Das Staffelfinale steht kurz bevor.
Doch ehe die Helden aufeinandertreffen, um sich einer neuen, ungeahnt
starken Gefahr zu stellen, schlagen die Showrunner eine völlig
ungeahnte Richtung ein. Ein anderer Tonfall, ein anderer Look, ja,
sogar andere Hauptfiguren. Eine Dosis Abwechslung vor dem großen
Knall. Wenn Fernsehserien so vorgehen, kann dies in arge Fanrevolten
münden. Oder aber die andersartige, aus dem Nichts geschossene
Episode wird vom Publikum mit offenen Armen empfangen und zu einer
der besten in der Seriengeschichte ernannt. Ersteres stand 2014 im Kino zu befürchten, doch letztgenannte Option traf tatsächlich ein. Das 'Marvel Cinematic Universe' funktioniert
ähnlich wie eine immens kostspielige Serie, statt Jahresstaffeln
gibt es sogenannte Phasen. Phase eins handelte von der Entstehung
einer heroischen Gruppe und endete mit Marvel's The
Avengers, Phase zwei weitet das fiktionale Marvel-Universum
aus und findet ihren bombastischen Abschluss mit Avengers: Age of
Ultron, ehe Ant-Man als Epilog fungiert. Statt aber das immer näher rückende Finale mit
aller Kraft vorzubereiten, widmet sich Phase zwei des 'Marvel
Cinematic Universe' in ihrem drittletzten Film einer komplett neuen
Truppe von Losern, die heldenhaftes Potential aufweisen.
Nicht allein deswegen galt Guardians
of the Galaxy vorab als gewaltiges Risiko für die Marvel
Studios. Hinzu kam, dass die Storys um die galaktischen Heroen die
bis dahin unbekanntesten Comics darstellten, die als Vorlage für einen
Marvel-Kinofilm dienten. Und dann war da noch der Faktor X in Form des
Regisseurs James Gunn, der bislang nur durch die Horrortrash-Hommage
Slither, die rabenschwarze Selbstjustiz-Komödie
Super und das Drehbuch zur sehr freien, sündigen
Shakespeare-Adaption Tromeo & Julia auffiel.
Bekanntlich zahlte sich die Risikofreudigkeit des Marvel-Filmchefs
Kevin Feige aus: Liebenswert obskure Figuren, ein wunderbar
eigensinniger Regisseur und eine perfekt abgestimmte Auszeit vom
üblichen Avengers-Tonfall mündeten in den USA in
ein fantastisches Startwochenende mit einem Gewicht von 94 Millionen
Dollar.
Auch im Rest der Welt steuerte Guardians
of the Galaxy einen Erfolgskurs an: Unterm Strich standen schlussendlich mehr als 774,17 Millionen Dollar Einspielergebnis. Und dies völlig verdient,
denn Exzentriker James Gunn gelang mit diesem Space-Abenteuer ein
flotter, spaßiger Superheldenfilm in außergewöhnlicher Optik. Der
Frontmann von Marvels Wächtern der skurril gestalteten Galaxis ist
Peter Quill, gespielt von einem vor Energie platzenden Chris Pratt.
Peter stammt von der Erde, wurde 1988 jedoch von Außerirdischen
entführt. Das Leben am anderen Ende des Universums bekam Peter aber
recht gut: Er wuchs zu einer gerissenen Kombination aus
Indiana-Jones-Abenteuerdrang und Han-Solo-Coolness heran und macht
als Artefakte sammelnder Outlaw diverse Winkel des Weltalls unsicher.
Als er eines Tages aber seinen launenhaften Ziehvater / Auftraggeber
Yondu (spaßig-schroff: Michael Rooker) übervorteilt, setzt dieser
ein Kopfgeld auf ihn aus. Derweil macht sich zudem die
Kriegsprinzessin Gamora (knallhart: Zoe Saldana) auf die Jagd nach
Peter, um das von ihm gestohlene Artefakt an sich zu reißen. Gamoras
Attacke auf Peter wird aber jäh von zwei ungleichen Kopfgeldjägern
unterbrochen: Dem wandelnden, kräftigen Baum Groot und dem
jähzornigen, frechen Waschbär Rocket (im Original gesprochen von
Bradley Cooper, im Deutschen von Fahri Yardim).
Wie es der Zufall so will, kann die
intergalaktische Polizeiorganisation Nova Corps die vier
Gelegenheitshalunken während ihrer Kabbelei dingfest machen. In
einem Space-Gefängnis schließt das Quartett zwar nicht gleich
Freundschaft, dennoch können es sich angesichts der Macht, die sich
hinter Peters jüngstem Diebesgut verbirgt, auf eine
Zweckgemeinschaft einigen. Auch der eloquente, alles wortwörtlich
nehmende Krieger Drax (erstaunlich humorvoll: Dave Bautista) klinkt
sich in die Gruppe ein. Um ihre Haut zu retten und ganz nebenher dem
faschistischen Schurken Ronan (kaum wiederzuerkennen und vom Skript im Stich gelassen: Lee Pace) ein
Schnippchen zu schlagen, gilt es aber zuallererst, aus diesem
vermaledeiten Hochsicherheitsgefängnis auszubrechen …
Bereits ein grober Umriss des Plots
dieser 170-Millionen-Dollar-Produktion zeigt auf, dass James Gunn
sein Publikum in eine völlig fremde Welt voller neuer Vokabeln und
nur dem comicerfahrenen Publikum bekannten Planeten, Zivilisationen
und Allianzen stürzt. Im Gegensatz zu vielen neuen Sci-Fi- und
Fantasy-Filmen (wie etwa Marvels Thor
– The Dark Kingdom) schaltet Guardians of the
Galaxy jedoch keinen trägen Prolog vor die eigentliche
Handlung. Statt dem Zuschauer haarklein erst alle bedeutsamen Aspekte
ihrer fiktiven Welt zu erläutern, schmeißen die Autoren Gunn und Nicole Perlman den Betrachter in bester Manier des originalen Star
Wars-Films ins kalte Wasser. Es wird ohne weitere
Erläuterungen von der kultischen Alienrasse Kree gesprochen, die mit
dem technisierten Planeten Xandar verfeindet sind. Und dann wäre da
noch der exzentrische Collector (macht Lust auf mehr: Benicio del
Toro) … Wie dies mit den titelgebenden Anti-Helden in Verbindung
steht, was die Nova Corps leisten und was der schon in Marvel's
The Avengers aufgetretene Thanos (Josh Brolin in einem
genüsslichen Miniauftritt) damit zu tun hat, all das und vieles mehr
erklärt sich im Laufe des Films oder muss zum Teil aus dem Kontext
erschlossen werden.
Somit mag Guardians of the
Galaxy das weniger genreaffine Publikum eingangs vielleicht
mehrmals verwirren oder gar etwas überfordern. Trotzdem ist es eine
sich bezahlt machende narrative Entscheidung, denn dadurch sowie
mittels des originellen Produktionsdesigns von Charles Wood baut
James Gunn eine einnehmende, in sich geschlossene Filmwelt auf.
Die teils absonderlichen, teils verspielten Sets, Kostüme und
Requisiten fügen sich zu einem kohärenten Ganzen und machen diese
Marvel-Galaxie zu einem der faszinierendsten Sci-Fi-Schauplätze
neben George Lucas' umfangreichem Star Wars-Universum
und James Camerons Pandora. An das 3D von Avatar
reicht die zehnte Marvel-Eigenproduktion zwar nicht heran, Freunde
des 3D-Formats bekommen aber genug für ihr Geld geboten.
Zudem hat die Methode „Lieber dreimal
das Publikum verwirren als es einmal langweilen“ den bestechenden
Vorteil, dass Guardians of the Galaxy innerhalb
von gerade einmal zwei Stunden Laufzeit eine überwältigende Anzahl
an denkwürdigen, zitierfähigen Momenten unterbringt – dem Mangel
an trägem Expositionsmaterial sei dank. Am stärksten sind jene
Phasen, in denen Gunn seine fünf Anti-Helden einfach nur
interagieren lässt: Der Humor der Figuren ergänzt sich perfekt und
egal, ob sie sich gegenseitig auf den Arm nehmen, sie über
Widrigkeiten lachen oder aber James Gunn diese unangepassten
Charaktere nutzt, um über Blockbusterkonventionen herzuziehen –
Guardians of the Galaxy ist ganz klar Marvels
bislang humorvollster Film! Aber auch die Kampfsequenzen wissen zu
überzeugen, wobei der in Sachen Big-Budget-Action noch unerfahrene
Gunn bei den kleineren, unkonventionelleren Szenen eher besticht als
bei den wirklich großen Aufeinandertreffen zwischen Gut und Böse.
Während der finale Showdown seine
Sache einfach nur adäquat erledigt, zählen Szenen wie der
ungeheuerlich lustige Gefängnisausbruch der Guardians zu den
unterhaltsamsten Actioneinlagen des Filmjahres 2014. Dies ist auch
Mitverdienst des für den Schnitt verantwortlichen Dreigestirns Craig
Wood, Fred Raskin und Hughes Winborne, die bei Actionszenen mit
beschwingtem Timing zwischen mehreren Kampfschauplätzen hin und her
wechseln, ohne dabei zu sehr zu hetzen. Dadurch lassen sich auch die
preisverdächtigen Computereffekte besser bestaunen, die sich
makellos in die vielen praktischen Sets des Films einfügen.
Trotz des atypischen Looks und des
kantigen Gebärdens der Hauptfiguren kann sich aber selbst
Guardians of the Galaxy so mancher strikt
ausgespielter Blockbuster-Konvention nicht verwehren. So entsteht ein leicht ernüchternder Beigeschmack, dass diese irre Welt und diese kauzigen Figuren nur an der mittellangen Leine gehalten werden, weil die Macher Angst hatten, sonst den Zuschauer zu verschrecken. Nicht zuletzt
aufgrund des liebenswerten Groot und seines schroffen, aber auch
verletzlichen Gefährten Rocket ist dieses schelmische Spaceabenteuer
jedoch so spritzig, dass über diese Schwächen oder den
austauschbaren Originalsoundtrack von Komponist Tyler Bates zu großen Teilen hinweg gesehen werden kann. Zu den Klängen treffend ausgewählter
Retro-Popsongs rocken Peter Quill und Konsorten eh viel besser!
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