surreale oder anachronistische
Elemente, ob gesellschaftliche Zwischentöne oder cool-grimmer Steampunk-Chic –
alles wird ein-, zweimal ausprobiert und dann aufgegeben. Allein die für den
Film geschriebene Instrumentalmusik von John Powell (Drachenzähmen
leicht gemacht) bleibt sich durchweg treu und gibt dem teils fahrigen
Geschehen mit magisch-folkloristischen Kompositionen angemessenen Drive.
Dessen ungeachtet verliert Pan in seinem Verlauf
enorm an Potential, da sich bei seiner „Alles auf die Leinwand schmeißen und
mal abwarten, was zusammen kleben bleibt“-Herangehensweise kein einprägsamer
Gesamteindruck einstellt. Wenigstens wird Pan selbst in
seinen verwunderlichen Momenten nicht langweilig. Denn dank Jackmans Engagement
und einer magnetisierenden Performance des Newcomers Levi Miller in der
Titelrolle gelingt es diesem möglichen Franchise-Eröffnungsfilm, die Story mit
genügend Anreizen zu versehen, um nicht zu kollabieren. Jedenfalls, wenn man
vom hektisch choreografierten Finale absieht, dessen schmale Dramaturgie die
ausgedehnte Laufzeit nicht tragen kann.
Hinzu kommt, dass dieses Abenteuer, typisch für eine
Wright-Regiearbeit, mit farbenprächtigem und ideenreichem Produktionsdesign
aufwartet. Konsequenterweise sind auch die von Jacqueline Durran erdachten
Kostüme eine Wucht – allen voran die Kluft des Barock-Punks Blackbeard und die
kunterbunte Tracht der Stammesprinzessin Tiger Lily. Jene wird von einer
unterforderten, aber Schwung mitbringenden Rooney Mara verkörpert, die im
Mittelpunkt der besten Kampfsequenz von Pan steht: Ein
Angriff auf sie und ihre Stammesmitglieder entwickelt sich – wortwörtlich – zu
einer Explosion von Pastelltönen, während die Kamera frei herumwirbelt.
Generell leisten die Kameraleute John Mathieson und Seamus McGarvey
hervorragende Arbeit, indem sie durch versierte Lichtsetzung Neverland zu einem
sich ständig bewegenden Gemälde erheben und so die Zeitlosigkeit der Vorlage ehren.
Gleichzeitig erlauben es die losgelösten Kamerafahrten dem Film – vor allem in
3D – seinem Anspruch gerecht werden, Blockbuster-Pomp darzustellen.
Der Prunk dieses rund zweistündigen Spektakels, das sich auf den
überreizten Plotmotor einer Prophezeiung verlässt, weist jedoch Risse auf:
Während die Flugsequenzen überzeugen und an wichtigen Schauplätzen wie
Blackbeards Mine die Übergänge zwischen real und digital nahtlos sind, zerren
grelle Geschöpfe wie der inhaltlich unbedeutende Neverland-Vogel oder ein
Krokodil in Walgröße den Betrachter aus der Illusion heraus. Eine vergleichbare
Wirkung erzielen die zahlreichen Versuche, den kühnen Mix aus träumerischem
Kinderabenteuer und harscher Megalomanie mit kecken Dialogwechseln aufzupeppen:
Fuchs' Skript landet mit seinen Wortgefechten weitaus seltener einen Treffer
als Wright und die Kampfchoreografen mit den nonverbalen Scharmützeln. Darunter
hat am meisten Tron: Legacy-Beau Garrett Hedlund zu leiden,
dessen Interpretation des zukünftigen Käpt'n Hook zwar schroffen Charme
aufweist, in Sachen Wortwitz jedoch so manchen Rohrkrepierer von sich zu geben
hat.
Fazit: Hugh Jackman als Barock-Punk-Pirat, viele
bunte Farben und einige gute Ideen, aber eine unausgereifte Dramaturgie: Pan
ist interessant, aber nicht durchweg mitreißend.
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