Wenige Minuten ohne Schnee- respektive Sonnenbrille können zu Schneeblindheit führen. Das Atmen ohne künstlichen Sauerstoff ist nur sehr kurzfristig möglich, jeder einzelne Schritt ist ungeheuerlich schwer und bei einem zu langen Aufenthalt droht der Höhenkoller. Von der eisigen Kälte ganz zu schweigen! Aber für den einmaligen Ausblick, die Sehnsucht nach einem unbeschreiblichen Freiheitsgefühl oder schlicht für den Nervenkitzel machen sich dennoch immer wieder Menschen auf den beschwerlichen Weg. Und wieder andere machen es für Geld. Darunter der versierte Bergsteiger Rob Hall (Jason Clarke), seines Zeichens Kopf des kommerziellen Betriebes 'Adventure Consultants', eine der führenden Firmen während der Blütezeit in Sachen Everest-Tourismus. Für eine satte vierstellige Summe verspricht Hall jedem Hobby-Abenteurer eine sichere Besteigung des Mount Everest. In seinem nunmehr fünften Jahr nimmt er unter anderem den geschiedenen Postboten Doug Hansen (John Hawkes), den texanischen Pathologen Beck Weathers (Josh Brolin), die japanische Kletterversessene Yasuko Namba (Naoko Mori) und den Reisejournalisten Jon Krakauer (Michael Kelly) unter seine Fittiche.
Da Everest auf
einer tragischen, wahren Geschichte basiert, die monatelang in den Nachrichten
thematisiert wurde und haufenweise Problem- und Sachbücher inspirierte, steht
außer Frage, dass nicht alle Protagonisten diesen Trip überleben werden. Zu
viel sei an dieser Stelle jedoch nicht verraten, da die im Film weitestgehend
nüchtern geschilderten Ereignisse nicht zur Allgemeinbildung gehören. Dem sind
sich auch die Drehbuchautoren William Nicholson und Simon Beaufoy bewusst, die
ihre Geschichte so erzählen, dass Ahnungslose und Wissende gleichermaßen
bedient werden. Zwar verdeutlichen die Autoren sehr früh, dass ein
Damoklesschwert über der bunt zusammengewürfelten Gruppe hängt, gleichwohl
gehen sie in ihrer Erzählung strikt chronologisch vor und verzichten auf klare
Vorausdeutungen. Somit darf das unwissende Publikum mitfiebern und mitknobeln,
wer denn überleben wird, während die Zuschauer mit Vorwissen nach all den
kleinen Fehlentscheidungen Ausschau halten können, die im weiteren Verlauf
grausame Auswirkungen haben werden.
Generell funktioniert die neue
Regiearbeit von Baltasar Kormákur (2 Guns) am besten, wenn
sie sich voll auf den Überlebenskampf der Bergsteigergruppe konzentriert, der
sie in der zweiten Filmhälfte erwartet. Der Kampf Mensch gegen Natur und Wille
gegen Können wird von Kormákur ohne Voyeurismus, aber eindringlich in Szene
gesetzt. Hier macht sich seine Erfahrung durch das ebenfalls wahre, frostige
Drama The Deep bezahlt, in dem er schon einmal eisige
Landschaftsaufnahmen und bibberndes Schauspiel kraftvoll vermengte. Bedauerlich
ist indes, dass sich Everest nicht stärker auf das
fröstelnde Leid seiner zentralen Akteure verlässt. Denn so überzeugend vor
allem Brolin, Clarke und Gyllenhaal als Scott Fischer, der Rock 'n' Roller der
Berge, gegen die Widrigkeiten des Everest ankämpfen, so mau ist
zwischenzeitlich das Dialogbuch.
Insbesondere die erste Hälfte
zieht sich daher: Die zahlreichen Kennenlernszenen, in denen die Figuren grob
umrissen werden, führen das Personal aufgrund der flachen Wortwechsel bloß als
ein- bis zweidimensionale Abziehfiguren ein. Zudem verlieren sich sämtliche
potentiell kritische Untertöne am Everest-Massentourismus in den fahlen
Gesprächssequenzen, womit die dramatische Komponente an Gehalt verliert. Bevor
es auf dem Achttausender wirklich brenzlig wirkt, überzeugt daher House
of Cards-Nebendarsteller Michael Kelly am meisten: Seine Figur des
Journalisten Jon Krakauer ist in den frühen Momenten die facettenreichste und
hält somit den schwachen Einstieg des Films zusammen. Fans von Keira Knightley
und Robin Wright sollten indes nicht zu viel von Everest
erwarten, denn als besorgte Ehefrauen haben sie in diesem Abenteuer recht wenig
zu tun.
Auch wenn aus der 3D-Technologie
weitaus weniger raus geholt wird, als möglich gewesen wäre, kann sich Everest
allen Makeln zum Trotz als visuelles Erlebnis sehen lassen. Die
leinwandfüllenden Aufnahmen der eisigen Gebirgslandschaften – Island und
Südtirol dienten weitestgehend als Double, einige wenige Aufnahmen entstanden
aber tatsächlich in Nepal – sind majestätisch und ehrfurchtgebietend. Und in
den Momenten, in denen nicht die Gefährlichkeit und Tragik der hier
geschilderten Bergbesteigung anno 1996 deutlich wird, sondern schlicht der
Ausblick bestaunt werden darf … Während dieser kurzen Passagen kann man als
Zuschauer kurz aufhören, über das halsbrecherische Verhalten der Figuren den
Kopf zu schütteln. Die Landschaftsaufnahmen springen sozusagen für das Dialogbuch
in die Bresche und erlauben es, neidlos anzuerkennen: So hoch über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein! Und egal, wie gefährlich eine
Everest-Besteigung sein mag, völlig unverständlich sind die Ziele der Figuren
dann doch nicht. Ob Everest solche Gedanken beflügeln
sollte, ist derweil Stoff für eine ganz andere Debatte.
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen