Diese retrospektive Filmkritik enthält diverse Spoiler!
Bevor sich die Avengers auf der Leinwand vereinten, hatte Captain America die Ehre, mit seiner Solomission meinen liebsten Marvel-Film zu stellen. Entsprechend hoch waren 2014 meine Erwartungen an den zweiten Einzelfilm rund um den in den Farben der US-Flagge gekleideten Superhelden. Selbst wenn ich in unserem Kulturkreis in meiner Position nur wenig Rückhalt fand: Captain America ist, wie es so schön heißt, ein „tough sell“. Mit 176,65 Millionen Dollar schnitt Captain America: The First Avenger trotz eines ansehnlichen Einspiels selbst in seinem Heimatland schlechter ab als beide Thor-Teile oder alle drei Iron Man-Abenteuer. Und in Deutschland reichte es 2011 gerade einmal für 339.797 Kinogänger, während Thor im selben Jahr über 1,1 Millionen Menschen in die Lichtspielhäuser lockte. Die magere Resonanz in den hiesigen Gefilden resultiert offenkundig aus den hartnäckigen Vorurteile gegenüber der idealistischen Marvel-Figur: Während des Zweiten Weltkrieges als bewusst patriotisches Propagandamittel erschaffen, wird Captain America diesen Ruf (wohl auch aufgrund seines Namens) bis heute nicht vollauf los.
Für all jene, die sich auch nur ein klein wenig mit den gedruckten Bildgeschichten befassen, ist dies selbstredend ein frustrierender Umstand: Immerhin wird der Taktiker unter den Avengers bereits seit den frühen 70er-Jahren regelmäßig als Hauptfigur in gesellschafts- und politkritischen Plotsträngen verwendet, in denen Steve Rogers mehrmals bewies, alles andere als ein autoritätsgefügiger Patriot zu sein. Eben diese US-kritische Seite von Captain America findet sich seit Dekaden in von zahlreichen Comickennern gefeierten Handlungsbögen wieder, die allerdings nie solch ein Mainstreamstanding erhielten, wie so manche Storylines des Konkurrenzverlags DC. Somit ist es leider nicht überraschend, dass Captain America: The First Avenger an den deutschen Kinokassen unterging und die Fortsetzung daher hierzulande einen Alternativtitel verpasst bekam. Um die negativen Assoziationen zu übertönen und die Verbindung zum populären Superheldenspektakel Marvel's The Avengers zu unterstreichen, wurde für den deutschen Markt aus Captain America: The Winter Soldier der weniger patriotisch klingende The Return of the First Avenger. Ein ungelenker Name, wenngleich ein bezeichnender: Zwar sparte schon Joe Johnstons Fantasy-Nazi-Verkloppungsspaß nicht mit Seitenhieben auf US-Hurrapatriotismus, doch im Sequel der Gebrüder Anthony und Joe Russo werden sogleich mehrere geballte Attacken auf die amerikanische Innenpolitik sowie das politische Klima der Vereinigten Staaten losgelassen. Da ist es mit zusammengebissenen Zähnen durchaus zu verschmerzen, dass Captain America seinen aus Propagandazeiten stammenden Namen aus dem Filmtitel kürzen muss.
Schlussendlich zählt der Filminhalt eh wesentlich mehr als der Filmtitel. Und The Return of the First Avenger darf dahingehend seine Brust besonders stolz anschwellen lassen. Denn auch nach diversen Rewatches des kompletten Marvel Cinematic Universe-Kanons unterschreibe ich folgendes Statement ohne mit der Wimper zu zucken: Dieser bombastische Thriller ist der intelligenteste, rauste und erstaunlichste Film der Marvel-Geschichte. Zumindest vorerst, denn noch weiß niemand, was uns Phase drei so bringt.
Konsequenterweise schlägt das Skript von Christopher Markus und Stephen McFeely (u.a. Thor - The Dark Kingdom) mehr Haken, als jedes andere Drehbuch innerhalb des bisherigen Avengers-Kinouniversum, um so den Betrachter ähnlich um den Atem ringen zu lassen wie den gehetzten Supersoldaten Steve Rogers. Dieser hat sich rund zwei Jahre nach den in
Marvel's The Avengers geschilderten Ereignissen erfolgreich
ein neues Leben als Spitzenagent für die Geheimorganisation
S.H.I.E.L.D. aufgebaut. Zwar muss sich das Relikt einer anderen Zeit
weiterhin an einige Aspekte der heutigen Welt gewöhnen, aber Rogers
hält sich dabei recht wacker. Am wohlsten fühlt er sich dennoch im
Einsatz – und so nimmt er freudig eine neue Mission an: Zusammen
mit der undurchschaubaren, sich aber charmant um ihren Kollegen
kümmernden Black Widow soll er eine Geiselnahme
auf hoher See klären. Während dieses Einsatzes bemerkt Rogers
allerdings, dass er weder von Black Widow noch von seinem
Vorgesetzten Nick Fury sämtliche relevante Informationen erhalten hat. Auch ein Gespräch mit Alexander Pierce, Generalsekretär des Weltsicherheitsrats und ranghöchster Einsatzleiter bei S.H.I.E.L.D., lässt Captain America im Dunkeln tappen. Somit beschleicht ihn das üble Gefühl, dass die Geheimorganisation ein falsches Spiel spielt. Alsbald stellt sich heraus, dass er richtig liegt und dabei ist, ein brandgefährliches Komplott aufzudecken, weshalb er die Hilfe des Kriegsveteranen Sam Wilson benötigt und sich einem ominösen Auftragskiller stellen muss: Dem seit Jahrzehnten arbeitenden, höchst effizienten Winter Soldier …
Neues zeitliches Setting, neu besetzter Regiestuhl, gänzlich andere Tonalität: War Joe Johnstons in stilisierten
Comicfarben getauchter Captain America: The First
Avenger ein spaßiger, von nahezu jeglicher Realität
losgelöster Action-Abenteuerfilm im augenzwinkernden Stil eines
Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, vollführen
die Regisseure Anthony & Joe Russo mit The Return of the
First Avenger eine komplette Kehrtwende. Und zwar auf atmosphärischer wie inhaltlicher und akustischer Ebene. Jedoch reißen sie nicht nur innerhalb der Captain America-Reihe das Ruder herum, sondern stürzen sich Hals über Kopf in ein Stimmungsbild, das innerhalb des gesamten Marvel-Kinouniversums seinesgleichen sucht! Nach dem bis obenhin mit flotten Sprüchen gespickten
Iron Man 3, in dem Tony Stark einige unterhaltsame
Schwierigkeiten mit seinen technischen Spielereien zu durchleiden
hatte, und im Anschluss an das pointierte Geschwister-Gezanke sowie
dem fantasiereich verspielten Finale von Thor – The Dark
Kingdom kommt dieser Marvel-Film wesentlich seriöser
daher. Und steht in dieser Ausrichtung selbst nach Abschluss von Phase zwei alleine dar: Auf diese Verquickung aus Comicaction und Politthriller folgten die bunte Weltalloperette mit Herz namens Guardians of the Galaxy, der zwar grimme und epochale, trotzdem launische Avengers: Age of Ultron und die Superhelden-Heist-Komödie Ant-Man.
Auf dem Papier erinnert die von den Russo-Brüdern gebotene Vermengung einer Superheldenthematik inklusive dazugehörigen
Action-Pomp mit fantasievollen, doch glaubwürdigen Technologien sowie Bezügen zu realen
politischen Themen eher an Christopher Nolans The Dark
Knight-Trilogie. So greift das
Drehbuch die jüngste Panik vor Abhörskandalen und den seit dem 11. September 2001 ausufernde Maße
annehmenden Kampf der USA gegen den Terror auf. Somit schafft der Plot für
den hehre Ideale verfolgenden, trotzdem kritisch denkenden Protagonisten ein Fundament der Paranoia. Was sich wiederum auf den Zuschauer überträgt: Bei Erstsichtung ist ein konstantes Gefühl des Misstrauens gegenüber sämtlichen Figuren rund um Steve Rogers förmlich garantiert.
Das Misstrauen, das in S.H.I.E.L.D.
(beziehungsweise die realen Äquivalente dieses Geheimdienstes)
geschürt wird, stellt The Return of the First Avenger
strukturell und atmosphärisch sogar in
die Nähe klassischer Verschwörungsthriller der 70er-Jahre. Wie
diverse Kinohelden jener Zeit wird Steve Rogers von seinem mächtigen
Arbeitgeber verfolgt, muss mit Verbündeten untertauchen und aus der
Verdeckung heraus sämtliche Beweise für die Vergehen seiner
vermeintlich Gleichgesinnten finden. Die Verbindung dieser Produktion zu Filmen wie Die drei Tage des Condor
und Die Unbestechlichen wird nicht bloß durch die
prächtigen Aufnahmen Washington D.C.s und die Besetzung Robert
Redfords erzeugt, sondern auch durch die Erzählweise dieses
Blockbusters. Als Plotmotor fungieren sich langsam lichtende
Verschwörungen, die moralische Ambivalenz zentraler Figuren,
schockierende Enthüllungen und die stete Gefahr, dass die Helden
auf ihrer Flucht geschnappt werden. Das Tempo ist somit konstant
hoch, nie aber hektisch, da sich die Filmemacher durchgehend genügend
Zeit nehmen, die interessanten, dieses Kinouniversum erschütternden Wendungen zu ergründen.
Obgleich The Return of the First Avenger konzeptionell sehr aus dem exorbitant einträglichem Marvel-Filmfranchise heraus sticht, ist dieser 136-minütige Ritt auf einem von bewaffneten Jets verfolgten Nostalgie-Motorrad keineswegs das schwarze Schaf innerhalb Kevin Feiges Blockbuster-Imperium. Denn allen fesselnden Eigenheiten zum Trotz ist dieses durchdachte Spektakel eine packende Ergänzung des Marvel-Studios-Portfolios und als vortrefflicher Streich dieser Actionhitschmiede zu identifizieren. So bleibt sich der Idealist Steve Rogers auch in diesem Film treu und hebt diesen Verschwörungsthriller mit seiner nie herabblickenden, doch moralisch gestrengen Pfadfinder-Mentalität von anderen Genrevertretern ab. Chris Evans wirkt so, als würde er sich nun noch wohler in seiner Paraderolle fühlen als zuvor, und verleiht dem mental stets im Einsatz befindlichen Captain America eine sympathische, bodenständige Kumpelhaftigkeit. Diese kommt wundervoll im launigen Zusammenspiel mit Anthony Mackie alias Sam Wilson / Falcon zur Geltung sowie im ständigen, freundschaftlich-neckischen Schlagabtausch mit Scarlett Johansson, die hier ihre bislang beste Black-Widow-Performance abgibt: Kess, doch auch einzuschüchtern und allem zum Trotz eine gute Weggefährtin mit eigenem Kopf.
Sie ist es auch, die dem integren Helden, der in seinem Umfeld nur wenig Halt erhält, neue Seiten entlockt. In diesem Film merkt man, dass Cap sein Saubermannimage nicht zu seinem Nachteil gereichen lassen will. Darüber hinaus kommt es zu wohlig-sentimentalen wie auch ambivalenten Begegnungen mit Steve Rogers' Vergangenheit, die Evans die Gelegenheit geben, seinen Helden von der emotionaleren Seite zu zeigen. Obwohl Steve Rogers ganz klar eine "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen"-Type ist, gelingt es Evans außerdem, ihm glaubwürdig eine schnippische Ader abzuringen, wodurch dieser Film trotz der für Marvel-Verhältnisse gesteigerten Dramatik auch sehr komisch und schmissig bleibt.
Die Russo-Brüder halten aber nicht nur die Gagdichte so hoch, wie es der generelle Tonfall erlaubt, sondern machen aus The Return of the First Avenger, dem Marvel-Film mit der dichtestem Plotkonstrukt, auch den Marvel-Film mit dem adrenalinstärksten Actionanteil. Statt unentwegt in die Eisen zu steigen und sämtliches Momentum zu verlieren, um den Plot zu erklären oder in schalen Charakterszenen die Figuren auszufeilen, trennt dieser Film eben nicht zwischen Handlung und Kämpferei. Den Helden ist kaum eine Atempause vergönnt, und jede Verfolgungsjagd sowie jede Schießerei bringen die Story voran. Ebenso, wie jede Actionsequenz rund um Captain America auch die Gefühlslage des Titelhelden variiert. Somit kommt es weder dazu, dass das Getöse aufgrund von Irrelevanz ermüdet, noch dazu, dass der Thrill verloren geht, weil es für einen Actionfilm zu wenig Action gibt.
Nicht nur die Masse an Explosionen, Schießereien und Faustkämpfen ist größer als bei den 70er-Thrillern, die als Inspiration dienten, auch ihre Ausmaße sind monumentaler. Selbst wenn The Return of the First Avenger als Verschwörungsthriller über geheime Machenschaften storybedingt lange auf dergleich comichaftes Spektakel der Marke Iron Man oder Avengers verzichtet: Mit einem Soldaten, der das Optimum an menschenmöglichen Fähigkeiten ausschröpft sowie einer Super-Geheimagentin in den wichtigsten Heldenrollen ist klar, dass die Scharmützel höher, schneller, weiter geraten, als in üblichen Politthrillern. Erst recht, da auch die Schurken mit dem Marvel-Bonus aufwarten: Wir reden hier von extrem starken sowie flinken Auftragskiller als kaum aufzuhaltende Bedrohung und von einer Geheimorganisation mit Zugang zu leicht futuristischer Waffentechnologie. Dieses Arsenal an Figuren, Gadgets und Fähigkeiten nutzen die Russos, um eine packende Diskrepanz zum realitätsnahen Produktionsdesign zu erzeugen. Im Zusammenspiel mit der Story, die ebenso mit wahrer Politik wie auch mit Übertreibungen in amüsanter Comiclogik kokettiert, stellt dies ein furioses, so noch nie dagewesenes Fundament für erstaunliche Actioneinlagen und hervorragende Popcorn-Unterhaltung dar.
Bereits die erste Mission, die wir nach dem geerdet-humorvollen Opening mit Steve Rogers' und Sam Wilsons Kennenlernen zu sehen bekommen, gibt mit Nachdruck den Takt an: District 9-Kameramann Trent Opaloch verfolgt die nach und nach außer Kontrolle geratene Stealth-Mission von Captain America in dynamischen Bildern. Vereinzelte, nie die Bildkomposition übermannende Handkamera-Wackler sowie gelegentliche Schwenks, in denen die Kamera dem Geschehen hinterher zu rennen scheint, verleihen dem Ganzen einen Touch des französischen Cinéma vérité, so als würde zwischen den sorgsamer gestalteten, ruhigen Sequenzen eine hoch professionelle Dokucrew übernehmen und Rogers beim Einsatz filmen. Hinzu kommt allerdings die harte, schnelle Schnittarbeit von Jeffrey Ford un Matthew Schmidt, die den rauen Mann-gegen-Mann-Kämpfen einen zügigen Drive verleiht, ohne die schroffen, kraftvollen Choreografien der Darsteller und Stuntleute bis zur Unkenntlichkeit zu zerstückeln.
Selbst wenn im weiteren Verlauf die Actionszenen dank der Technologien der Schurken in ihrer Bandbreite zunehmend fulminanter werden, bleiben diese kernigen Auseinandersetzungen im Vergleich zu anderen Superheldenfilmen im Bereich des Wirklichen. Niemand schleudert Blitze und es gibt keine überdimensionalen Roboteranzüge. Dafür werden Autos zerschrottet, Captain America in einen Messerkampf verwickelt, sowie in mit Sinn für Suspense gefilmte Showdowns mit Schusswaffen. Nur im Finale nimmt das Waffenarsenal überlebensgroße Ausmaße an, wenn es gilt, gleich drei schwer bewaffnete Helicarrier zu entschärfen. Doch selbst in diesem Fall ist allein die zur Schau gestellte Technologie fliegender Flugzeugträger und somit das Setting des Showdowns der hervorstechende Comic-Aspekt in diesem Spektakel. Die Grundidee der Finalsequenz, drei Fluggeräte zu entwaffnen, könnte indes so auch aus einem guten Stirb langsam-Sequel oder einer waschechten 90er-Bruckheimer-Produktion stammen.
Welche der Actionpassagen in The Return of the First Avenger die Beste ist, lässt sich angesichts des immens hohen Niveaus dieser Szenen kaum beantworten. Alle Actionsequenzen sind auf den Punkt geschnitten, mitreißend gefilmt und mit Sinn für eine innere Dramaturgie in Szene gesetzt sowie choreografiert. Die allerhand Schutt und Asche hinterlassende Verfolgungsjagd, in die Nick Fury überraschend verwickelt wird, ist im Kontext des Marvel Cinematic Universe sehr erfrischend und lässt durch wuchtige Eskalationen den Blutdruck in die Höhe schnellen. Wenn Captain America einen ganzen Fahrstuhl voller korrupter S.H.I.E.L.D.-Kampfexperten ausschaltet, beeindrucken die Russos, mit welch geringen Mitteln sie eine spannende, einfallsreiche Schlägerei auf die Beine stellen können. Und dann wäre da noch der brillant inszenierte Kampf zwischen Steve, Sam Wilson und Black Widow auf der einen Seite und dem Winter Soldier inklusive Handlanger auf der anderen, der auf einer Autobahnbrücke seinen Anfang nimmt: Entgegen jeglicher Superhelden-Blockbuster-Tendenz steigert sich dieser Kampf nicht in seiner Explosivität. Stattdessen wird er nach und nach persönlicher und kleiner, aber dringlicher. Anfangs werden noch Autotüren raus gerissen und schwere Geschütze aufgefahren, aber während beiden Seiten langsam die effektivsten Waffen ausgehen und die Helden zudem die Anzahl der Gegner dezimieren, wird das Spektrum dieser Auseinandersetzung immer übersichtlicher. Bis es darauf hinaus läuft, dass sich der Winter Soldier und Captain America mit Messer, Schild und Fäusten einen feisten Schlagabtausch liefern.
Das große Finale verfolgt unterdesse eine weniger straffe Dramaturgie und möchte zwischendurch auch wieder zum Staunen einladen, statt völlig mitzureißen, und nutzt daher den ultimativen Showdown als roten Faden, um im Kampf coole, dramatische und stylische Charaktermomente aneinanderzureihen. Dies gelingt makellos: Totz ausschweifender Länge hat das Finale keine überflüssigen Schnörkel. Mit vereinzelten, die Grenzen des PG-13-Ratings ausreizenden Gewaltspitzen, feschen Sprüchen und hohen, persönlichen Risiken, die Steve Rogers eingehen muss, ist es ein würdevoller Abschluss dieses bombastischen Marvel-Highlights. Zudem beweisen die Autoren, dass sie es begreifen, wie sie einen vorbildlichen Idealisten wie Captain America modernisieren und in einen Blockbuster-Kontext stellen können, ohne seine grundlegende Charakteristik zu opfern: Statt den Winter Soldier, der sich als neue Identität seines Jugendfreundes Bucky Barnes herausgestellt hat, zu töten, lässt sich Steve lieber von ihm grün und blau schlagen. Dies ist zudem mehr als ein bloßes "Bevor ich dich töte, lass ich lieber mich töten"-Denken, denn in den rund zwei Filmstunden zuvor hat Steve Rogers fast alles verloren, woran er in seiner neuen Welt geglaubt hat. Somit verfolgt er mit seiner vermeintlichen Kapitulation zwei Ziele: Im Idealfall weckt er durch seine aufgegebenen Aggressionen Buckys wahres Ich. Im Zweifelsfall verliert er halt sein Leben, was vor den neuen Hintergründen nicht weiter schlimm ist. Selbst wenn ich Man of Steel längst nicht so übel finde wie die härtesten Gegner dieses Films, so hätte der DC-Materialschlacht so ein Hintersinn in der Charakterzeichnung während des Finales durchaus gut getan.
Unterm Strich wirken die Actionszenen mit ihrem Mix aus einer schneidenden, unheilvollen Stimmung sowie leichtfüßigen Einfällen und der alles zusammenhaltenden, technisch umwerfenden Pracht wie ein wundervolles Actionkino-Sammelsurium: Zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus der düster-glaubwürdigen The Dark Knight-Trilogie, den megalomanischen 90er-Produktionen Jerry Bruckheimers wie The Rock oder Der Staatsfeind Nr. 1, aus dem fantasievollen Marvel-Kinouniversum und aus Paul Greengrass' das Publikum mittendrin ins Geschehen versetzenden Filmen Die Bourne Verschwörung oder Captain Phillips. Was wie eine grausige Frankenstein-Kreation hätte enden können, stolziert dank des raffinierten Skripts, der zielstrebigen Inszenierung und den versierten Performances stattdessen als ein atemberaubendes, kohärentes Erlebnis auf die Leinwand respektive auf den Bildschirm.
Storytechnisch muss sich The Return of the First Avenger bei allen Stärken, die ich hier rausstelle, dennoch einen Kritikpunkt gefallen lassen: Mit dem "Nick Fury ist tot ... Nein, doch nicht!"-Trick greift dieser sonst so unvergleichliche, mutige Film auf eine Nummer zurück, die in Blockbustern, Marvel-Produktionen und Werken aus dem erweiterten Disney-Hause all zu oft vorkommen. Zwar ist dieser doppelte Twist grundsolide umgesetzt (bei meiner Erstsichtung habe ich nach Furys vermeintlichem Ableben lange gegrübelt, ob Samuel L. Jacksons Vertrag abgelaufen ist und kam zum Entschluss: "Ja, ich glaub, das passt tatsächlich ... Ach du meine Güte! Fury ist tot!"). Und inhaltlich ist er auch gerechtfertigt. Erstens aus Furys Sicht, der schwer verletzt wirklich abtauchen sollte, wenn sich herausstellt, dass sein Arbeitgeber unterwandert wurde, und zweitens aus filmdramaturgischer Sicht, da die Fallhöhe für Captain America ohne Furys Unterstützung wesentlich größer ist. Allerdings ist solch eine "Haha, ihr musstet gar nicht trauern!"-Finte stets ein Aspekt an einem Film, der bei wiederholten Sichtungen leichte Abnutzungserscheinungen aufweist. Dafür beweist Marvel umso mehr Wagemut, indem S.H.I.E.L.D. demontiert wird. Das ist nicht nur eine gewaltige Überraschung, sondern auch eine Wende, die das gesamte Franchise erschüttert und so signalisiert: "Im Marvel Cinematic Universe ist eben doch nicht alles sicher!"
Ich persönlich empfinde den Twist, dass S.H.I.E.L.D. bis in die höchsten Ränge von H.Y.D.R.A. infiltriert wurde, zudem als keckes politisches Statement. Gewiss lässt er sich auch als Feigheit lesen, als dass Marvel die zunächst angedeutete, komplexe "Eine gute Organisation tut Böses!"-Story auf ein binäres "Die Guten sind in Wahrheit die Bösen!"-Denken ummünzt. Und ich kann verstehen, weshalb einige Zuschauer den Film so deuten. Für mich ist der H.Y.D.R.A.-Schockeffekt allerdings größer als ein schlichtes "S.H.I.E.L.D. trifft nun halt auch falsche Entscheidungen". Darüber hinaus hat die Story so schärfere Seitenhiebe auf unsere politische Realität parat: Würde S.H.I.E.L.D., wie die CIA im wahren Leben, in einem grau-grauen Denken ersaufen, so wäre es nur eine Angleichung der Filmwirklichkeit an unsere Realität. Mit der H.Y.D.R.A.-Signalwirkung schreit der Film aber heraus: Geheimdienste verfolgen mitunter Nazi-Methoden! Und das ist eine Form der Kritik, die so normalerweise nicht in einem Marvel-Popcornspaß zu erwarten steht. Da auch klar gemacht wird, dass die gegenwärtige H.Y.D.R.A. nicht mehr mit den Nazi-Schergen aus Captain America - The First Avenger gleichzusetzen ist, sondern rechte Extremisten darin Seite an Seite mit "Präventivmaßnahmen für eine geordnete, sichere Welt!"-Denkern stehen, ist dieser Twist bei aller Warnwirkung längst keine alte "Es waren halt doch nur die bösen Nazis!"-Ausflucht.
Weil die zentrale Bedrohung in The Return of the First Avenger von einer verzweigten Organisation ausgeht, ist es in dieser Produktion auch ausnahmsweise zu verschmerzen, dass diesem Marvel-Film einmal mehr ein scharf umrissener, denkwürdiger Haupt-Antagonist fehlt. Eine so furchteinflößende Leistung wie die von Heath Ledger in The Dark Knight oder (um bei Marvel zu bleiben) so ein amüsiert mit seinem inneren Schalk kokettierender Bösewicht wie Tom Hiddlestons Loki würde nicht zum Film passen. Stattdessen gibt es zusätzlich zur unsichtbaren, oft gesichtslosen Bedrohung durch S.H.I.E.L.D. respektive H.Y.D.R.A. drei Repräsentanten der antagonistischen Macht. Zunächst wäre da Robert Redford, der seiner Rolle, die andere Darsteller gewiss zu eintönig angelegt hätten, allein schon durch seine Präsenz eine nicht zu verachtende Schwere verleiht. Und dennoch ist dem Leinwandveteranen eine lebhafte Freude anzumerken, in einem Marvel-Blockbuster mitwirken zu können, was in den wenigen statischen, rein der Erklärung der Handlung dienenden Szenen dieses Films von Vorteil ist. Dann wäre da Muskelprotz Frank Grillo, der als Handlanger Brock Rumlow eine so kleine Rolle spielt, dass seine Performance bei der Erstsichtung wohl kaum auffällt. Allerdings haucht Grillo seiner Figur ein sadistisches Glühen ein, wann immer er Steve Rogers oder Sam Wilson gegenübersteht, so dass er bei wiederholten Sichtungen zu einem präsenten Bestandteil des Films heranwächst und auf Captain America: Civil War Lust macht.
Sebastian Stan indes drückt dem Geschehen als Winter Soldier weniger seinen Stempel auf, als man angesichts des Originaltitels denken würde. Trotzdem ist er als kraftvoller, meist maskierter Auftragskiller mit superschnellen Reflexen und einem Metallarm eine mehr als willkommene Ergänzung des Marvel-Figureninventars. Die angerissene emotionale Tiefe seiner Figur wird textuell zwar nur oberflächlich behandelt, Stans Augen sprechen in seinen Szenen dafür umso größere Bände, und die Körperlichkeit, die er in den Actionszenen beweist, ist eindrucksvoll! Der Winter Soldier ist außerdem eine der wenigen Marvel-Figuren, der ein einschneidendes, einprägsames musikalisches Motiv vergönnt ist: Komponist Henry Jackman (Baymax - Riesiges Robowabohu) hat sich für den determinierten Killer einen metallischen, Nerven zerfetzenden und qualvollen Schrei ausgedacht, den die Heerschar an Sound-Verantwortlichen zu großem Effekt mit dem kristallklaren, machtvollen Sounddesign verschmelzen. Generell hat Jackman einen Ausnahme-Score in der Marvel-Landschaft erschaffen: Im Normalfall wissen die Instrumentalscores des Comicstudios zwar, das Geschehen zu unterstützen, allerdings gehen sie selten ins Ohr, ebenso selten heben sie die Heldenabenteuer durch starke Kompositionen weiter empor. Und leider sind viele der Marvel-Scores sogar völlig austauschbar (ich behaupte etwa, dass man den Thor - The Dark Kingdom-Score genauso gut unter die Guardians of the Galaxy packen könnte). Jackmans experimentelle, abgefahrene Musik zu The Return of the First Avenger andererseits fällt nicht nur aus dem Rahmen, sondern gewinnt sogar mit der Zeit an Wirkung dazu. Schon kurz nach Kinostart nannte ich die kühle, manisch Elektrodissonanzen und -melodien mit Orchesterstücken vermengende Arbeit Jackmans einen der besten Marvel-Scores überhaupt. Mittlerweile würde ich sie sogar zum musikalischen Höhepunkt der Marvel-Filmwelt krönen, da mir die Feinheiten hinter dieser atmosphärischen Klangwelt allmählich auffallen, was ihre Wirkung noch weiter verstärkt.
Und selbst das 3D fügt sich mit gestochen scharfen Effekten und einer starken Raumwirkung formidabel ins Gesamtbild und legt die Messlatte nach dem zweiten Thor-Abenteuer um ein Vielfaches höher.
Obgleich The Return of the First Avenger konzeptionell sehr aus dem exorbitant einträglichem Marvel-Filmfranchise heraus sticht, ist dieser 136-minütige Ritt auf einem von bewaffneten Jets verfolgten Nostalgie-Motorrad keineswegs das schwarze Schaf innerhalb Kevin Feiges Blockbuster-Imperium. Denn allen fesselnden Eigenheiten zum Trotz ist dieses durchdachte Spektakel eine packende Ergänzung des Marvel-Studios-Portfolios und als vortrefflicher Streich dieser Actionhitschmiede zu identifizieren. So bleibt sich der Idealist Steve Rogers auch in diesem Film treu und hebt diesen Verschwörungsthriller mit seiner nie herabblickenden, doch moralisch gestrengen Pfadfinder-Mentalität von anderen Genrevertretern ab. Chris Evans wirkt so, als würde er sich nun noch wohler in seiner Paraderolle fühlen als zuvor, und verleiht dem mental stets im Einsatz befindlichen Captain America eine sympathische, bodenständige Kumpelhaftigkeit. Diese kommt wundervoll im launigen Zusammenspiel mit Anthony Mackie alias Sam Wilson / Falcon zur Geltung sowie im ständigen, freundschaftlich-neckischen Schlagabtausch mit Scarlett Johansson, die hier ihre bislang beste Black-Widow-Performance abgibt: Kess, doch auch einzuschüchtern und allem zum Trotz eine gute Weggefährtin mit eigenem Kopf.
Sie ist es auch, die dem integren Helden, der in seinem Umfeld nur wenig Halt erhält, neue Seiten entlockt. In diesem Film merkt man, dass Cap sein Saubermannimage nicht zu seinem Nachteil gereichen lassen will. Darüber hinaus kommt es zu wohlig-sentimentalen wie auch ambivalenten Begegnungen mit Steve Rogers' Vergangenheit, die Evans die Gelegenheit geben, seinen Helden von der emotionaleren Seite zu zeigen. Obwohl Steve Rogers ganz klar eine "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen"-Type ist, gelingt es Evans außerdem, ihm glaubwürdig eine schnippische Ader abzuringen, wodurch dieser Film trotz der für Marvel-Verhältnisse gesteigerten Dramatik auch sehr komisch und schmissig bleibt.
Die Russo-Brüder halten aber nicht nur die Gagdichte so hoch, wie es der generelle Tonfall erlaubt, sondern machen aus The Return of the First Avenger, dem Marvel-Film mit der dichtestem Plotkonstrukt, auch den Marvel-Film mit dem adrenalinstärksten Actionanteil. Statt unentwegt in die Eisen zu steigen und sämtliches Momentum zu verlieren, um den Plot zu erklären oder in schalen Charakterszenen die Figuren auszufeilen, trennt dieser Film eben nicht zwischen Handlung und Kämpferei. Den Helden ist kaum eine Atempause vergönnt, und jede Verfolgungsjagd sowie jede Schießerei bringen die Story voran. Ebenso, wie jede Actionsequenz rund um Captain America auch die Gefühlslage des Titelhelden variiert. Somit kommt es weder dazu, dass das Getöse aufgrund von Irrelevanz ermüdet, noch dazu, dass der Thrill verloren geht, weil es für einen Actionfilm zu wenig Action gibt.
Nicht nur die Masse an Explosionen, Schießereien und Faustkämpfen ist größer als bei den 70er-Thrillern, die als Inspiration dienten, auch ihre Ausmaße sind monumentaler. Selbst wenn The Return of the First Avenger als Verschwörungsthriller über geheime Machenschaften storybedingt lange auf dergleich comichaftes Spektakel der Marke Iron Man oder Avengers verzichtet: Mit einem Soldaten, der das Optimum an menschenmöglichen Fähigkeiten ausschröpft sowie einer Super-Geheimagentin in den wichtigsten Heldenrollen ist klar, dass die Scharmützel höher, schneller, weiter geraten, als in üblichen Politthrillern. Erst recht, da auch die Schurken mit dem Marvel-Bonus aufwarten: Wir reden hier von extrem starken sowie flinken Auftragskiller als kaum aufzuhaltende Bedrohung und von einer Geheimorganisation mit Zugang zu leicht futuristischer Waffentechnologie. Dieses Arsenal an Figuren, Gadgets und Fähigkeiten nutzen die Russos, um eine packende Diskrepanz zum realitätsnahen Produktionsdesign zu erzeugen. Im Zusammenspiel mit der Story, die ebenso mit wahrer Politik wie auch mit Übertreibungen in amüsanter Comiclogik kokettiert, stellt dies ein furioses, so noch nie dagewesenes Fundament für erstaunliche Actioneinlagen und hervorragende Popcorn-Unterhaltung dar.
Bereits die erste Mission, die wir nach dem geerdet-humorvollen Opening mit Steve Rogers' und Sam Wilsons Kennenlernen zu sehen bekommen, gibt mit Nachdruck den Takt an: District 9-Kameramann Trent Opaloch verfolgt die nach und nach außer Kontrolle geratene Stealth-Mission von Captain America in dynamischen Bildern. Vereinzelte, nie die Bildkomposition übermannende Handkamera-Wackler sowie gelegentliche Schwenks, in denen die Kamera dem Geschehen hinterher zu rennen scheint, verleihen dem Ganzen einen Touch des französischen Cinéma vérité, so als würde zwischen den sorgsamer gestalteten, ruhigen Sequenzen eine hoch professionelle Dokucrew übernehmen und Rogers beim Einsatz filmen. Hinzu kommt allerdings die harte, schnelle Schnittarbeit von Jeffrey Ford un Matthew Schmidt, die den rauen Mann-gegen-Mann-Kämpfen einen zügigen Drive verleiht, ohne die schroffen, kraftvollen Choreografien der Darsteller und Stuntleute bis zur Unkenntlichkeit zu zerstückeln.
Selbst wenn im weiteren Verlauf die Actionszenen dank der Technologien der Schurken in ihrer Bandbreite zunehmend fulminanter werden, bleiben diese kernigen Auseinandersetzungen im Vergleich zu anderen Superheldenfilmen im Bereich des Wirklichen. Niemand schleudert Blitze und es gibt keine überdimensionalen Roboteranzüge. Dafür werden Autos zerschrottet, Captain America in einen Messerkampf verwickelt, sowie in mit Sinn für Suspense gefilmte Showdowns mit Schusswaffen. Nur im Finale nimmt das Waffenarsenal überlebensgroße Ausmaße an, wenn es gilt, gleich drei schwer bewaffnete Helicarrier zu entschärfen. Doch selbst in diesem Fall ist allein die zur Schau gestellte Technologie fliegender Flugzeugträger und somit das Setting des Showdowns der hervorstechende Comic-Aspekt in diesem Spektakel. Die Grundidee der Finalsequenz, drei Fluggeräte zu entwaffnen, könnte indes so auch aus einem guten Stirb langsam-Sequel oder einer waschechten 90er-Bruckheimer-Produktion stammen.
Welche der Actionpassagen in The Return of the First Avenger die Beste ist, lässt sich angesichts des immens hohen Niveaus dieser Szenen kaum beantworten. Alle Actionsequenzen sind auf den Punkt geschnitten, mitreißend gefilmt und mit Sinn für eine innere Dramaturgie in Szene gesetzt sowie choreografiert. Die allerhand Schutt und Asche hinterlassende Verfolgungsjagd, in die Nick Fury überraschend verwickelt wird, ist im Kontext des Marvel Cinematic Universe sehr erfrischend und lässt durch wuchtige Eskalationen den Blutdruck in die Höhe schnellen. Wenn Captain America einen ganzen Fahrstuhl voller korrupter S.H.I.E.L.D.-Kampfexperten ausschaltet, beeindrucken die Russos, mit welch geringen Mitteln sie eine spannende, einfallsreiche Schlägerei auf die Beine stellen können. Und dann wäre da noch der brillant inszenierte Kampf zwischen Steve, Sam Wilson und Black Widow auf der einen Seite und dem Winter Soldier inklusive Handlanger auf der anderen, der auf einer Autobahnbrücke seinen Anfang nimmt: Entgegen jeglicher Superhelden-Blockbuster-Tendenz steigert sich dieser Kampf nicht in seiner Explosivität. Stattdessen wird er nach und nach persönlicher und kleiner, aber dringlicher. Anfangs werden noch Autotüren raus gerissen und schwere Geschütze aufgefahren, aber während beiden Seiten langsam die effektivsten Waffen ausgehen und die Helden zudem die Anzahl der Gegner dezimieren, wird das Spektrum dieser Auseinandersetzung immer übersichtlicher. Bis es darauf hinaus läuft, dass sich der Winter Soldier und Captain America mit Messer, Schild und Fäusten einen feisten Schlagabtausch liefern.
Das große Finale verfolgt unterdesse eine weniger straffe Dramaturgie und möchte zwischendurch auch wieder zum Staunen einladen, statt völlig mitzureißen, und nutzt daher den ultimativen Showdown als roten Faden, um im Kampf coole, dramatische und stylische Charaktermomente aneinanderzureihen. Dies gelingt makellos: Totz ausschweifender Länge hat das Finale keine überflüssigen Schnörkel. Mit vereinzelten, die Grenzen des PG-13-Ratings ausreizenden Gewaltspitzen, feschen Sprüchen und hohen, persönlichen Risiken, die Steve Rogers eingehen muss, ist es ein würdevoller Abschluss dieses bombastischen Marvel-Highlights. Zudem beweisen die Autoren, dass sie es begreifen, wie sie einen vorbildlichen Idealisten wie Captain America modernisieren und in einen Blockbuster-Kontext stellen können, ohne seine grundlegende Charakteristik zu opfern: Statt den Winter Soldier, der sich als neue Identität seines Jugendfreundes Bucky Barnes herausgestellt hat, zu töten, lässt sich Steve lieber von ihm grün und blau schlagen. Dies ist zudem mehr als ein bloßes "Bevor ich dich töte, lass ich lieber mich töten"-Denken, denn in den rund zwei Filmstunden zuvor hat Steve Rogers fast alles verloren, woran er in seiner neuen Welt geglaubt hat. Somit verfolgt er mit seiner vermeintlichen Kapitulation zwei Ziele: Im Idealfall weckt er durch seine aufgegebenen Aggressionen Buckys wahres Ich. Im Zweifelsfall verliert er halt sein Leben, was vor den neuen Hintergründen nicht weiter schlimm ist. Selbst wenn ich Man of Steel längst nicht so übel finde wie die härtesten Gegner dieses Films, so hätte der DC-Materialschlacht so ein Hintersinn in der Charakterzeichnung während des Finales durchaus gut getan.
Unterm Strich wirken die Actionszenen mit ihrem Mix aus einer schneidenden, unheilvollen Stimmung sowie leichtfüßigen Einfällen und der alles zusammenhaltenden, technisch umwerfenden Pracht wie ein wundervolles Actionkino-Sammelsurium: Zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus der düster-glaubwürdigen The Dark Knight-Trilogie, den megalomanischen 90er-Produktionen Jerry Bruckheimers wie The Rock oder Der Staatsfeind Nr. 1, aus dem fantasievollen Marvel-Kinouniversum und aus Paul Greengrass' das Publikum mittendrin ins Geschehen versetzenden Filmen Die Bourne Verschwörung oder Captain Phillips. Was wie eine grausige Frankenstein-Kreation hätte enden können, stolziert dank des raffinierten Skripts, der zielstrebigen Inszenierung und den versierten Performances stattdessen als ein atemberaubendes, kohärentes Erlebnis auf die Leinwand respektive auf den Bildschirm.
Storytechnisch muss sich The Return of the First Avenger bei allen Stärken, die ich hier rausstelle, dennoch einen Kritikpunkt gefallen lassen: Mit dem "Nick Fury ist tot ... Nein, doch nicht!"-Trick greift dieser sonst so unvergleichliche, mutige Film auf eine Nummer zurück, die in Blockbustern, Marvel-Produktionen und Werken aus dem erweiterten Disney-Hause all zu oft vorkommen. Zwar ist dieser doppelte Twist grundsolide umgesetzt (bei meiner Erstsichtung habe ich nach Furys vermeintlichem Ableben lange gegrübelt, ob Samuel L. Jacksons Vertrag abgelaufen ist und kam zum Entschluss: "Ja, ich glaub, das passt tatsächlich ... Ach du meine Güte! Fury ist tot!"). Und inhaltlich ist er auch gerechtfertigt. Erstens aus Furys Sicht, der schwer verletzt wirklich abtauchen sollte, wenn sich herausstellt, dass sein Arbeitgeber unterwandert wurde, und zweitens aus filmdramaturgischer Sicht, da die Fallhöhe für Captain America ohne Furys Unterstützung wesentlich größer ist. Allerdings ist solch eine "Haha, ihr musstet gar nicht trauern!"-Finte stets ein Aspekt an einem Film, der bei wiederholten Sichtungen leichte Abnutzungserscheinungen aufweist. Dafür beweist Marvel umso mehr Wagemut, indem S.H.I.E.L.D. demontiert wird. Das ist nicht nur eine gewaltige Überraschung, sondern auch eine Wende, die das gesamte Franchise erschüttert und so signalisiert: "Im Marvel Cinematic Universe ist eben doch nicht alles sicher!"
Ich persönlich empfinde den Twist, dass S.H.I.E.L.D. bis in die höchsten Ränge von H.Y.D.R.A. infiltriert wurde, zudem als keckes politisches Statement. Gewiss lässt er sich auch als Feigheit lesen, als dass Marvel die zunächst angedeutete, komplexe "Eine gute Organisation tut Böses!"-Story auf ein binäres "Die Guten sind in Wahrheit die Bösen!"-Denken ummünzt. Und ich kann verstehen, weshalb einige Zuschauer den Film so deuten. Für mich ist der H.Y.D.R.A.-Schockeffekt allerdings größer als ein schlichtes "S.H.I.E.L.D. trifft nun halt auch falsche Entscheidungen". Darüber hinaus hat die Story so schärfere Seitenhiebe auf unsere politische Realität parat: Würde S.H.I.E.L.D., wie die CIA im wahren Leben, in einem grau-grauen Denken ersaufen, so wäre es nur eine Angleichung der Filmwirklichkeit an unsere Realität. Mit der H.Y.D.R.A.-Signalwirkung schreit der Film aber heraus: Geheimdienste verfolgen mitunter Nazi-Methoden! Und das ist eine Form der Kritik, die so normalerweise nicht in einem Marvel-Popcornspaß zu erwarten steht. Da auch klar gemacht wird, dass die gegenwärtige H.Y.D.R.A. nicht mehr mit den Nazi-Schergen aus Captain America - The First Avenger gleichzusetzen ist, sondern rechte Extremisten darin Seite an Seite mit "Präventivmaßnahmen für eine geordnete, sichere Welt!"-Denkern stehen, ist dieser Twist bei aller Warnwirkung längst keine alte "Es waren halt doch nur die bösen Nazis!"-Ausflucht.
Weil die zentrale Bedrohung in The Return of the First Avenger von einer verzweigten Organisation ausgeht, ist es in dieser Produktion auch ausnahmsweise zu verschmerzen, dass diesem Marvel-Film einmal mehr ein scharf umrissener, denkwürdiger Haupt-Antagonist fehlt. Eine so furchteinflößende Leistung wie die von Heath Ledger in The Dark Knight oder (um bei Marvel zu bleiben) so ein amüsiert mit seinem inneren Schalk kokettierender Bösewicht wie Tom Hiddlestons Loki würde nicht zum Film passen. Stattdessen gibt es zusätzlich zur unsichtbaren, oft gesichtslosen Bedrohung durch S.H.I.E.L.D. respektive H.Y.D.R.A. drei Repräsentanten der antagonistischen Macht. Zunächst wäre da Robert Redford, der seiner Rolle, die andere Darsteller gewiss zu eintönig angelegt hätten, allein schon durch seine Präsenz eine nicht zu verachtende Schwere verleiht. Und dennoch ist dem Leinwandveteranen eine lebhafte Freude anzumerken, in einem Marvel-Blockbuster mitwirken zu können, was in den wenigen statischen, rein der Erklärung der Handlung dienenden Szenen dieses Films von Vorteil ist. Dann wäre da Muskelprotz Frank Grillo, der als Handlanger Brock Rumlow eine so kleine Rolle spielt, dass seine Performance bei der Erstsichtung wohl kaum auffällt. Allerdings haucht Grillo seiner Figur ein sadistisches Glühen ein, wann immer er Steve Rogers oder Sam Wilson gegenübersteht, so dass er bei wiederholten Sichtungen zu einem präsenten Bestandteil des Films heranwächst und auf Captain America: Civil War Lust macht.
Sebastian Stan indes drückt dem Geschehen als Winter Soldier weniger seinen Stempel auf, als man angesichts des Originaltitels denken würde. Trotzdem ist er als kraftvoller, meist maskierter Auftragskiller mit superschnellen Reflexen und einem Metallarm eine mehr als willkommene Ergänzung des Marvel-Figureninventars. Die angerissene emotionale Tiefe seiner Figur wird textuell zwar nur oberflächlich behandelt, Stans Augen sprechen in seinen Szenen dafür umso größere Bände, und die Körperlichkeit, die er in den Actionszenen beweist, ist eindrucksvoll! Der Winter Soldier ist außerdem eine der wenigen Marvel-Figuren, der ein einschneidendes, einprägsames musikalisches Motiv vergönnt ist: Komponist Henry Jackman (Baymax - Riesiges Robowabohu) hat sich für den determinierten Killer einen metallischen, Nerven zerfetzenden und qualvollen Schrei ausgedacht, den die Heerschar an Sound-Verantwortlichen zu großem Effekt mit dem kristallklaren, machtvollen Sounddesign verschmelzen. Generell hat Jackman einen Ausnahme-Score in der Marvel-Landschaft erschaffen: Im Normalfall wissen die Instrumentalscores des Comicstudios zwar, das Geschehen zu unterstützen, allerdings gehen sie selten ins Ohr, ebenso selten heben sie die Heldenabenteuer durch starke Kompositionen weiter empor. Und leider sind viele der Marvel-Scores sogar völlig austauschbar (ich behaupte etwa, dass man den Thor - The Dark Kingdom-Score genauso gut unter die Guardians of the Galaxy packen könnte). Jackmans experimentelle, abgefahrene Musik zu The Return of the First Avenger andererseits fällt nicht nur aus dem Rahmen, sondern gewinnt sogar mit der Zeit an Wirkung dazu. Schon kurz nach Kinostart nannte ich die kühle, manisch Elektrodissonanzen und -melodien mit Orchesterstücken vermengende Arbeit Jackmans einen der besten Marvel-Scores überhaupt. Mittlerweile würde ich sie sogar zum musikalischen Höhepunkt der Marvel-Filmwelt krönen, da mir die Feinheiten hinter dieser atmosphärischen Klangwelt allmählich auffallen, was ihre Wirkung noch weiter verstärkt.
Und selbst das 3D fügt sich mit gestochen scharfen Effekten und einer starken Raumwirkung formidabel ins Gesamtbild und legt die Messlatte nach dem zweiten Thor-Abenteuer um ein Vielfaches höher.
Fazit: Mit einem rauen, aufregenden
und cleveren Action-Meisterwerk lenkt The Return of the
First Avenger das Marvel-Universum in eine neue, packende
Richtung und krönt Supersoldat Steve Rogers endgültig zum Qualitätsmeister im
Avengers-Kader.
1 Kommentare:
Nachdem ich den ersten Film mit einigem Vergnügen gesehen hatte (und er mich auf die einfach wunderbare AGENT CARTER - Serie brachte), wollte ich dem zweiten Teil auch eine Chance geben und siehe da, mir hat der Film überraschenderweise sehr gut gefallen.
Ich kannte Teile der Comic-Vorlage und da schüttelte ich mich des öfteren auch wegen des verdammten Umstandes, das in Comics niemand einfach mal tot bleiben kann.
Ich meine - BUCKY? Das mit seinem Tod hatte doch jahrzehntelang prima geklappt?
Warum also etwas ändern?
Aber ja, wenn man das alles aus der Überzeugung macht, das man eine wichtige Ergänzung zur Saga hat, dann können auch daraus gute Geschichten entstehen.
Im Prinzip sollte mir das Angst machen für CIVIL WAR, denn die Storyline fand ich eigentlich sehr interessant.
Nochmal zu AGENT CARTER. Die Serie möchte ich jedem, der den Flair des ersten CAP-Filmes mochte, sehr ans Herz legen.
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