Bevor ich meine filmische
Jahresbestenliste 2014 mit den zehn Produktionen beende, die mich
ganz persönlich am meisten begeistert haben, möchte ich noch einmal
die Gelegenheit ergreifen, einige ehrenwerte Nennungen
von mir zu geben. Diese Filme hätten in einem Jahr mit etwas weniger
derart harscher Konkurrenz wohl den Einzug in meine Top 30 geschafft
– und auch 2014 zählten sie für mich zu den schönen
cineastischen Stunden. Auch abseits von Bestenlisten wartet Qualität!
Dies zeigen etwa Mike Leighs impressive Malerbiografie Mr.Turner mit einer preiswürdigen Darbietung von Timothy
Spall und schwärmerischer Kameraarbeit oder die
Charlotte-Roche-Verfilmung Schoßgebete, die
Familientragödie, aufgeschlossenes Familiendrama und lockeren
Beziehungsspaß gekonnt vereint.
Nachdem ich den Vorläufer böse
überbewertet fand, hat mich The Raid 2
sprichwörtlich vom Hocker gehauen, Stromberg – Der
Film ist ein würdiger, pointenreicher Leinwandausflug des
kultigen Büroekels inklusive leinwandreifer Charakterentwicklung und
Zombiber ist unvergesslicher, selbstironischer
Trash voller campiger Zitate (und könnte daher eine
Halloween-Tradition für mich werden). Killing Time
hat als spannendes, außergewöhnliches Kammerspiel zweier
übellauniger Auftragskiller ebenfalls eine Erwähnung verdient und
auch wenn ich mir von Denis Villeneuves surrealen Psychothriller
Enemy so viel mehr versprochen habe, als ich
geboten bekam, ist Jake Gyllenhaals Performance eine, die Cineasten
noch jahrzehntelang feiern werden. Und das völlig verdient!
Und um den größtmöglichen
Kulturschock zwischen meinen Sondernennungen und Rang zehn zu
erzwingen, muss ich einfach noch Partei für Need for Speed ergreifen. Denn Scott Waughs Videospieladaption hat
zwar ein, zwei Längen im Mittelteil, doch die furiosen Auto-Stunts
und die 3D-Kameraarbeit, durch die sämtliche Wucht der Actionszenen
spürbar wird, sowie das launige Ensemble ließen mich damals im Kino
wunderbar unterhalten zurück. So viel besser als jeder einzelne
Fast & Furious-Film!
Platz 10: Under the Skin (Regie: Jonathan Glazer)
Ästhetisch und beklemmend, poetisch
und niederschmetternd. Der britische Regisseur Jonathan Glazer treibt
in diesem Low-Fi-Arthaus-Thriller Superstar Scarlett Johansson zur
bislang besten Leistung ihrer Karriere an: In der Rolle einer kühlen,
weltfernen Femme fatale, die nach einer denkwürdigen Begegnung am
eigenen Leibe erfährt, zu welcher Schönheit und Bitternis die
Menschheit fähig ist, lotet sie mit minimalen Mitteln eine
erstaunliche emotionale Bandbreite aus – und erschafft eine
namenlose Protagonistin, die einen nicht mehr loslässt. Um sie herum
komponieren Glazer und sein Kameramann Daniel Landin Bilder, die
manchmal von nachhallender Kargheit sind, manchmal von
bewundernswerter Vielschichtigkeit. Ein Film der fordert – und reich entlohnt.
Platz 9: Nymph()maniac
(Regie: Lars von Trier)
Lars von Trier gewaltiger Abschluss
seiner Depressions-Trilogie beginnt mit einer
klaren Ansage. Nach minutenlanger Ruhe, allein gebrochen durch
monotones Quietschen und Plätschern, dröhnt mit voller Wucht
Rammsteins Führe mich aus den Boxen, während die
schwer verletzte Nymphomanin Joe (Charlotte Gainsbourg) in einer
schauerlichen Gasse vom alternden Junggesellen Seligman (Stellan
Skarsgård) aufgelesen wird. Von nun an gibt es für über fünf
Stunden kein Zurück mehr. Der dänische Autorenfilmer mit Hang zur
Nachdenklichkeit, Provokation und Verbitterung, der sich trotzdem
einen extrem eigenen und fiesen Sinn für Humor bewahrt hat, packt
uns und führt uns durch eine wahrlich epische Geschichte über
Sexualität, Verlogenheit und Sehnsucht. Entgegen dem weitläufigen
Image, das von Trier genießt, übt er sich dabei nicht
ausschließlich in Trübsinn und Pessimismus. Volume I
strotzt auch vor ehrfurchtslosem Humor (siehe: Seligman und Joe
debattieren über Symbolismus) und betörend-obszöner Poesie
(Stichwort: Cantus firmus). Gewiss, Volume II
erhöht (dramaturgisch völlig gerechtfertigt!) die Schlagzahl an
dramatischen Entwicklungen und garstigen Gesellschaftskommentaren.
Aber selbst dies ändert nichts daran, dass Nymphomaniac
den zuversichtlichsten Part der Depressions-Trilogie
darstellt. Dies mag zwar ein übermäßig … schattenhaftes Licht auf
von Triers Gemüt werfen, dennoch: Da ist Licht! Ein winziger,
winziger, verschwindend geringer Funken der Zukunftserwartung. Im
trierschen Universum gleicht dies der Leuchtkraft von Tausend Sonnen!
Und in der 'Wärme' dieses Lichts wuchs von Triers bislang (pardon!)
geilster Film heran. Und das vielleicht unverblümteste Mantra des Kinojahres: Mea maxima vulva.
Platz 8: Her
(Regie: Spike Jonze)
Bei so viel Tragik, Sex und nackter
Haut in meinen Top 10 des Filmjahres könnte sich meine romantische
Ader glatt vernachlässigt fühlen – aber glücklicherweise gibt es
ja Spike Jonzes Zukunftsromanze Her! Mit einem
zurückhaltenden, ungewohnt einfühlsamen Joaquin Phoenix in der
Hauptrolle erzählt Being John Malkovich-Regisseur Spike Jonze eine intellektuelle, bittersüße Liebesgeschichte zwischen einem
Mann und seinem empathischen, hyperintelligenten Betriebssystem …
und dank gefühlvoller Dialoge ist diese Geschichte rührender und
ergreifender als viele 'echte' Filmromanzen. Egal, aus welchem Winkel
man Her betrachtet: Als Parabel auf
Fernbeziehungen, die Verarbeitung von Trennungsschmerz, die
Unvermeidlichkeit individueller Veränderungen zweier Liebespartner
oder auf Liebe im Zeitalter der digitalen Kommunikation – dieser
Film hat das Hirn und das Herz, um einen lang bleibenden Eindruck zu
hinterlassen!
Platz 7: Snowpiercer
(Regie: Bong Joon-ho)
Ein dystopischer Thriller, der nur so
brodelt. Vor Kreativität und vor Spannung: Inspiriert von der
französischen Graphic Novel Schneekreuzer
erschafft Bong Joon-ho eine pessimistische Sci-Fi-Parabel auf
Gesellschaftsstrukturen und Machtgefüge – erzählt seine harsche
Geschichte allerdings unverschämt kurzweilig! Stylische Action,
zahllose schockierende, verwundernde und teils saukomische Twists,
eine kraftvolle Hintergrundmusik, ein durchweg engagiertes Ensemble
und eine zünftige Prise Humor machen diesen Klassenkampf zu einem
wahren Genrehighlight. Actionreich, intelligent und außergewöhnlich!
Platz 6: Boyhood
(Regie: Richard Linklater)
Wie ungewöhnlich doch ein Film über
das gewöhnliche Leben eines ganz normalen Teenagers sein kann. Und
wie viel Magie einer Geschichte innewohnen kann, in deren Fokus ein
Junge steht, dessen träumerische Seite nach und nach Raum für
Ernüchterung macht. Aber Richard Linklater hat es mit seinem
logistischen Albtraum eines Coming-of-Age-Dramas geschafft.
Innerhalb von 165 Minuten sehen wir, wie Mason (Ellar Coltrane) die
Höhen, die Tiefen und vor allem die bemerkenswerten Alltäglichkeiten
des Erwachsenwerdens durchmacht. Nebenher sausen zwölf Jahre
westliche (Pop-)Kultur am Zuschauer vorbei und graduell durchläuft
er noch einmal die Weltsicht eines Heranwachsenden: Die Eltern
(Patricia Arquette & Ethan Hawke) stehen auf einem Podest, sind
rätselhaft, untragbar … echte Menschen mit Ecken und Kanten.
Freunde kommen und gehen. Passionen tauchen auf, verschwinden und
kehren wieder. Linklater hat es erfasst: Das Leben ist ein
Abenteuer – ein stilles, und trotzdem ein genüssliches.
Platz 5: Saving Mr. Banks (Regie: John Lee Hancock)
Wohl kein Filmprojekt 2014 hat mich
vorab nervöser gemacht – denn bei keinem bestand mehr Potential in
beide Richtungen des qualitativen Spektrums. Diese Tragikomödie
hätte eine unerträgliche Disney-Selbstbeweihräucherungsnummer
werden können, in der Walt Disney als Engel von einem Menschen
gezeichnet wird. Sie hätte eine rund zweistündige Mary
Poppins-Dauerwerbesendung oder eine Ansammlung respektloser
Fehldeutungen filmhistorischer Fakten werden können. Aber all meine
Sorgen waren unberechtigt. John Lee Hancock schuf mit Saving
Mr. Banks die Art Film, die ich mir häufiger von Disney
wünsche: Herzzerreißend, amüsant und charmant. Emma Thompson in
der Rolle der galligen Autorin P. L. Travers und Tom Hanks als der
stets eine Show abziehende Walt Disney spielen vorzüglich, Thomas
Newman zaubert einen smarten, effektiven Score und von der ersten bis
zur letzten Minute versprüht dieser Film einen bittersüßen Zauber.
Herrlich!
Platz 4: Can a Song
Save Your Life? (Regie: John Carney)
Ein Film wie eine große Tasse warmer
Kakao und die Lieblingsplatte an einem dank Sommerregen ins Wasser
gefallenen Sonntagnachmittag: Regisseur und Autor John Carney kreiert
ein filmgewordenes, zärtliches Loblied auf die Magie der Musik, ohne
sich dabei zu fatalistischen Extremen hinreißen zu lassen. Gute, vom
Herzen kommende Musik ist in dieser humorvoll-dramatischen Geschichte
über eine Songwriterin und einen gescheiterten Musikproduzenten
nicht fähig, sämtliche Probleme aus der Welt zu schaffen. Aber sie
kann sie lindern – und zu verfolgen, wie Carney diesen Prozess
schildert, ist ganz wundervolles Kino mit Indie-Charme. Tolle Musik,
ausdifferenzierte, bezirzende Performances von Keira Knightley und
Mark Ruffalo und obendrein die filmisch längst überreizte Metropole
New York City, wie man sie sonst nie zu sehen bekommt. Ein reizendes
Kleinod!
Platz 3: The Wolf of Wall Street (Regie: Martin Scorsese)
Mit über 70 Jahren ist Martin Scorsese
noch immer einer der jungen Wilden Hollywoods. Wie hätte er es
besser beweisen können, als dadurch, nach dem gemäßigteren Hugo
Cabret eine gehaltvolle, beißende und losgelöste Komödie
über Exzess raus zu hauen, die ihrem Thema alle Ehre macht? Nahezu
drei Stunden lang hält uns der Meisterregisseur gefangen und lässt
uns am unbändigen, regellosen und in hedonistischem Fehlverhalten
ersaufendem Leben eines narzisstischen Finanzbetrügers teilhaben.
Leonardo DiCaprio trumpft mit einer facettenreichen, urkomischen,
widerlichen, schleimig-packenden, hochdramatischen Performance auf,
die Dialoge sind brillant und trotz ausschweifender Laufzeit fühlt
sich nicht ein einziger Moment überflüssig an. Berauschend, abartig
und erschreckend erkenntnisreich: The Wolf of Wall
Street ist der boshafte Partyfilm voller dramatischer
Schattenseiten unter den Finanzsatiren.
Platz 2: The Return of the First Avenger (Regie: Anthony & Joe Russo)
Zur Seite, Platz da, das 'Marvel
Cinematic Universe' hat einen neuen Höhepunkt. Selbst die geballte
Power des ersten Avengers-Zusammentreffens unter der
Federführung von Joss Whedon kann diesem Blockbuster-Meisterwerk
nicht das Wasser reichen! Und sogar der dämliche deutsche Filmtitel
ist nicht dazu imstande, die Grandeur von Captain America:
The Winter Soldier zu schmälern. Kongenial verschmelzen in
diesem megalomanischen Actionthriller die üblichen Zutaten eines
Marvel-Hits und die Stärken eines politisch motivierten
Suspensefilms zu einer entfesselten Einheit zusammen. Chris Evans,
Scarlett Johansson, Samuel L. Jackson, Sebastian Stan, Cobie Smulders
und Anthony Mackie geben die rundesten Darbietungen ab, die bislang
das Licht des 'Marvel Cinematic Universe' erblicken durften. Henry
Jackmans Score ist eine ungebremste, kraftvolle Zusammenkunft
symphonischer und elektrischer Klangwelten. Die Actionszenen sind
mitreißend, bombastisch und dramaturgisch perfekt ausbalanciert –
und obendrein so abwechslungsreich, dass es trotz der von den
Russo-Brüdern gebotenen, stattlichen Frequenz an Verfolgungsjagden,
Schießereien und Faustkämpfen nie eintönig wird. Die Story ist
spannend, kurzweilig erzählt, erschüttert das Marvel-Filmuniversum
in seinen Grundfesten und schlägt jedem Zweifler, der Captain
America noch immer für eine hohle Propagandafigur amerikanischer
Konservativer hält, mit Genuss in die Fresse. Und obwohl Marvels
Ausflug in eine pseudo-realistische, atmosphärische Ecke des
Superhelden-Filmsektors keine Gefangenen macht, bleiben die Autoren
der Mentalität ihres Protagonisten treu – und liefern mehr perfekt
sitzende Pointen als so manche flockig gemeinte Comicadaption. Der
erste Captain America-Film des 'Marvel Cinematic
Universe' war bereits all seinen Vorläufern überlegen, Steve
Rogers' zweite Mission wiederholt diese Glanzleistung auf noch
höherem Niveau. Während der Wartezeit auf Avengers: Age of
Ultron gibt es daher nur eins zu tun: Bestaunt noch einmal
The Return of the First Avenger. Befehl des
Captain!
Platz 1: Gone Girl
(Regie: David Fincher)
Ein Suspense-Geniestreich nach alter
Schule, vor gegenwärtigem Setting und mit moderner Bild- sowie
Klangästhetik. Eine köstlich-gemeine Mediensatire. Ein Ehe-Drama,
das kein Blatt vor den Mund nimmt. David Fincher, an der Oberfläche
so leicht zugänglich wie nie zuvor. David Fincher, unterschwellig
cleverer codiert denn je. Ein Unterhaltungsfilm, der ein
hochspannendes, wendenreiches Erlebnis liefert, das seinesgleichen
sucht. Ein unverschämt smartes Bravourstück, das voller kleiner
Weisheiten, Gemeinheiten und cleveren Einfällen steckt. Niedere
Unterhaltung, hohe cineastische Handwerkskunst. Gone
Girl fühlt sich auf so vielen Ebenen wohl – und auf
jeder einzelnen funktioniert Finchers brillante Regiearbeit fehlerfrei.
Schriftstellerin Gillian Flynn perfektionierte ihren Bestseller für
die Leinwand mit spürbarer Passion, die Komponisten Trent Reznor &
Atticus Ross übertreffen sich selbst, Schnitt und Kameraarbeit sind
auf den Punkt und jedes einzelne Ensemblemitglied ist nicht nur
perfekt gecastet, sondern leistet auch bemerkenswerte Arbeit. Allen
voran natürlich Rosamund Pike, die für ihre Leistung nicht genug Ehrwürdigungen erhalten kann. Beim ungespoilerten ersten Anblick
ein Film, der den Atem stocken lässt, bei wiederholter Sichtung
reiht sich dagegen ein Moment des Staunens ob der makellosen
Umsetzung an den nächsten. Für mich das filmische
Nonplusultra 2014. Fincher, was hast du mir da nur angetan. Was wirst
du mir noch antun?
Siehe auch:
- Meine Lieblings-Kinofilme 2010
- Meine Lieblings-Kinofilme 2010 (Teil II)
- Meine Lieblings-Kinofilme 2011 - Teil I
- Meine Lieblings-Kinofilme 2011 - Teil II
- Meine Lieblings-Kinofilme 2011 - Teil III
- Meine 25 Lieblingsfilme 2012 (Teil I)
- Meine 25 Lieblingsfilme 2012 (Teil II)
- Meine 25 Lieblingsfilme 2012 (Teil III)
- Meine 25 Lieblingsfilme 2012 (Das Finale!)
- Meine 30 Lieblingsfilme 2013 (Teil I)
- Meine 30 Lieblingsfilme 2013 (Teil II)
- Meine 30 Lieblingsfilme 2013 (Teil III)
- Meine 30 Lieblingsfilme 2014 (Teil I)
- Meine 30 Lieblingsfilme 2014 (Teil II)
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