Daniel Craig betrat die Bretter, die
James Bonds Welt bedeuten, mit einer klaren, starken Ansage. Hier ist
er, der neue 007, und er ist es wert, dass wir ihm konzentriert
unsere Aufmerksamkeit schenken! Im Gegensatz zum Original-Bond Sean
Connery, der mit seiner zweiten Mission erst so richtig auftrumpft,
gerät Craigs Version des unverkennbaren Spitzenagenten in Runde zwei
allerdings ins Trudeln: Ein Quantum Trost ist von
Anfang bis Ende ein gewaltiger Schlag ins Wasser. Sämtliche Aspekte,
die für Craigs Debüt sprechen, werden entweder über Bord geworfen
oder nach ihrem dezenten Einsatz im Vorläufer völlig überreizt.
Bereits der Prolog setzt die Messlatte
beschämend niedrig an. Üblicherweise ist es das Ziel der
eröffnenden Actioneinlage, die Stimmung für das nachfolgende
Abenteuer zu setzen, indem sich nach und nach eine 007-Mission
enthüllt (die mal nichts, mal wenig mit dem eigentlichen Fall zu tun
hat). Die ersten Minuten von Ein Quantum Trost
dagegen sind hauptsächlich eins: Irritierend. Bond düst in einem
kugelsicheren Auto (das rasch eine Tür und somit seine Effizienz in
Sachen Kugelsicherheit verliert) vor Schurken davon, es gibt diverse
Auffahrunfälle und eine Vielzahl an realer Stuntarbeit. Diese lässt
sich aber nur im Heimkino bewundern, wenn man den Film Bild für Bild
schaut. Denn Regisseur Marc Forster und Kameramann Roberto Schaefer
machen es sich hier zum Ziel, Jason Bourne zu überbieten und noch
mehr zu wackeln, noch öfter den Fokus zu ändern und so noch rauer
zu sein als der 007-Konkurrent aus der Post-9/11-Ära. Die flatterige
Schnittarbeit von Matt Chesse und Rick Pearson drückt die Chancen,
auch nur im Ansatz die Übersicht zu behalten, im Verlauf der Szene
dann endgültig gen Null. Nach der Enthüllung, dass Bond einen bösen
Buben aus Casino Royale in seinem Kofferraum
gefangen hält, der so austauschbar ist, dass dieser kleine Twist nur
funktioniert, wenn man den Vorläufer wenige Stunden zuvor gesehen
hat, folgt die Überblende zum weniger hektischen Vorspann.
Mit dem Intro beginnt zugleich eine Attacke auf die Ohren. Denn der Titelsong, der die Ehre hat, das erste Duett im Bond-Pantheon zu sein, macht selbst Madonnas Die Another Day Konkurrenz. Sängerin Alicia Keys klingt flach, kurzatmig und unterkühlt, Jack White hinterlässt als Sänger derweil überhaupt keinen Eindruck – und der Gesang ist noch das 'stärkste' Element dieser Nummer. Denn die Komposition ist mit ihren deplatzierten Dissonanzen, ihren forcierten Tempowechseln und ihrem Mangel an eigenständigem, tragendem Charakter nicht nur schlecht, sondern sogar peinlich. Sie passt überhaupt nicht zu Bond und selbst als alleinstehend betrachtete Kollaboration zwischen White und Keys ist sie nur mit Wohlwollen überhaupt als gescheitertes Experiment zu bezeichnen.
Nachdem der Song Another Way
to Die ungewollt treffend den Tonfall für den restlichen
Film beschrieben hat, erfährt MI6 während des Verhörs von Bonds
Gefangenem, dass die gesamte Organisation durch Doppelagenten
korrumpiert wurde. Wie sich bei den Ermittlungen rasch zeigt, werden
diese Doppelagenten unter anderem durch den Wirtschaftsmagnaten und
Umweltaktivisten Dominic Greene (farblos: Mathieu Amalric)
finanziert. Dieser hat derzeit allerlei fiese Pläne am Laufen, so
versucht er seine Liebhaberin Camille Montes (Olga Kurylenko) zu
töten und einem ins Exil verbannten, faschistischen Militaristen
dabei zu helfen, an die Macht in Bolivien zu gelangen. Im Austausch
für seine tatkräftige Unterstützung verlangt Greene eine scheinbar
wertlose Wüste, mit der er selbstredend noch große Pläne hat. 007,
der eigentlich nur zum Ziel hatte, die Quelle der MI6-Saboteure
ausfindig zu machen, befindet sich nun mitten in einem deutlich
größeren Fall, in den er sich verbeißt – schließlich erhofft er
sich Aufklärung darüber, ob seine geliebte Vesper ebenfalls eine
Verräterin war oder zum Verrat gezwungen wurde.
Bond-Plots funktionieren nahezu
ausnahmslos nach dem Zwiebelprinzip – sie entblättern sich Schicht
für Schicht. Ein Quantum Trost ist da keine
Ausnahme, wohl aber ist Craigs zweite Mission hinsichtlich ihrer
Ausführung bemerkenswert. Bemerkenswert schlecht! Viele der alten
Bond-Storylines, insbesondere der Brosnan- und Moore-Phasen, sind
absurd, wie etwa Im Angesicht des Todes, wo
manipulierte Pferderennen, Hochleistungscomputerchips, Erdbeben und
Weltherrschaft angeblich nahtlos ineinandergreifen. Casino
Royale behält die schrittweise erfolgende Annäherung zum
eigentlichen Kernkonflikt klassischer Bond-Filme bei, beinhaltet
allerdings plausible Beziehungen zwischen den einzelnen Plotebenen
sowie glaubwürdige Detektivarbeit. Ein Quantum Trost
wiederum verabschiedet sich von der schleichenden Vorgehensweise
seines direkten Vorgängers, um dem Zuschauer eine konfuse Ansammlung
von Plänen, Ideen und Intentionen um die Ohren zu hauen.
Wer bezweifelt, dass das im Vorspann
genannte Trio Paul Haggis, Neal Purvis und Robert Wade dieses Skript
verbrochen hat, ist einer heißen Fährte auf der Spur. Wie Daniel
Craig Jahre nach der Veröffentlichung dieses Actionthrillers in
diversen Interviews verriet, verfassten er und Regisseur Marc Forster
während der Dreharbeiten weite Teile des Drehbuchs, da sich die
Autoren gemeinsam mit praktisch all ihren US-Kollegen im Streik
befanden. Und dies erklärt einen Großteil der inhaltlichen Probleme
von Ein Quantum Trost. Gewiss: Es ist möglich,
einen guten Film zu verwirklichen, wenn noch am Set das Drehbuch
vollendet wird. Allerdings sind es in solchen Fällen zumeist die
eigentlichen Drehbuchautoren, die während der Dreharbeiten noch den
Dialog polieren (siehe etwa Fluch der Karibik).
Dass ein lückenhaftes Skript eines als komplex beabsichtigten
Agentenfilms durch improvisierte Schreibversuche des Hauptdarstellers
und des Regisseurs vervollständigt wird, ist da schon ein ganz
anderes Paar Schuhe.
Ein Quantum Trost
ist zwar bei weitem nicht die einzige Großproduktion, die vom
Autorenstreik 2007/08 in Mitleidenschaft gezogen wurde, jedoch lässt
sich das Argument anbringen, dass es keinen Film schwerer traf als
diesen. Dass der zweite Transformers-Film sinnlos
ist, ist unbedeutend, schließlich wäre er auch ohne Autorenstreik
zu einem überlangen Effektgewitter verkommen (man ziehe zum
Vergleich Transformers 1 & 3 heran). Auch der
erste G.I. Joe-Film spielt inhaltlich auf einer
deutlich niedrigeren Ebene als Ein Quantum Trost,
der ja nicht nur qualitativ und tonal in die Fußstapfen von
Casino Royale treten möchte, sondern auch den bis
dahin intelligentesten aller Bond-Filme fortsetzen möchte. Mit
gesteigertem Selbstanspruch kommt nun einmal eine größere Fallhöhe
– und Ein Quantum Trost legt eine gewaltige
Bruchlandung hin. Wie der vermeintlich weitererzählte Plot des
Vorläufers mit Greenes hanebüchenen Allmachtsfantasien
zusammenhängt (die inszenatorisch und skriptintern als realistisch
dargestellt werden), ist albern und der Epilog, in dem Bond Vespers
Ex-Lover ausfindig macht, ist forciert, hölzern und emotional wenig
überzeugend.
Selbiges gilt für die
Charakterisierung des Topagenten. Dass Casino Royale
mit einem Knall endete und formal laut ankündigt, dass 007 ab sofort
der Spion ist, den seine Fans seit Jahren lieben, bloß um Ein
Quantum Trost mit einem 'Nein, doch nicht!' zu eröffnen,
ist schon rein prinzipiell unglücklich. Wäre die Rachegeschichte
mitreißend und Bonds emotionaler Bogen in sich schlüssig, wäre es
aber möglich, den Verantwortlichen ihr Umdenken zu verzeihen. Denn
per se ist es nachvollziehbar, dass 007 nach den Erlebnissen aus
Casino Royale mit Tunnelblick durch die Welt rast
und zu einer noch kälteren Killermaschine wird als zu Beginn des
ersten Craig-Films. Dass dieser Bond, der seine große Liebe rächen
will, aber mit einer unbedeutenden MI6-Angestellten (verschenkt:
Gemma Arterton) schläft, die taffe und smarte Camille dagegen nicht
einmal anbaggert, ergibt keinen Sinn. Wenn der Chauvi Bond aus Trauer
um Vesper züchtig wird, dann bitte konsequent. Wenn er seine Wut
hinweg kopulieren will, wieso dann nicht mit einer Frau, die ihm
ebenbürtig ist, sondern mit der mädchenhaften MI6-Mitarbeiterin?
Dies klingt vielleicht nach Haarspalterei, ist aber das griffigste
Exempel dafür, wie schwammig Bonds Charakter hier skizziert wird.
An Craigs stets grimmiger Mimik und der
farblosen, rauen Inszenierung wird zwar deutlich, dass sich die
Filmemacher einig waren, einen unzufriedenen, wütenden,
unglücklichen Bond vorzuführen; wie sich Bonds Frustration äußert,
ist aber völlig inkonsistent, was das Mitfiebern weiter erschwert.
Einem schwer nachvollziehbarem Plot lässt sich noch immer gebannt
folgen, wenn die emotionale Reise des Protagonisten fesselt. Wenn
auch diese enttäuscht, fällt der Handlungsbogen in sich zusammen.
Da hilft es auch nicht, dass Ein
Quantum Trost mit 106 Minuten Laufzeit ungewöhnlich
schlank ausgefallen ist. Zumal die knackige Filmlänge nicht zuletzt
dadurch zustande kommt, dass Forster und das Cutter-Team Cheese &
Pearson in den Actionszenen wie manisch zwischen Einstellungen
wechseln und jeden Schlag, Tritt, Schuss oder Aufprall sofort von
einem Schnitt folgen lassen. Die Leistung der Stuntcrews geht unter,
jeglicher Orientierungssinn geht verloren, fast alle Actionpassagen
werden somit unverständlich und langweilig. Nur in einer
Actionsequenz setzt Forster auf Übersicht und Atmosphäre statt auf
Tempo und Chaos. Und diese Szene entfaltet sich prompt zum Höhepunkt
des Films: Bond beschattet die Mitglieder der Geheimorganisation
QUANTUM, während sie ein Treffen in einem Opernsaal abhalten. Die
aufgeführte Fassung der Tosca, inklusive
Bühnenbild, das exzentrisch das Gefühl der Paranoia visualisiert,
fügt sich grandios in die Thematik des Filmkapitels und die visuelle
Komposition aus Bond, QUANTUM-Ganoven und Bühnengeschehen ist ebenso
smart wie packend.
Etwas ähnliches versucht Forster
bereits kurz nach der Vorspannsequenz umzusetzen: Die Scharmützel
zwischen Bond und einigen Doppelagenten werden immer wieder von
Aufnahmen des berühmt-berüchtigten Pferderennens Palio di Siena
unterbrochen – womöglich, um die Brutalität und Effizienz der
Fieslinge zu kommentieren. Bloß, dass der frenetische Schnitt nicht
erlaubt, sein Augenmerk auf die Täter zu lenken, so dass keine
fundierten Vergleiche möglich sind. Der disharmonische Rhythmus der
Szene und die mangelnde Interaktion zwischen beiden Schauplätzen
lässt die Szene letztlich rein prätentiös wirken – oder eher
gewollt, aber nicht gekonnt. Bezeichnend, dass das Rennen das erste
war, was gedreht wurde, noch bevor Forster überhaupt wusste, welche
Aufgabe das gefilmte Material im Film erfüllen soll.
Diese 'Hals-über-Kopf'-Produktionsweise
macht sich durch die Bank weg bemerkbar. Die MI6-Büros sind in
Ein Quantum Trost vollkommen anders gestaltet als
noch in Casino Royale, der aber wenige Stunden vor
den ersten Ein Quantum Trost-Szenen endet. Wie das
sein kann? Ein Quantum Trost war laut Craig
zunächst nicht als direkte Fortführung geplant, diese Idee entstand
erst im Laufe der Produktion – wohl zu spät, um das (langweilige)
Setdesign zu ändern. Wenn schon solche recht prominente Dinge nicht
beachtet werden, wäre es einem Wunder gleichgekommen, hätte Ein
Quantum Trost so brillante Abwandlungen der Bond-Tropoi zu
bieten wie Craigs Debüt. Denn dafür benötigt es Bedenkzeit und
Sorgfalt. Und die ist in Ein Quantum Trost
vollkommen abhanden gekommen. Stattdessen holpert und poltert sich
diese filmische Katastrophe mit einer 'Wir hassen
Traditionen'-Attitüde durch den 007-Mythos. Die einzige direkte,
liebevolle Referenz (eine Aktualisierung des berühmten
Goldfinger-Todes via Goldfarbe) wird durch
Forsters Schnitt kurzgehalten, fast schon untergraben. Dafür kopiert
Ein Quantum Trost den Widerwillen seines
Vorgängers, die Pistolenlauf-Szene an ihrem angestammten Platz zu
zeigen. Hatte der Traditionsbruch in Casino Royale
aber Hand und Fuß, klatscht Forster diese klassische Bond-Zutat an
die sentimentale Schlussszene, wodurch diese ihre Stimmung verliert.
Womit Ein Quantum Trost
auftrumpfen kann, ist wohlgemerkt eine engagierte Darbietung des
Bondgirls Olga Kurylenko, die erste Frau in der 007-Reihe den
Archetyp des Verbrechensopfers, das sich zu einer kühlen Rächerin
entwickelte, gekonnt mit vollem Ernst und Dramatik anpackt. Dumm nur,
dass das Skript ihr nicht gerade in die Karten spielt. Auch Komponist
David Arnold macht das Beste aus seiner Lage – sein Score ist zwar
alles andere als eine echte Bond-Klangtapete, aber wie sollte er auch
bei dieser lieblosen, sinnbefreiten Bourne-Kopie? Was Begleitmusik
für raue, schnelle, pseudo-realistische Agentenfilme angeht, ist
seine Arbeit an Ein Quantum Trost jedoch eine der
stärkeren.
2013 durfte Forster dann beweisen, dass
Ein Quantum Trost nicht etwa gescheitert ist, weil
er unfähig ist, aus der Not einen Tugend zu machen. Der
Big-Budget-Action-Zombiefilm World War Z durchlitt
ähnlich herbe Produktionsschwierigkeiten, nahm aber eine respektable
Form an. Und bereits 2012 zeigte sich, dass Daniel Craigs erster
007-Film kein glücklicher Unfall war, sondern Ein Quantum
Trost ein herber Ausrutscher nach unten. Bond mit Craig
kann sehr wohl Spaß machen …
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