Den Romanen von Daniel Kehlmann schreibt der Feuilleton
gemeinhin zu, genau für ihr Medium geschaffen – und somit schwer verfilmbar –
zu sein. Und diesem Urteil lässt sich nur schwer ein gewisses Fundament
absprechen. Schließlich neigt der Schriftsteller dazu, mit den Formalitäten des
Mediums zu spielen, so dass der lakonische Humor von Kehlmanns Büchern nur als
Text volle Wirkung zeigt. Dessen ungeachtet stellen Kehlmanns Romane kein Tabu
für Filmemacher dar. Nachdem Die Vermessung der Welt bereits
2012 als 3D-Abenteuerdrama den Weg in die Kinos fand und in Filmform solide
abschnitt, kommt nun auch der zwei Jahre ältere Roman Ich und Kaminski
in die Lichtspielhäuser.
Im Zentrum steht der gleichermaßen ehrgeizige wie
selbstverliebte Kunsthistoriker und Journalist Sebastian Zöllner (Daniel
Brühl). Um endlich den großen Durchbruch zu schaffen, nimmt er sich vor, eine
Biografie über den blinden Maler Manuel Kaminski (Jesper Christensen) zu
verfassen. Immerhin wird ihm nachgesagt, zur Blütezeit seines Schaffens den
gesamten Kunstbetrieb beeinflusst zu haben und stellt somit ein faszinierendes
Subjekt dar. Darüber hinaus rechnet Zöllner dem sagenumwobenen Künstler nur
noch eine kurze Lebenszeit aus – und sollte die Biografie kurz vor seinem
Ableben erscheinen, könnte sie sich zu einem echten Bestseller entwickeln. Und
so lädt sich Zöllner kurzerhand selbst ins abgelegene Chalet des Malers ein, um
ihn auszufragen und Geheimnisse aufzudecken. Aber nach einigen
Startschwierigkeiten entwickeln Zöllner und Kaminski eine komplexe, verwirrende
Beziehung zueinander …
Regie bei dieser Kinoadaption führte Wolfgang Becker, der
2003 mit der tragikomischen Ostalgie-Geschichte Good Bye, Lenin!
der Karriere von Daniel Brühl einen gewaltigen Schub gegeben hat. Seither war
Brühl nicht nur in internationalen Erfolgen wie Inglourious Basterds
oder Rush zu sehen, sondern hielt auch weiterhin kleineren
Stoffen die Treue. Eines dieser Projekte, Die Augen des Engels,
stellte dieses Frühjahr gewissermaßen die schwächere Vorhut zu Ich und
Kaminski dar. In beiden Filmen übernimmt Brühl die Hauptrolle eines
Autoren, der sich während der Arbeit an seinem aktuellen Thema in einem
Labyrinth aus Selbstreflexion, für ihn atypischem Verhalten, Wunschdenken, Fakt
und Fiktion verliert. Ähnlich, wie diese Passagen die besten Momenten des
insgesamt eher mageren Psychodramas Die Augen des Engels
darstellen, gehören solche Sequenzen auch zu den Höhepunkten von Ich
und Kaminski.
Anders als das Verwirrspiel, das sich vom Fall Amanda Knox inspirieren ließ, geht Ich und Kaminski aber eine weniger
düster-verzweifelte Route. Stattdessen schwankt die Romanadaption zwischen
grellen und melancholischen Gemütslagen, wobei die spaßigen Momente wiederum in
surrealistisch-verspielt und frivol-albern aufgeteilt werden können. Die
slapstickartigen Elemente dominieren vor allem zu Beginn – und bremsen den Film
nach dem spritzigen, einfallsreichen Prolog enorm aus. Daniel Brühl besitzt
zwar gutes Timing in Sachen Wortwitz, er ist aber nicht die Art Schauspieler,
die einen Lachmuskelangriff lostritt, wenn seine Rolle nachts durch eine
vollgekackte Kuhweide stolpert. Sobald aber diese und ähnliche physische
Albernheiten überstanden sind, findet Regisseur Becker einen Tonfall, der
seinem Hauptdarsteller steht und zudem den vom Roman und Skript angerissenen Themen
gerecht wird.
Der große Einschnitt erfolgt dadurch, dass Brühls
spitzbübisches Ekel, das dank seiner kessen Qualitäten ebenso beneidenswert wie
es für seine Arroganz abscheulich ist, endlich ganz nah an den einsiedlerischen
Kaminski gelangt. Nicht nur liefern sich Brühl und Jesper Christensen einen
wunderbaren, staubtrockenen Schlagabtausch, der einige gut sitzende Seitenhiebe
auf den Kunstbetrieb und den Kunstjournalismus beinhaltet. Vor allem verleiht
die Dynamik zwischen den Figuren, die sich irgendwie sympathisch sind, aber
zudem gehörig auf die Nerven gehen, der Story eine vergnüglich vermittelte,
aber tief gehende Nachdenklichkeit: Zöllner sieht in Kaminski nicht nur seine
berufliche, sondern auch seine potentielle private Zukunft. Und dieser Blick
auf ein mögliches zukünftiges Ich löst bei Zöllner Angst, Bedauern, aber ebenso
auch hoffnungsvolle Regungen aus. Brühl geht bei dieser Ambiguität auf, und
sobald sich Kaminskis spontaner Trip zu einer verflossenen Liebe dem Ende
nähert, lässt auch die Regieführung den widersprüchlichen, somit reizvollen
Gefühlen freien Lauf.
Wenn Geraldine Chaplin, Tochter der Leinwandlegende Charlie
Chaplin, die Leinwand erfüllt und als freundliches altes Mütterchen Kaminski
und Zöllner verwirrt, stellt Becker sogar ganz unaufdringlich und extrem
effektiv die Frage: „Was ist besser – ein unbedeutendes, fröhliches Leben oder
eine beeindruckende Vita, die jedoch ein leeres Leben bedingt?“ Der Weg hin zu
diesem Höhepunkt ist jedoch steinig: Wiederholt gerät Ich und Kaminski
aufgrund der atonalen Slapstickpassagen ins Stolpern, und zuweilen stellen sich
die Figuren zu Gunsten eines schnellen Gags viel dümmer an als sie sonst
charakterisiert werden. Nach dem beeindruckenden Höhepunkt plätschert der Film
dann etwas zu langsam aus, um das Optimum aus seinen Stärken rauszuholen. Für
die Adaption eines weiteren Romans des schwer verfilmbaren Daniel Kehlmann ist Ich
und Kaminski trotzdem ganz in Ordnung – auch dank ihrer skurrileren
Tendenzen.
Fazit: Ich und Kaminski
ist eine ambitionierte, sich zwischendurch zu sehr in misslungenem Slapstick
versuchende Geschichte über Kunst, Menschlichkeit und Bedauern. Bedauerlicherweise
ist diese kunstvolle Mischung streckenweise zäh, der menschliche Kern aber
überzeugt. Ein Film für Kehlmann- und Brühl-Fans!
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