Mittwoch, 23. Dezember 2015

Love & Mercy


In den Sechzigern prägte Brian Wilson mit den Beach Boys nachhaltig die Pop-Musik sowie das Image des sonnigen US-Staats Kalifornien und der Surfer-Subkultur. Dabei stand der pummelige, introvertierte Komponist angeblich niemals auf einem Surfbrett. Und auch mit seinen anderen Bandmitgliedern verstand er sich nur leidlich. Denn während sie sehr komfortabel damit waren, die Wünsche der Plattenfirma zu erfüllen und stets die Beach-Boys-Formel zu bedienen, sehnte sich Brian Wilson danach, mit Instrumenten und den Möglichkeiten der Studioaufnahmetechnik zu experimentieren. Was in das Album 'Pet Sounds' mündete, welches mittlerweile als eine der besten und einflussreichsten Platten der Musikgeschichte anerkannt wird, war seinerzeit ein dramatischer Wendepunkt in Wilsons Karriere. Regisseur Bill Pohlad nimmt sich in Love & Mercy dieser Phase des Lebens Wilsons an, sowie einem Abschnitt in den Achtzigern, in dem Wilson nur noch ein Schatten seiner selbst war, als er seine künftige, zweite Ehefrau Melinda Ledbetter kennenlernte.

Das Biopic präsentiert sich aus tonaler Hinsicht dementsprechend schizophren, was angesichts der bewegten Biografie von Brian Wilson auch eine angemessene Herangehensweise darstellt. Allerdings tritt das Drehbuch aus der Feder von Michael Alan Lerner und Oren Moverman immer wieder derart ausführlich auf der Stelle, dass im Umkehrschluss diverse entscheidende Punkte – sowohl aus biografischer als auch aus dramaturgisch-narrativer Hinsicht – auf der Strecke bleiben. Erschwerend kommt hinzu, dass das Niveau der Dialoge nicht den vom Skript angeschnittenen Themen gerecht wird: Während auf der Handlungsebene Depressionen, Einsamkeit, die Schattenseiten sowie Pluspunkte eines fortschrittlich-künstlerischen Denkens sowie Spätfolgen von Drogenmissbrauch behandelt werden, sind die Dialoge von teils schmerzhaft-simplen Formulierungen geplagt.

Von einem erzwungenen Gespräch zwischen Brian Wilson und Beach-Boys-Frontsänger Mike Love darüber, dass Hunde die 'Good Vibrations' von Menschen spüren können, welches auf die Entstehung eben dieses Songs hinleitet, bis hin zu einem Moment, in dem das Dialogbuch Paul Giamatti wortwörtlich die bereits überdeutlich etablierte Beziehung zwischen Wilson und seinem Therapeuten und Vormund Dr. Eugene Landy nachskizzieren lässt: Love & Mercy gelingt es wiederholt, seine subtilen und ausdifferenzierten Momente gewaltsam einzureißen, indem Offensichtlichkeiten grell unterstrichen werden und Szenenübergänge fast schon eine Anmoderation auf Niveau einer Privatradio-Morningshow erhalten. In einer Post-Walk Hard-Ära dürfte sich so etwas kein ernst gemeintes Musikerdrama solche Wege beschreiten.

Am meisten leidet die Figur des Independentfilm-Darlings Paul Giamatti unter der fluktuierenden Qualität des Drehbuchs: Als obsessiver, herrischer Vormund Wilsons agiert Giamatti mit Energie und einschüchternder Intensität, aber gerade in entscheidenden Passagen fallen seine Dialogzeilen zu aufdringlich, geradezu cartoonhaft aus. Giamattis mimisches Talent weiß dies teils zu kaschieren, doch die Prägnanz des Schauspielers macht es dafür umso auffälliger, dass seine Rolle gen Schluss eilig aus der Handlung geschoben wird, obwohl zuvor wiederholt betont wurde, wie schwierig genau das doch zu bewerkstelligen sei.

Nicht minder rätselhaft ist die Besetzung Paul Danos und John Cusacks als Brian Wilson in seinen Zwanzigern respektive in seinen Vierzigern. Während beide Schauspieler ihre Szenen jeweils gut (John Cusack) bis hervorragend (Paul Dano) über die Bühne bringen, versäumt es die Regie, ihnen eine verbindende Note zu geben. Daher driften beide Seiten Wilsons aus darstellerischer Sicht so weit auseinander, dass es selbst angesichts der inhaltlichen Gegebenheiten unmöglich wird, beide Performances als jeweils eine Seite derselben Medaille anzusehen. Angesichts der obendrein vorherrschenden, gewaltigen äußeren Unterschiede der Mimen klafft zwischen den beiden Handlungsfäden von Love & Mercy eine so weite Lücke, dass sie wie zwei ineinandergeschnittene Sechzigminüter wirken. Und aus diesen beiden Filmen, die sich zu Love & Mercy formen, ist es schwer, einen Favoriten herauszupicken.

Während Dano subtiler, berührender spielt und in seinen Szenen zudem die Regie- und Kameraführung einfallsreicher ist (besonders gelungen: die grobkörnigen, unmittelbaren und daher dokumentarisch anmutenden Szenen im Tonstudio), sind Cusacks Szenen raffinierter strukturiert, ziehen sich seltener, und profitieren zudem von Cusacks sehenswertem Zusammenspiel mit einer einfühlsamen, dennoch lebensfrohen Darbietung Elizabeth Banks' alias Melinda Ledbetter. Bedauerlich, dass ihr Kampf um Wilson nur in einer sehr rudimentären, und dadurch schockierend simplen, Form abgehandelt wird. Und beschämend, dass die Inszenierung von Banks' und Cusacks' Szenen um ein Vielfaches lust- und ideenloser erscheint als die der Sechziger-Sequenzen.

In zweierlei Hinsicht wird Love & Mercy all diesen Negativpunkten zum Trotz seinem Protagonisten gerecht: Komponist Atticus Ross lässt Versatzstücke von Beach-Boys-Liedern und atmosphärische Geräuche zu einem cleveren Score verschmelzen. Und Regisseur Bill Pohland bringt darüber hinaus eine gewaltige Masse an ausgefallenen Ideen mit – ganz so wie Wilson in seiner besten Zeit. Womit Love & Mercy Brian Wilsons Schaffen aber weit unterlegen ist: Bohland gelingt es nicht, seine Ansätze so zu orchestrieren, dass sie zu einer mitreißenden Einheit verschmelzen – stattdessen wird durch die Umsetzung deutlich, wo Kompromisse gemacht und Fehltritte getätigt wurden.

Fazit: John Cusack und Paul Dano spielen in der zähen, stellenweise unfreiwillig komischen Brian-Wilson-Biografie Love & Mercy gegen ein Drehbuch von äußerst wankelmütiger Qualität an.

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