Samstag, 15. März 2014

Der kleine, fiese Bruder von Reservoir Dogs: Killing Time – Zeit zu sterben


Kaum ein Filmemacher mit solch einem unkonventionellen Geschmack hat so eine breite Fangemeinde wie der ehemalige Videothekar Quentin Tarantino. In den 90ern schuf er mit den Kulterfolgen Reservoir Dogs und Pulp Fiction so etwas wie ein neues Subgenre: Die gelassen erzählte, ebenso garstige wie spaßige Ganovenposse mit unvergleichlichen Dialogen und einprägsamen Gewaltausbrüchen. Schwarze Anzüge zum weißen Hemd mit schwarzer Krawatte wurden dank ihm in der Filmwelt zur Uniform der stets popkulturell bewanderten Zunft der ruchlosen Ganoven und redseligen Auftragskiller. Und zudem wurden durch seine Werke im Underground-Kriminalfilm geistreich orchestrierte Dialogfeuerwerke über Banalitäten zu einer wichtigeren Erfolgszutat als ausgedehnte Schießereien. Nicht nur in Hollywood, sondern auch im internationalen Kino, war es zwischenzeitlich en vouge, Tarantinos Stil zu imitieren und sich darin zu üben, ebenso faszinierende Verschmelzungen aus Spaß, Coolness und Gewalt anzustreben. Die Liste jener Filmemacher, die mit ihren Tarantino-Hommagen überzeugten, ist jedoch wesentlich kürzer als die Reihe derer, die scheiterten. Für jeden den Tarantino-Einfluss selbstsicher mit eigenen Ideen vermengenden Grosse Pointe Blank oder Snatch gibt es eine Handvoll von misslungenen Filmen wie Kai Rabe gegen die Vatikankiller oder Circus.

Seit der Jahrtausendwende werden die Hommagen an den frühen Tarantino wieder rarer und auch der Meisterregisseur selbst bleibt zwar seiner Schreibe treu, mischt seinen Stil aber mit immer neuen Zutaten auf. Filmfreunde, die sich nach prickelnder Neuware mit herrlich-altmodischer Tarantino-Note sehnen, müssen daher verstärkt ihre Augen nach kleinen, wenig beworbenen Filmperlen aufhalten. Ein solches Glanzstück ist der Thriller Killing Time – Zeit zu sterben des rumänischen Autorenfilmers und Schauspielers Florin Piersic Jr., der deutschen Filmliebhabern am ehesten durch seine Nebenrolle im international besetzten Lang lebe Charlie Countryman ein Begriff sein könnte.

Die Handlung dieses Kammerspiels ist von bestechender Simplizität: Zwei namenlose Auftragskiller werden von ihrem strengen Chef in die Wohnung ihres neuen Opfers geordert. Dort haben sie nach ihrem Eintreffen allerdings noch allerhand Zeit totzuschlagen, bis die zu liquidierende Person endlich ankommt. Und so warten die ungleichen Profis darauf, dass die Stunden vergehen. Der Leerlauf im Tagesplan der beiden Killer bietet immensen Raum für packende, smarte und urkomische Dialoge, womit das Drehbuch zu Killing Time – Zeit zu sterben zu einem Paradebeispiel für bewusst reduzierte Plots wird. Keine Verfolgungsjagden, keine ausführlich erzählten Subplots, nicht einmal Rückblenden, die die Hintergrundgeschichte der Auftragsmörder beleuchten: Einzig und allein das, was die Protagonisten während der Warterei über ihre Persönlichkeiten preisgeben und was sich aus diesen Gesprächen entwickelt, ist von Bedeutung.

Und das, was da entsteht, ist eine Art "Reservoir Dogs trifft die rumänische Antwort auf Der Gott des Gemetzels": Während der von Florin Piersic Jr. verkörperte Mörder ein wortkarger Einzelgänger ist, der die elendig lange Wartezeit eigenbrötlerisch mit Tischtennis oder Lesen verbringt,  ist sein Kollege von einem ganz anderen Schlag. Cristian Gutaus schlacksige Figur ist nämlich nicht nur ungeheuerlich mitteilungsfreudig, sondern vertritt zudem sowohl in philosophischen Fragen wie auch in Sachen Popkultur gewöhnungsbedürftige Standpunkte. Da braucht es nur wenige Stunden, bis aus der kargen Wartezimmer-Atmosphäre, die zunächst in der Wohnung des Opfers herrscht, ein Pulverfass aus angestautem Hass wird. Während also Roman Polanski in Der Gott des Gemetzels ausführlich auf Zelluloid bannte, wie sich zwei Ehepaare aus der oberen Mittelschicht an die Gurgel gehen und der zweifach für den Academy Award nominierte Im August in Osage County die hasserfüllten Wortgefechte einer Südstaaten-Großfamilie ins Kino holte, zeigt Florin Piersic Jr. in diesem Kammerspiel, was geschieht, wenn sich Gangster mit ihren verbalen Aussetzern gegenseitig in den Wahnsinn treiben.

Eingangs mag die Konfliktsituation zwar nicht bloß simpel, sondern vor allem ausgereizt wirken: Der kühle, reizbare Profi auf der einen Seite, der leidenschaftlichere, lautere Selbstunterhalter auf der anderen. Jedoch belässt es Florin Piersic Jr. nicht einfach bei dieser schlichten Konstellation. Mit seiner und Cristian Gutaus Figur treffen nämlich nicht einfach die typischen Buddy-Movie-Archetypen aufeinander, sondern zwei auf Persönlichkeiten aus Tarantino-Filmen und -Hommagen basierende Extreme. Cristian Gutau verkörpert mit seinen Popkultur-Gesprächsthemen, denen er harsche Twists verleiht, den nerdig-coolen Geist aus Pulp Fiction und Konsorten, Florin Piersic Jr. hingegen ist als seinem Job kühl gegenüberstehender Beau die stylisch-pragmatische Personifizierung der einzigartig trockenen Art, mit der die von Tarantino popularisierten Killer Mord als ihr täglich Brot verstehen.

Mit einer ausgedehnten Debatte darüber, ob nun Spider-Man oder Batman der beste Superheld von allen ist, kippt aber nicht nur die Stimmung zwischen den voneinander wenig angetanen Mördern, obendrein setzt sich auch ein schleichender Enthüllungsprozess in Bewegung. In kleinen Schritten, die von den Darstellern mit präzisem Spiel unterstrichen werden, lassen die wartenden Killer immer tiefer in ihre Seele blicken. Die neuen Erkenntnisse über die gegensätzlichen Typen verdeutlichen, dass sie komplexer und gefährlicher sind als zunächst gedacht. Während sich der kühle Profi als verbittert und kalkulierend, in seinem Arbeitsethos aber doppelzüngig entpuppt, offenbart sich sein quasselnder Kollege als ebenso impulsiv wie schwermütig und sadistisch. Somit verschärfen nicht nur die geschliffenen Dialogzeilen die beklemmende Wirkung dieses bewusst tristen Kammerspiels, auch die immer brenzliger werdenden Auseinandersetzungen der Anti-Helden lassen eine schneidende Spannung entstehen.

Spätestens, sobald eine Hälfte des gestressten Duos eine Zigarettenpause von den unentwegten Anfeindungen einfordert, vollführt Killing Time – Zeit zu sterben eine Kehrtwende, die aus einer erfrischend minimalistischen Tarantino-Hommage ein umwerfendes Genre-Kleinod macht: Die Mischung aus lässigem Auftragskiller-Smalltalk und brodelnder Anspannung explodiert und hinterlässt an ihrem begrenzten Schauplatz ein nihilistisches Psychogramm mit erstaunlichen Performances. Dies ist wohlgemerkt nicht allein die Leistung der im finalen Akt besonders versiert agierenden Hauptdarsteller, sondern auch der jungen Mimin Olimpia Melintes, die als Todesangst erleidende Nachbarin des namenlosen Opfers mit ihrem intensiven Schauspiel bleibenden Eindruck hinterlässt und für intensive Gänsehaut sorgt.

Angesichts der raffinierten Dialoge und der zielstrebig reduzierten Erzählweise ist die technische Umsetzung von Killing Time – Zeit zu sterben reine Nebensache. Es ist trotzdem clever von Florin Piersic Jr., die Zuschauer möglichst unmittelbar in die Lage der beiden Killern zu versetzen. Vom Vor- und Abspann abgesehen ist keine Filmmusik zu vernehmen, die Kamera folgt weitestgehend in einem dokumentarischen Stil das Handeln der Protagonisten und nur in Ausnahmefällen betonen Lichtgebung oder Schattenfall die Stimmung. Kurze von Titelkarten markierte Zeitsprünge raffen die stundenlange Wartezeit der Auftragsmörder zusammen, doch abseits dessen ist Killing Time – Zeit zu sterben eine unverfälschte, direkte und bewusst reduzierte Schilderung der sich schleichend von Coolness zu Schrecken wandelnden Ereignisse. Diese gekonnte Zurückhaltung hätte mit einem höheren Budget oder einer erfahreneren Crew gewiss etwas feiner geschliffen werden können – die wenigen Kameraschwenks und -fahrten des Newcomer-Kameramnns Cristian Stan sind teils sehr schroff und die Wohnung des Opfers ist fast schon lachhaft karg eingerichtet. Aber davon abgesehen lässt sich kaum etwas an Killing Time – Zeit zu sterben bemängeln.

Vom die ambivalente Stimmung des Films etablierenden Eröffnungsmonolog über die pointierten Dialoge im Mittelteil hin zum aufreibenden Finale (inklusive gewieft eingewobener Verbeugung vor dem großen Vorbild Tarantino) gelang Florin Piersic Jr. somit ein einfallsreicher Rücksturz ins Gangsterkino der 90er-Jahre sowie eine lässig-finstere Thrillerantwort auf Zank-Dramakomödien der Marke Der Gott des Gemetzels, Der Vorname und Konsorten.

Fazit: Minimalistisch, megaböse, mordscool – und mit einem denkwürdigen Schluss, der Quentin Tarantino neidisch machen dürfte.

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