Dienstag, 27. Oktober 2015
Frenzy
Das mit Hitchcock und dem Hays Code ist ja schon ein zweischneidiges Schwert. Dass Hitchcocks Schaffen zu weiten Teilen unter den auch als Production Code bekannten, gestrengen Richtlinien des Dachverbands der US-amerikanischen Filmproduktionsfirmen entstanden ist, hatte ohne jeden Zweifel enormen Einfluss auf die Filmsprache des Briten. Geschadet hat es ihm bekanntlich nicht. Und dass ein Regisseur dank hervorragender, durchdachter Inszenierung und starker Skripts auch unter Einhaltung starrer moralischer und ethischer Vorgaben zum 'Maestro des Suspense' heranwachsen kann, sollte vielen heutigen Thrillerschaffenden eine Lehre sein. Und mitunter waren es ja auch Hitchcocks findigen, subtilen Attacken auf die Vorstellungen der Moralhüter, die seinen Regiearbeiten den letzten Schliff verliehen haben.
Trotzdem fällt es als Filmliebhaber schwer, nicht darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten sich der Regielegende geboten hätte, wären ihr keine solch engen Fesseln angelegt worden. Ein Film regt mit besonderem Nachhall das Gedankenspiel an, welche Art von Thrillern wir genießen könnten, hätte Hitchcock zu einer späteren Zeit das Licht der Welt erblickt, um dann 55 Jahre lang aktiv Filme zu drehen: Frenzy. Hitchcocks zweitletztes Werk nutzt es mit Eifer aus, dass der Regisseur im Jahre 1972, noch dazu in seinem heimischen England, nur noch deutlich lockerere moralische Rahmenbedingungen einzuhalten hatte. Das Ergebnis ist eine, erst recht für Hitchcock und damalige Verhältnisse, harsche und vulgäre Kriminalgeschichte, die genauso überwältigend wie garstig ist:
Von seiner Vergangenheit ist Richard Blaney (Jon Finch) kaum etwas geblieben: Der:ehemalige Pilot und Staffelführer der Royal Air Force ist spätestens seit seiner Scheidung zu einem wankelmütigen Tunichtgut mit Kodderschnauze und überschaubarem Lebensmut verkommen. Zu den wenigen Vertrauten des Bartenders zählen seine Arbeitskollegin Babs Milligan (Anna Massey), mit er er eine ungezwungene Liaison hat, sowie sein bester Freund Bob Rusk (Barry Foster), ein stadtbekannter und erfolgreicher Obsthändler. Der Lebemann hilft Richard gelegentlich mit Anlagetipps aus und er bietet seinem Freund auch an, ihm mit Finanzspritzen zur Seite zu stehen, was er aus falschem Stolz allerdings ablehnt. Selbst Richards Ex-Frau Brenda (Barbara Leigh-Hunt), bei der er in unregelmäßigen Abständen vorbei schaut, hat Mitleid mit ihm. Zumindest, wenn er ihr nicht gerade in ihrer Partnervermittlung eine Szene macht. Parallel zu Richards Suche nach finanziellem Halt, befindet sich die Londoner Polizei verzweifelt auf der Suche nach einem ruchlosen Sexualstraftäter, der seine Opfer vergewaltigt und stets mit einer Krawatte erwürgt. Und nicht wenige Indizien deuten darauf hin, dass der emotional instabile Richard Schuld ist ...
Wer noch nie in den Genuss von Frenzy gekommen ist, aber den Stil kennt, den Hitchcock in den vom Hays Code besonders geplagten Jahren an den Tag legt, dürfte aufgrund der Schroffheit dieses Thrillers wiederholt überrascht werden. Erstmals werden beim Maestro nackte Körper gezeigt, das Vokabular der Figuren ist völlig ungehobelt und die Gewaltdarstellung ist frenetischer, unbarmherziger als schon in Psycho, der für seine Zeit ja bereits sehr gewagt war. Der zunehmende Gewaltgrad in Filmen der 70er ist eine der bekanntesten und am stärksten analysierten Entwicklungen der Kinogeschichte, aber Frenzy wird als Vorhut dessen nicht ausreichend ins Licht gerückt. Erst recht, da Frenzy nicht allein durch seine Rohheit besticht, wie es im weniger hoch budgetierten Thrillergenre der 70er später an Alltäglichkeit gewann: Selbst wenn dieser Der-Jäger-und-der-Gejagte-Plot grob und derb ist, macht er er sich obendrein noch immer die Virtuosität und inszenatorische Eleganz zu Eigen, die die größten Meisterwerke Hitchocks eint. Daher ist Frenzy für Hitchcock-Neulinge ein aufregendes Amuse-Gueule und für -Jünger ein faszinierender, fesselnder Mix aus erfrischender Härte und gewohnter Genialität.
Ein sehr gekonnt angewandter Kniff in Frenzy ist beispielsweise, dass das von Anthony Shaffer Drehbuch wiederholt den Fokus ändert, so dass dem Publikum wertvolle Informationen vorenthalten werden oder drängende Fragen aufkommen. Und Hitchcocks Inszenierung stärkt diesen Gedanken: Der Prolog zeigt von oben herab ein öffentliches Ereignis, ohne einen einzelnen Menschen als zentrale Figur herauszupicken. Als eine nackte Frauenleiche ans Ufer der Themse angespült wird, legt der verwirrte Kommentar eines Politikers die Aufmerksamkeit auf die Krawatte, mit welcher die Frau wohl erdrosselt wurde: "Das ist doch nicht meine Club-Krawatte", fragt er, und verdeutlicht somit, dass dieses Krawattenmuster von besonderer Bedeutung sein könnte. Schnitt auf unseren Protagonisten Richard Blaney, wie er sich eine Krawatte mit genau diesem Muster bindet. Von da an heftet sich die Erzählung für eine längere Dauer an die Fersen einer Figur, nur um in entscheidenden Momenten von ihr zu weichen. So wird unklar im mittleren Teil des Thrillers, was der unter Druck geratene Blaney einem alten Bekannten ins Ohr flüstert. Ein Mord wird zu beengender Stille degradiert, während die Kamera in beunruhigender Geradlinigkeit den Tatort verlässt. Und die Flucht des Täters wird auf einem Wendepunkt links liegen gelassen, um zu zeigen, wie Alec McCowen als Chief Inspector mit angewiderter Miene das Abendessen seiner Frau (Vivien Merchant) zu verspeisen, während er beiläufig im Gespräch mit ihr den Fall durchgeht.
Intensiviert wird die Wirkung dieser Erzählung durch die hypnotische Kameraarbeit von Gilbert Taylor und Leonard J. South, die mit gezieltem Blick die Atmosphäre intensiviert, kleine, aggressive Macken der Figuren unterstreicht und dann wiederum plötzlich ein eigenes Leben entwickelt und uns mit unserer Vorstellungskraft allein lässt. Die Musik von Ron Goodwin kommt dagegen längst nicht so schwermütig daher, sondern dient als spannende, doch auch vorantreibende Klammer. Der ursprünglich für den Score engagierte Henry Mancini steuerte deutlich beklemmendere Kompositionen daher, was Hitchock allerdings zu viel des Guten war, weshalb er die Musik ablehnte. Und ein weiterer Aspekt des Films musste erst noch angepasst werden: Die Darsteller empfanden die im Drehbuch niedergeschriebenen Dialoge als "nicht britisch genug", weshalb der Regiemaestro am Set Änderungen zuließ. Geschadet hat dies wahrlich nicht: Visuell wie sprachlich spielt Frenzy in einer "verlebten" Welt, und die zentralen Darsteller versinken völlig in ihren Rollen. Jon Finch eckt als der abgewrackte Anti-Held dieses Thrillers unentwegt an, er kann zuweilen völlig abstoßend sein, doch er agiert mit genügend leise-versöhnlichen Qualitäten, dass man Richard Blaneys Schicksal komplett verfolgen will. Barry Foster, dem Hitchock beim Dreh viele Freiheiten einräumte, ist als unbeherrschter bester Freund Richards eine wahre Naturgewalt und auch Anna Massey sowie Barbara Leigh-Hunt wachsen trotz begrenztem Handlungsraum über Archetypen hinaus.
Vivien Merchant sowie Alec McCowen dagegen sorgen in ihrem Subplot mit staubtrockenem, britischen Witz für eine reizvoll-zynische, humorvolle Note, die erfrischend ist, ohne den Tonfall zum Kippen zu bringen. Und so gelingt Frenzy endgültig der Sprung in die oberste Riege der Hitchcock-Regiearbeiten: Frenetisch, garstig und dennoch große, starke Unterhaltung. Ein Film, der einem den Atem raubt!
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