Samstag, 3. Januar 2015

James Bond 007 – Ein Quantum Trost


Daniel Craig betrat die Bretter, die James Bonds Welt bedeuten, mit einer klaren, starken Ansage. Hier ist er, der neue 007, und er ist es wert, dass wir ihm konzentriert unsere Aufmerksamkeit schenken! Im Gegensatz zum Original-Bond Sean Connery, der mit seiner zweiten Mission erst so richtig auftrumpft, gerät Craigs Version des unverkennbaren Spitzenagenten in Runde zwei allerdings ins Trudeln: Ein Quantum Trost ist von Anfang bis Ende ein gewaltiger Schlag ins Wasser. Sämtliche Aspekte, die für Craigs Debüt sprechen, werden entweder über Bord geworfen oder nach ihrem dezenten Einsatz im Vorläufer völlig überreizt.

Bereits der Prolog setzt die Messlatte beschämend niedrig an. Üblicherweise ist es das Ziel der eröffnenden Actioneinlage, die Stimmung für das nachfolgende Abenteuer zu setzen, indem sich nach und nach eine 007-Mission enthüllt (die mal nichts, mal wenig mit dem eigentlichen Fall zu tun hat). Die ersten Minuten von Ein Quantum Trost dagegen sind hauptsächlich eins: Irritierend. Bond düst in einem kugelsicheren Auto (das rasch eine Tür und somit seine Effizienz in Sachen Kugelsicherheit verliert) vor Schurken davon, es gibt diverse Auffahrunfälle und eine Vielzahl an realer Stuntarbeit. Diese lässt sich aber nur im Heimkino bewundern, wenn man den Film Bild für Bild schaut. Denn Regisseur Marc Forster und Kameramann Roberto Schaefer machen es sich hier zum Ziel, Jason Bourne zu überbieten und noch mehr zu wackeln, noch öfter den Fokus zu ändern und so noch rauer zu sein als der 007-Konkurrent aus der Post-9/11-Ära. Die flatterige Schnittarbeit von Matt Chesse und Rick Pearson drückt die Chancen, auch nur im Ansatz die Übersicht zu behalten, im Verlauf der Szene dann endgültig gen Null. Nach der Enthüllung, dass Bond einen bösen Buben aus Casino Royale in seinem Kofferraum gefangen hält, der so austauschbar ist, dass dieser kleine Twist nur funktioniert, wenn man den Vorläufer wenige Stunden zuvor gesehen hat, folgt die Überblende zum weniger hektischen Vorspann.

Mit dem Intro beginnt zugleich eine Attacke auf die Ohren. Denn der Titelsong, der die Ehre hat, das erste Duett im Bond-Pantheon zu sein, macht selbst Madonnas Die Another Day Konkurrenz. Sängerin Alicia Keys klingt flach, kurzatmig und unterkühlt, Jack White hinterlässt als Sänger derweil überhaupt keinen Eindruck – und der Gesang ist noch das 'stärkste' Element dieser Nummer. Denn die Komposition ist mit ihren deplatzierten Dissonanzen, ihren forcierten Tempowechseln und ihrem Mangel an eigenständigem, tragendem Charakter nicht nur schlecht, sondern sogar peinlich. Sie passt überhaupt nicht zu Bond und selbst als alleinstehend betrachtete Kollaboration zwischen White und Keys ist sie nur mit Wohlwollen überhaupt als gescheitertes Experiment zu bezeichnen.

Nachdem der Song Another Way to Die ungewollt treffend den Tonfall für den restlichen Film beschrieben hat, erfährt MI6 während des Verhörs von Bonds Gefangenem, dass die gesamte Organisation durch Doppelagenten korrumpiert wurde. Wie sich bei den Ermittlungen rasch zeigt, werden diese Doppelagenten unter anderem durch den Wirtschaftsmagnaten und Umweltaktivisten Dominic Greene (farblos: Mathieu Amalric) finanziert. Dieser hat derzeit allerlei fiese Pläne am Laufen, so versucht er seine Liebhaberin Camille Montes (Olga Kurylenko) zu töten und einem ins Exil verbannten, faschistischen Militaristen dabei zu helfen, an die Macht in Bolivien zu gelangen. Im Austausch für seine tatkräftige Unterstützung verlangt Greene eine scheinbar wertlose Wüste, mit der er selbstredend noch große Pläne hat. 007, der eigentlich nur zum Ziel hatte, die Quelle der MI6-Saboteure ausfindig zu machen, befindet sich nun mitten in einem deutlich größeren Fall, in den er sich verbeißt – schließlich erhofft er sich Aufklärung darüber, ob seine geliebte Vesper ebenfalls eine Verräterin war oder zum Verrat gezwungen wurde.

Bond-Plots funktionieren nahezu ausnahmslos nach dem Zwiebelprinzip – sie entblättern sich Schicht für Schicht. Ein Quantum Trost ist da keine Ausnahme, wohl aber ist Craigs zweite Mission hinsichtlich ihrer Ausführung bemerkenswert. Bemerkenswert schlecht! Viele der alten Bond-Storylines, insbesondere der Brosnan- und Moore-Phasen, sind absurd, wie etwa Im Angesicht des Todes, wo manipulierte Pferderennen, Hochleistungscomputerchips, Erdbeben und Weltherrschaft angeblich nahtlos ineinandergreifen. Casino Royale behält die schrittweise erfolgende Annäherung zum eigentlichen Kernkonflikt klassischer Bond-Filme bei, beinhaltet allerdings plausible Beziehungen zwischen den einzelnen Plotebenen sowie glaubwürdige Detektivarbeit. Ein Quantum Trost wiederum verabschiedet sich von der schleichenden Vorgehensweise seines direkten Vorgängers, um dem Zuschauer eine konfuse Ansammlung von Plänen, Ideen und Intentionen um die Ohren zu hauen.

Wer bezweifelt, dass das im Vorspann genannte Trio Paul Haggis, Neal Purvis und Robert Wade dieses Skript verbrochen hat, ist einer heißen Fährte auf der Spur. Wie Daniel Craig Jahre nach der Veröffentlichung dieses Actionthrillers in diversen Interviews verriet, verfassten er und Regisseur Marc Forster während der Dreharbeiten weite Teile des Drehbuchs, da sich die Autoren gemeinsam mit praktisch all ihren US-Kollegen im Streik befanden. Und dies erklärt einen Großteil der inhaltlichen Probleme von Ein Quantum Trost. Gewiss: Es ist möglich, einen guten Film zu verwirklichen, wenn noch am Set das Drehbuch vollendet wird. Allerdings sind es in solchen Fällen zumeist die eigentlichen Drehbuchautoren, die während der Dreharbeiten noch den Dialog polieren (siehe etwa Fluch der Karibik). Dass ein lückenhaftes Skript eines als komplex beabsichtigten Agentenfilms durch improvisierte Schreibversuche des Hauptdarstellers und des Regisseurs vervollständigt wird, ist da schon ein ganz anderes Paar Schuhe.

Ein Quantum Trost ist zwar bei weitem nicht die einzige Großproduktion, die vom Autorenstreik 2007/08 in Mitleidenschaft gezogen wurde, jedoch lässt sich das Argument anbringen, dass es keinen Film schwerer traf als diesen. Dass der zweite Transformers-Film sinnlos ist, ist unbedeutend, schließlich wäre er auch ohne Autorenstreik zu einem überlangen Effektgewitter verkommen (man ziehe zum Vergleich Transformers 1 & 3 heran). Auch der erste G.I. Joe-Film spielt inhaltlich auf einer deutlich niedrigeren Ebene als Ein Quantum Trost, der ja nicht nur qualitativ und tonal in die Fußstapfen von Casino Royale treten möchte, sondern auch den bis dahin intelligentesten aller Bond-Filme fortsetzen möchte. Mit gesteigertem Selbstanspruch kommt nun einmal eine größere Fallhöhe – und Ein Quantum Trost legt eine gewaltige Bruchlandung hin. Wie der vermeintlich weitererzählte Plot des Vorläufers mit Greenes hanebüchenen Allmachtsfantasien zusammenhängt (die inszenatorisch und skriptintern als realistisch dargestellt werden), ist albern und der Epilog, in dem Bond Vespers Ex-Lover ausfindig macht, ist forciert, hölzern und emotional wenig überzeugend.

Selbiges gilt für die Charakterisierung des Topagenten. Dass Casino Royale mit einem Knall endete und formal laut ankündigt, dass 007 ab sofort der Spion ist, den seine Fans seit Jahren lieben, bloß um Ein Quantum Trost mit einem 'Nein, doch nicht!' zu eröffnen, ist schon rein prinzipiell unglücklich. Wäre die Rachegeschichte mitreißend und Bonds emotionaler Bogen in sich schlüssig, wäre es aber möglich, den Verantwortlichen ihr Umdenken zu verzeihen. Denn per se ist es nachvollziehbar, dass 007 nach den Erlebnissen aus Casino Royale mit Tunnelblick durch die Welt rast und zu einer noch kälteren Killermaschine wird als zu Beginn des ersten Craig-Films. Dass dieser Bond, der seine große Liebe rächen will, aber mit einer unbedeutenden MI6-Angestellten (verschenkt: Gemma Arterton) schläft, die taffe und smarte Camille dagegen nicht einmal anbaggert, ergibt keinen Sinn. Wenn der Chauvi Bond aus Trauer um Vesper züchtig wird, dann bitte konsequent. Wenn er seine Wut hinweg kopulieren will, wieso dann nicht mit einer Frau, die ihm ebenbürtig ist, sondern mit der mädchenhaften MI6-Mitarbeiterin? Dies klingt vielleicht nach Haarspalterei, ist aber das griffigste Exempel dafür, wie schwammig Bonds Charakter hier skizziert wird.

An Craigs stets grimmiger Mimik und der farblosen, rauen Inszenierung wird zwar deutlich, dass sich die Filmemacher einig waren, einen unzufriedenen, wütenden, unglücklichen Bond vorzuführen; wie sich Bonds Frustration äußert, ist aber völlig inkonsistent, was das Mitfiebern weiter erschwert. Einem schwer nachvollziehbarem Plot lässt sich noch immer gebannt folgen, wenn die emotionale Reise des Protagonisten fesselt. Wenn auch diese enttäuscht, fällt der Handlungsbogen in sich zusammen.

Da hilft es auch nicht, dass Ein Quantum Trost mit 106 Minuten Laufzeit ungewöhnlich schlank ausgefallen ist. Zumal die knackige Filmlänge nicht zuletzt dadurch zustande kommt, dass Forster und das Cutter-Team Cheese & Pearson in den Actionszenen wie manisch zwischen Einstellungen wechseln und jeden Schlag, Tritt, Schuss oder Aufprall sofort von einem Schnitt folgen lassen. Die Leistung der Stuntcrews geht unter, jeglicher Orientierungssinn geht verloren, fast alle Actionpassagen werden somit unverständlich und langweilig. Nur in einer Actionsequenz setzt Forster auf Übersicht und Atmosphäre statt auf Tempo und Chaos. Und diese Szene entfaltet sich prompt zum Höhepunkt des Films: Bond beschattet die Mitglieder der Geheimorganisation QUANTUM, während sie ein Treffen in einem Opernsaal abhalten. Die aufgeführte Fassung der Tosca, inklusive Bühnenbild, das exzentrisch das Gefühl der Paranoia visualisiert, fügt sich grandios in die Thematik des Filmkapitels und die visuelle Komposition aus Bond, QUANTUM-Ganoven und Bühnengeschehen ist ebenso smart wie packend.

Etwas ähnliches versucht Forster bereits kurz nach der Vorspannsequenz umzusetzen: Die Scharmützel zwischen Bond und einigen Doppelagenten werden immer wieder von Aufnahmen des berühmt-berüchtigten Pferderennens Palio di Siena unterbrochen – womöglich, um die Brutalität und Effizienz der Fieslinge zu kommentieren. Bloß, dass der frenetische Schnitt nicht erlaubt, sein Augenmerk auf die Täter zu lenken, so dass keine fundierten Vergleiche möglich sind. Der disharmonische Rhythmus der Szene und die mangelnde Interaktion zwischen beiden Schauplätzen lässt die Szene letztlich rein prätentiös wirken – oder eher gewollt, aber nicht gekonnt. Bezeichnend, dass das Rennen das erste war, was gedreht wurde, noch bevor Forster überhaupt wusste, welche Aufgabe das gefilmte Material im Film erfüllen soll.

Diese 'Hals-über-Kopf'-Produktionsweise macht sich durch die Bank weg bemerkbar. Die MI6-Büros sind in Ein Quantum Trost vollkommen anders gestaltet als noch in Casino Royale, der aber wenige Stunden vor den ersten Ein Quantum Trost-Szenen endet. Wie das sein kann? Ein Quantum Trost war laut Craig zunächst nicht als direkte Fortführung geplant, diese Idee entstand erst im Laufe der Produktion – wohl zu spät, um das (langweilige) Setdesign zu ändern. Wenn schon solche recht prominente Dinge nicht beachtet werden, wäre es einem Wunder gleichgekommen, hätte Ein Quantum Trost so brillante Abwandlungen der Bond-Tropoi zu bieten wie Craigs Debüt. Denn dafür benötigt es Bedenkzeit und Sorgfalt. Und die ist in Ein Quantum Trost vollkommen abhanden gekommen. Stattdessen holpert und poltert sich diese filmische Katastrophe mit einer 'Wir hassen Traditionen'-Attitüde durch den 007-Mythos. Die einzige direkte, liebevolle Referenz (eine Aktualisierung des berühmten Goldfinger-Todes via Goldfarbe) wird durch Forsters Schnitt kurzgehalten, fast schon untergraben. Dafür kopiert Ein Quantum Trost den Widerwillen seines Vorgängers, die Pistolenlauf-Szene an ihrem angestammten Platz zu zeigen. Hatte der Traditionsbruch in Casino Royale aber Hand und Fuß, klatscht Forster diese klassische Bond-Zutat an die sentimentale Schlussszene, wodurch diese ihre Stimmung verliert.

Womit Ein Quantum Trost auftrumpfen kann, ist wohlgemerkt eine engagierte Darbietung des Bondgirls Olga Kurylenko, die erste Frau in der 007-Reihe den Archetyp des Verbrechensopfers, das sich zu einer kühlen Rächerin entwickelte, gekonnt mit vollem Ernst und Dramatik anpackt. Dumm nur, dass das Skript ihr nicht gerade in die Karten spielt. Auch Komponist David Arnold macht das Beste aus seiner Lage – sein Score ist zwar alles andere als eine echte Bond-Klangtapete, aber wie sollte er auch bei dieser lieblosen, sinnbefreiten Bourne-Kopie? Was Begleitmusik für raue, schnelle, pseudo-realistische Agentenfilme angeht, ist seine Arbeit an Ein Quantum Trost jedoch eine der stärkeren.


2013 durfte Forster dann beweisen, dass Ein Quantum Trost nicht etwa gescheitert ist, weil er unfähig ist, aus der Not einen Tugend zu machen. Der Big-Budget-Action-Zombiefilm World War Z durchlitt ähnlich herbe Produktionsschwierigkeiten, nahm aber eine respektable Form an. Und bereits 2012 zeigte sich, dass Daniel Craigs erster 007-Film kein glücklicher Unfall war, sondern Ein Quantum Trost ein herber Ausrutscher nach unten. Bond mit Craig kann sehr wohl Spaß machen …  

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