Ursprünglich wollte Ridley Scott das
Filmprojekt Kind 44 leiten. Dann verließ er aber
den Regieposten. Stattdessen verfilmte ein chilenisch-schwedischer
Regisseur den in Stalins Sowjetunion spielenden Bestseller eines
britischen Romanautoren – all dies wurde mit US-amerikanischem,
britischem, tschechischem und rumänischem Geld bezahlt. Und wurde in
Russland unmittelbar nach den ersten Pressevorführungen
zurückgezogen. Kurzum: Die Hintergrundgeschichte von Kind
44 ist äußerst spannend. Viel spannender als der
eigentliche Film. Denn trotz einer sorgfältigen Ausstattung und
einer atmosphärischen Kameraarbeit durch Philippe Rousselot, der
vornehmlich auf kontrastarme, dunkle Farben setzt, vermag es der
137-minütige Film nicht, Suspense aufzubauen. Und auch seine
Aussagen über die stalinistische Ära der Sowjetunion sind zwar
kompromisslos harsch, jedoch auch eintönig und somit längst nicht
so erhellend, dass sie allein die gesamte Laufzeit tragen könnten.
Wir schreiben das Jahr 1953. Obwohl
sich die Regierung damit rühmt, dass es im Arbeiterparadies der
Sowjetunion keine Verbrechen gibt, lässt sich niemals der
gegenteilige Gedanke abschütteln. Die Gefahr scheint stets hinter
der nächsten Ecke zu lauern, insbesondere der willkürliche Tod
schwebt über dem kommunistisch regierten Gebiet. Der gefeierte
Kriegsheld Leo Demidow (Tom Hardy), der sich als Geheimdienstoffizier
einen respektablen Namen erarbeitet hat, glaubt dennoch fest an die
Doktrin, dass es keine Mörder in der Sowjetunion gibt – bis eine
grausam zugerichtete Leiche gefunden wird. Es ist der Sohn eines
befreundeten Offiziers und es ist ganz offensichtlich, dass der Junge
einem Verbrecher zum Opfer fiel. Generalmajor Kuzmin (Vincent Cassel)
aber deklariert es als Unfall. Leos Welt gerät ins Wanken, erst
recht, da seine Frau Raisa (Noomi Rapace) als Verräterin verleumdet
und er somit in eine Zwickmühle gedrängt wird: Eliminiert er sie,
obwohl er genau weiß, dass sie unschuldig ist, oder stärkt er ihr
den Rücken und widersetzt sich somit der Obrigkeit?
Drehbuchautor Richard Price, der unter
anderem das Skript zu Martin Scorseses Die Farbe des
Geldes verfasste, entschloss sich, seine Adaption des
Erfolgsromans von Tom Rob Smith nicht direkt mit der titelgebenden
Kriminalgeschichte zu eröffnen. Bevor sich Leo Demidow unter den
kritischen Augen des Milizanführers Nesterow (Gary Oldman) auf die
Suche nach dem Serien-Kindsmörder macht, führt Price ausführlich
den Hintergrund seines Protagonisten ein, ehe er mit den Intrigen von
Leos Rivalen Wassili (Joel Kinnaman) ein zweites Thema lostritt. Eine
sich derart allmählich entfaltende Erzählung wäre an sich zu
begrüßen – würde mit der langsamen Narrative auch eine
Komplexität einhergehen. Stattdessen bleiben die Figuren, abgesehen
von Leo Demidow, sehr einseitig. Und auch die Beobachtungen über die
Lebensart und Ideologie in der stalinistischen Sowjetunion sind zwar
von thematischer Düsternis und Prägnanz, jedoch nutzten Price und
Regisseur Daniél Espinosa (Safe House) die
Laufzeit ihres Werkes nicht, um diesen Ansatz zu vertiefen. Früh
wird eingeführt, dass das Regime seine Weltsicht mit aller Macht
durchsetzen will und dass das Leben für Rangniedere und normale
Bürger trostlos ist – und diese Note spielt Kind 44
bis zum Ende durch.
Die Mechanismen, die Stalins
Sowjetunion aufrecht erhalten haben, und die verzweifelten Versuche
der Bürger, sich durch ihren Alltag zu ringen, werden derweil nicht
beleuchtet – Kind 44 kratzt also nur an der
Oberfläche, nutzt sein Setting allein, um einen ungewöhnlichen
Schauplatz für eine Mördersuche zu haben. Legitim, in diesem Fall
aber misslungen, da eben dieser Kriminalplot erst nach einer
ausführlichen Exposition beginnt – und dann mehrmals unterbrochen
wird, um die vorab geleistete Charakterbildung Leos zu wiederholen.
Ein erzählerischer Fluss kommt daher selbst im konzentrierteren
Mittelteil kaum zustande, was wiederum die Spannungskurve niedrig
hält.
Dadurch, dass sich das behäbige Skript
in Monotonie übt, sind auch die meisten Darsteller verloren – sie
haben schlicht zu wenig Material, um einen bleibenden Eindruck zu
hinterlassen. Von den Nebendarstellern kann allein Gary Oldman dem
Drama mit einer routiniert-intensiven Perfomance seinen Stempel
aufdrücken, während der lange verdeckte Darsteller des Kindsmörders
zwar das Potential zeigt, etwas aus seiner Rolle zu machen, aufgrund
seiner mickrigen Leinwandzeit bleibt er allerdings hinter seinen
Möglichkeiten zurück. Tom Hardy indes ist in Kind 44
zwar meilenweit davon entfernt, eine Karrierebestleistung
abzuliefern, jedoch gibt er seiner Figur das nötige
Selbstbewusstsein mit, um als stiller Widerständler gegen das
Regimedenken zu überzeugen. Hardys schleichend an Starrheit
verlierenden Gesichtszüge helfen zudem, die auf Skriptseite mehrmals
mit dem Brecheisen erklärte Sinneswandlung seiner Rolle
schauspielerisch und somit emotional nachvollziehbar zu gestalten.
Dies genügt aber nicht, um Kind
44 inhaltlich an das solide bis gute Niveau seiner äußeren
Gestaltung heranrücken zu lassen. Die ausschweifende, grimme
Ausstattung und die milchig-nebligen Bilder dieses Historienfilms
lassen den Zuschauer für die gesamte Laufzeit völlig in diese
trostlose Welt abrutschen – ausgenommen von den raren, hektischeren
Actionszenen, in denen rasche Schnitte und Wackel-Handkameraaufnahmen
erfolglos versuchen, diesem Werk einen Puls zu verleihen.
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