Er ist die
wandelnde Gegenthese zum 'Marvel Cinematic Universe': Während das
Besondere am immens einträglichen Superhelden-Kinofranchise ist,
dass es unentwegt wächst, zeichnet sich Ant-Man durch seine
Fähigkeit zum Schrumpfen aus. In den Comics ist er eines der
Gründungsmitglieder der Avengers, während er in der Marvel-Filmwelt
erst zum muntern Abschluss der sogenannten zweiten Phase des
Studio-Masterplans endlich in Aktion tritt. Mit der
Solo-Herkunftsgeschichte Ant-Man sorgen die Marvel
Studios zudem wieder für ein originäres Flair in ihrer Filmreihe.
Schließlich wurde diese nun vier Jahre lang von Teamabenteuern und
Fortsetzungsgeschichten dominiert. Eine Erzählung darüber, wie ein
einzelner Niemand zum Helden wird, hat die Produktionsschmiede
dagegen seit Captain America – The First Avenger
nicht mehr zum Besten gegeben. Und während Joe Johnstons
Comicadaption von 2011 ein buntes, bewusst überzeichnetes
Soldatenabenteuer im Stile von Schundheftchen und spaßigen
Retro-Blockbustern ist, leiht sich Ant-Man nun
einige Seiten aus dem Lehrbuch für Heist Movies.
Wie schon einige Gangsterpossen rund um
Diebstahl und listige Coups nimmt auch diese Story (vom das
Marvel-Universum ausarbeitenden Prolog abgesehen) ihren Anfang, als
unser Protagonist aus dem Gefängnis entlassen wird. Scott Lang (Paul
Rudd) musste mehrere Jahre für Einbruch und Diebstahl sitzen und
verlor durch seine Gesetzeskonflikte alles, was ihm lieb ist. Seine
Frau (Judy Greer) ließ sich scheiden und ist nun mit einem
Polizisten (Bobby Cannavale) verlobt, der eifrig versucht, Scotts
Tochter vor ihrem Halunkenvater fern zu halten. Und gute Referenzen
hin oder her: Einen ansehnlichen neuen Job kann sich Scott angesichts
seiner früheren Taten in die Haare schmieren. Einzig sein früherer
Gefängniskumpel Luis (Michael Peña) hält ihm die Treue und holt
ihn für einen neuen Feldzug mit ins Team. Derweil plagen den
smarten, einzelgängerischen Erfinder und Firmenboss Hank Pym
(Michael Douglas) ganz andere Sorgen: Sein früherer, emotional
instabiler Protégé Darren Cross (Corey Stoll) steht kurz davor, die
gefährliche Ant-Man-Technologie zu rekreieren, die Pym seit über
zwei Jahrzehnten vor der Welt geheimzuhalten versucht. Da sich Hank
und seine von ihm distanzierende Tochter Hope van Dyne (Evangeline
Lilly) nicht einig werden, wie sie Darren aufhalten sollen, muss ein
Plan B her. Klar, dass sich über kurz oder lang Hanks und Scotts
Wege kreuzen werden …
Wer die Produktionsgeschichten der
Marvel-Filme genau verfolgt, dürfte zwangsweise davon Wind bekommen haben: Nachdem Edgar Wright (Hot
Fuzz) rund eine Dekade lang gemeinsam mit Schreibpartner
Joe Cornish am Drehbuch zu Ant-Man werkelte,
verließ er nur wenige Wochen vor dem geplanten Drehstart die
Produktion. Als Grund wurden die stets gern zitierten kreativen
Differenzen zwischen Regisseur und Studio angegeben. Daraufhin
heuerte Marvel eilig Anchorman-Macher Adam McKay
und Hauptdarsteller Paul Rudd an, um das Drehbuch zu überarbeiten,
für den Regieposten konnte letztlich Peyton Reed (Der
Ja-Sager) gewonnen werden. Wie sehr sich das ins Kino
entlassene Endergebnis nun von Wrights ursprünglicher Vision
unterscheidet, können wohl nur Beteiligte sagen. Doch ganz gleich,
ob es nun an den turbulenten Wochen vor Drehstart liegt oder
womöglich schon das Skript von Wright und Cornish Schuld hat: Die am
flüssigsten erzählte Marvel-Mission ist Ant-Man
wahrlich nicht. Hier und da reißen Halbsätze Storylines an, die
sich nie voll entfalten (Stichwort: Beeinflussung der Hirnwellen).
Und auch wenn der eigentliche Plot recht zügig und ohne jegliche
Verschnörkelung vonstattengeht, werden vor einzelnen Actionpassagen
sehr wohl einige Erklärungen nachgeschoben. Ob sie nun die Figuren
mit einem Schlag ausdifferenzieren oder den Ant-Man-Anzug näher
erläutern – Marvel bewies in Vergangenheit durchaus, solche
Expositionen beiläufiger und eleganter vermitteln zu können. Ohne
wie bei Ant-Man die Dynamik der Geschichte ein
klein wenig aus dem Takt zu bringen.
Ein
weiteres, wenngleich vernachlässigbares, Drehbuchproblem betrifft
die ruhigeren Aspekte der 130-Millionen-Dollar-Produktion. So
plausibel Scotts Sorgen auch sind, dass seine Tochter ihn nie als den
Mann ansehen wird, der er in seinem tiefsten Inneren ist: Rührung
mag wegen der Zurückhaltung dieser Szenen nur in sehr geringen Dosen
aufkommen. Da erwiesen sich etwa die ersten beiden Spider-Man-Filme von Sam Raimi in der Umsetzung der
charaktergetragenen Emotionalität in Mitten der Action- und
Comedy-Einlagen eine Spur effektiver. Trotzdem wissen die
Familiengeschichten Scotts und Hanks, Ant-Man nach
all den (teils im wahrsten Sinne des Wortes) andersweltlichen
Marvel-Produktionen eine etwas bodenständigere, alltäglichere
Motivation für seinen Titelhelden zu präsentieren. Wohl auch daher
versprüht Peyton Reeds Regiearbeit öfters die Atmosphäre jener
Superheldenfilme, wie sie Anfang der 2000er in die Kinos gelangten,
ehe Iron Man (und The Dark Knight)
alles veränderte(n).
Wobei
Ant-Man allem zum Trotz sehr deutlich die
Attitüde eines Edgar Wright anzumerken ist – und da ist nicht
wichtig, ob es sich dabei um Überbleibsel seines Drehbuchentwurfs
handelt oder um Ideen, die McKay & Rudd in seinem Stil verfasst
haben. Besonders auffällig ist der Wright-Geist in den äußerst
kreativ-gewitzten Actionszenen. Dass der Träger des Ant-Man-Anzugs
auf Knopfdruck winzig klein werden kann, dabei aber zugleich die
Schlagkraft eines Geschosses erhält, wird auf vielfältige Weise in
Szene gesetzt – und bleibt dabei stets humorvoll. Die Filmemacher
wissen, wie albern die Fähigkeiten Ant-Mans sind (wobei das
Schrumpfen im Vergleich zu seinem Können, mit Ameisen zu
kommunizieren, noch alltäglich scheint), und nutzen dies zu ihrem
Vorteil. Wiederholt werden die Unterschiede aufgezeigt, wie wild,
rasend und chaotisch Kämpfe aus der Ameisenperspektive aussehen,
während sie für Beobachter in Menschengröße unscheinbar sind. Und
spätestens wenn Scott mit einer Horde von Ameisen eine hoch
gesicherte Anlage infiltriert und Reed dies in
haarsträubend-verrückten Bildern illustriert, dürfte kein Auge
trocken bleiben. Aber auch die Dialogpassagen machen großen Spaß.
Insbesondere die verschwurbelten Erzählungen von Peñas Kleinganoven
Luis sowie eben dessen naiven Einfälle sorgen für gut sitzende
Lacher. Wenig überraschend ist ebenso der perfekt gecastete Paul
Rudd mit seinem trockenem Witz ein wichtiger Grundpfeiler dieser
schmissigen Marvel-Komödie. Auch Michael Douglas, der die
Mentorrolle mit Charme und Würde gibt, kann sich einige feine
Pointen sichern, während Evangeline Lilly in Sachen Humor leider
etwas kürzer treten muss – dafür gelingt es der
Lost-Frontfrau, ihrer Standardrolle willkommene
kantige Facetten zu verleihen.
House of
Cards-Nebendarsteller Corey Stoll indes kann als
verbissener Forscher nicht ganz im Alleingang Marvels Schurkenproblem
lösen. Wie viele Fieslinge vor ihm, hat auch Darren Cross keine
Vielzahl an intensiv ausgearbeiteten Szenen zu bieten, die sein
Handeln vollauf nachvollziehbar und unvergleichlich machen. Dennoch
zählt Cross zu den unterhaltsameren Widersachern innerhalb des
'Marvel Cinematic Universe', was unmissverständlich der Verdienst
Stolls ist. Mit unbändiger Energie, unverschämtem Genuss an
Fatalismus und rauem Charisma kann der Mime die skripttechnischen
Schwächen seiner Figur zwar nicht vergessen machen, sie aber sehr
wohl vehement übertönen. Hinzu kommt, dass er sehr einschüchternd
aufzutreten weiß, was ebenfalls nur wenige Marvel-Schurken vor ihm
erreichten. Dass sein Superanzug ein markantes, düsteres Design hat,
das allein mittels Computeranimation verwirklicht werden konnte,
kommt der Ausstrahlung seiner Figur da nur zugute – und dass dieser
rein digitale Anzug neben dem praktischen (und saucoolen)
Ant-Man-Outfit nicht als Effekt zu erkennen ist, zeigt auf, wie
ausgefeilt die CG-Tricks in Ant-Man sind. Die
Verschmelzung aus realem Filmmaterial und Computereffekten sowie
Trickaufnahmen ist es auch, dank denen die Schrumpfszenen durchweg so
gut funktionieren. Die knalligen Ideen von Reed und den
Drehbuch-Autoren werden ausnahmslos in überzeugender Optik
umgesetzt, die obendrein dank wohlüberlegter Kameraplatzierung sowie
wirkungsvoller Weitwinkelaufnahmen in der empfehlenswerten 3D-Version
noch beeindruckender gerät.
Wenn
Ant-Man im Menschenmaßstab abläuft, ist die
Optik des Films derweil austauschbar. Russell Carpenter
(Titanic) zwängt dieses Abenteuer zwar in das für
Marvel ungewohnt schmale Bildformat 1.85:1, trotzdem ist der 'große'
Teil des Films nur solide gefilmt, ohne eigenen Charakter. Umso
besser ist dafür der Schnitt: Dan Lebental und Colby Parker, Jr.
bewerben sich förmlich dafür, den nächsten Edgar-Wright-Film zu
schneiden und holen nicht nur aus praktisch jeder humorvollen Einlage
das Optimum, sondern sorgen zudem für zügige Action, die trotz
ständiger Eskalation nie ermüdet oder durch die regelmäßigen
Maßstabwechsel verwirrt. Dafür enttäuscht Ant-Man
auf musikalischer Ebene: Die Eiskönigin – Völlig
unverfroren-Komponist Christophe Beck liefert den womöglich
schwächsten Score des 'Marvel Cinematic Universe' ab, mit schalen Verschränkungen aus Orchester- und Elektroklängen sowie handzahmen,
schnell vergessenen Melodien, die eher zu einer Fernsehkomödie
passen als zu einem feschen Marvel-Kinofilm. Wenigstens weiß Peyton
Reeds Gespür für pointierten Einsatz von Archivmusik von Becks
magerer Instrumentalmusik abzulenken.
Alles in allem ist Ant-Man
weit, weit davon entfernt, die Schlappe darzustellen, die einige Fans
angesichts der tumultartigen Produktionsgeschichte befürchteten. Das
Geschehen dürfte zwar stellenweise flüssiger ablaufen, die
emotionalen Intermezzi könnten gern authentischer sein. Allerdings
lassen sich die Schwächen dank der hohen Gagrate und der löblichen
Trefferquote sowie dem gebotenen Action-Einfallsreichtum
weitestgehend verzeihen. Ant-Man ist nicht ganz so
verrückt wie Guardians of the Galaxy, nicht ganz
so fesselnd wie The Return of the First Avenger,
aber er ist deutlich spritziger als Thor – The Dark
Kingdom. Hinzu kommen unaufdringliche, spaßige
Verknüpfungen mit dem restlichen Marvel-Universum, und fertig ist
einer der größten Heist Movies aller Zeiten. Beziehungsweise einer
der kleinsten Marvel-Filme. Und wie Ant-Man so
schön lehrt: Größe ist nicht alles, denn die Kleinen sind mitunter
findiger als ihre monumentalen Kollegen.
Fazit: Erzählerisch nicht ganz
rund, aber extrem witzig und in Sachen Action mal was Neues: Mit
Ant-Man ist es den Marvel Studios auf
unterhaltsame Weise gelungen, einen Helden auf die Leinwand zu holen,
dem zuvor nur wenige Fans Kinotauglichkeit zugesprochen haben.
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