Drei Jahre nach dem blödelkomischen Mars Attacks! und fünf Jahre nach seinem Biopic über B-Movie-Filmer Ed Wood kehrte Tim Burton 1999 mit Sleepy Hollow zu seinen atmosphärisch-schaurigen Wurzeln zurück. Die lose Adaption der Erzählung von Washington Irving rund um ein verschlafenes Dorf und einen kopflosen Reiter schüttelte den verschrobenen Burton-Humor jedoch nicht völlig ab, was sie zu einer kuriosen Mischung aus Schauermär und leicht grotesker Komödie werden ließ. Eine Mixtur, die wohl nicht jedem Zuschauer gefällt, jedoch durchaus ihre Ausstrahlung hat.
New York City im Jahre 1799: Police Constable Ichabod Crane fällt mit seinen fortschrittlichen forensischen Methoden seinen Vorgesetzten gehörig auf den Wecker. Als er sich obendrein gegen die Folter und für Strafverteidigung ausspricht, haben sie endgültig genug von dem intelligenten und chaotischen Sonderling. Um Crane loszuwerden, bedenkt ihn sein Vorgesetzter damit, eine mysteriöse Mordserie im abgeschiedenen Dörflein Sleepy Hollow aufzuklären. Dort angekommen erläutern ihm die Anwohner, dass es sich beim Täter um einen untoten, kopflosen Reiter handeln würde, der jedem, der ihm über den Weg läuft, den Kopf abschlägt. Crane hält dies für unsinnigen Hokuspokus, aber er beginnt an seiner rationalen Denkweise zu zweifeln, als ihm die zierliche Katrina van Tassel schöne Augen macht und dabei voller Überzeugung von ihrem Glauben ans Übernatürliche berichtet ...
Sleepy Hollow hält im Tim-Burton-Kanon eine sonderbare Position inne: Einerseits ist diese Produktion aufgrund Cast & Crew, der mit Ironie gebrochenen, schaurigen Atmosphäre und des gothischen, in ausgewählten Szenen auch poetischen Looks so etwas wie "Das große Tim-Burton-Einmaleins". Der Film ist das Bindeglied zwischen dem frühen Tim Burton, der nur zwei Mal mit Johnny Depp zusammenarbeitete und sich bevorzugt originalem Material annahm, und dem "modernen" Tim Burton, der Depp stets in seiner Nähe braucht und bevorzugt bekanntes Material neu interpretiert. Und dennoch würde ich ihn nur in der zweiten Reihe der Burton-Werke vermuten. Er hat nicht die eingeschworene Kultgemeinde eines Nightmare before Christmas (wo Burton nicht als Regisseur tätig war, trotzdem darf man den Film wohl seiner Vita zuschreiben) oder Sweeney Todd, es ist kein solcher Kritikerfavorit wie Edward mit den Scherenhänden oder Big Fish und auch nicht solch ein kommerzieller Großerfolg wie Charlie und die Schokoladenfabrik oder Alice im Wunderland. Ebenso wird Sleepy Hollow nicht so gehasst wie besagtes Alice-Remake/Sequel, Dark Shadows oder Planet der Affen. Sleepy Hollow, so könnte man sagen, ist einfach da. Der Film existiert, gefällt oder missfällt, reizt aber nicht zu so starken Reaktionen wie viele andere Burton-Projekte.
Dass Sleepy Hollow
sich in der Betrachtung Tim Burtons Schaffenswerk nicht dermaßen
aufdrängt wie die genannten Beispiele, dürfte daran liegen, dass
diese augenzwinkernde, und dennoch auch ernstlich gruselige,
Schauermär zwischen den Fronten steht. Burtons freie Nacherzählung
der Geschichte vom kopflosen Reiter hat von allem etwas, geht aber
nie aufs Ganze. Er ist zu schaurig, um als Komödie durchzugehen, zu
komödiantisch, um durchweg zu beklemmen, zu burtonhaft-quirlig, um
die konventionellen Genrefans zu begeistern, wer aber den puren
Burton-Wahnsinn erwartet, wird durch eine unerwartet große
Bodenhaftung zurückgehalten.
All das führt dazu, dass Sleepy
Hollow leicht als Film der Qualitätsgüte ''recht gut,
aber ...'' aufgenommen werden kann. Jedoch jongliert Burton so gut
mit seinen ungleichen Zutaten, dass seine dritte Kollaboration mit
Johnny Depp trotzdem keinen unausgegorenen Mischmasch darstellt. Wenn
man sich mit der sonderbaren Grundstimmung von Sleepy
Hollow arrangiert hat, entfaltet diese einen eigenwilligen
Charme. Es ist so, als würde man einen nostalgischen Rückwurf zu
den Glanzzeiten der Hammer-Horrorfilme, eine opulentere und
durchdachtere Hommage an die kultige Horrormarke und
eine liebevolle Parodie gleichzeitig sehen, ohne dass sich die drei
Elemente gegenseitig in ihrer Wirkung verhindern. Wenn etwas witzig
sein soll, ist es zumeist auch witzig, und die Schreckmomente sitzen
ebenfalls. Bloß im Gesamtbild erschwert Burtons Mischung das Ziehen
eines handfesten Fazits – was schließlich die eher zweitrangige
Position von Sleepy Hollow im Burton-Kanon
bedingt.
Die tragenden Elemente von Sleepy
Hollow sind, über jegliche tonale Schwankungen hinweg,
Hauptdarsteller Johnny Depp, die Darstellung des kopflosen Reiters
und die düster-melancholische Optik des Films. Depps Ichabod Crane
hat, von seiner Tollpatschigkeit abgesehen, nur noch den Namen mit
der ursprünglichen Figur gemeinsam. War Crane im Original eine
einfältige, abergläubische Vogelscheuche von einem Mann, ist Depps
Ichabod ein liebenswert-verpeilter Schussel mit hoher
Kombinationsgabe und von störrischer Rationalität. Somit konnten
Burton und die Autoren dieser Schauermär einen neuen Charakterbogen
spannen: In diesem Film muss Ichabod seine Rationalität überkommen,
um mit der geheimnisvollen, zierlichen Katrina van Tassel (eine
sympathische, doch etwas zu zurückhaltende Christina Ricci) dem
Gehemnis des Reiters auf die Spur zu kommen. Früh wird klar, dass
dieser in Burtons Version der Geschichte zweifelsohne ein
übernatürliches Ungetüm ist (wortkarg und einschüchternd, aber
auch mit kurzen Prisen Humors von Christopher Walken dargestellt) –
jedoch ist die Kriminalgeschichte, die den Überbau von Sleepy
Hollow darstellt, damit noch nicht zu Ende erzählt. Denn
hier vermengen sich nicht nur filmische Klangfarben, sondern alte
Flüche, monströser Blutdurst und ganz weltliche Mordmotive
miteinander.
Das Rätsel ist aufgrund der leicht als
Ablenkungen erkennbaren erzählerischen Irreführungen und den zu
dick aufspielenden Verschwörern zwar schnell gelöst (zumindest die
Frage nach de Täter, das Motiv wiederum ist überraschend
verworren), allerdings ist in dieser Gruselgeschichte der Weg das
Ziel. Und diesen beschreitet Burton mit denkwürdiger Ikonografie: Kameramann Emmanuel Lubezki und Produktionsdesigner Rick Heinrichs schaffen eine lebensnah detaillierte, doch unwirklich ausgeleuchtete Bühne für Burtons Erzählung, verleihen den Schauplätzen ein unwohles Gefühl und berücken mit wuchtigen Monumenten wie dem Baum des Todes.
Sleepy Hollow zeigt Tim Burton in seinem Element. Jedoch ist es ein Tim Burton, der sich der Atmosphäre seiner Vorlage anpasst, statt sie sich zurechtzubiegen. Je nach Sichtweise gab es das zuletzt bei Sweeney Todd, an dessen nachhallende Ausstrahlung Sleepy Hollow nicht heranreichen mag, doch es genügt für eine visuell stimmige, inhaltlich reizvoll-verschrobene Gruselstunde.
4 Kommentare:
Nenenenene,
ich finde Sleepy Hollow ist der beste Film, bei dem Tim Burton Regie geführt hat.
Nur Nightmare before Christmas ist noch besser, wobei ich nicht weiß, wieviel Burton dazu beigetragen hat.
Sweeney Todd hingegen hat mir trotz ähnlicher Stimmung gar nicht gefallen, er war zu wenig Fantasy und die Lieder haben mir nicht gefallen.
Andere gute Burton-Filme sind Ed Wood und Corpse Bride.
Die größten Gurken sind hingegen Mars Attacks und Planet der Affen.
Auch für mich ist Sleepy Hollow ob seiner herrlich skuril schaurigen Stimmung einer der besten Filme von Burton.
Was mir am Plot besonders gefallen hat, ist, dass Ichabod seine Rationalität gerade nicht(!) über Bord wirft. Er akzeptiert nur ein für ihn neues Weltbild ("es gibt Geister") und zieht dann aufgrund dieser neuen Annahmen seine (rationalen) Schlüsse. Sehr schön stimmig ausgedacht.
Jajaja, kurz nachdem das Nostalgia Chick ihr Review rausgehauen hat. *I see what you did here* xD Nichtsdestotrotz, auch mal wieder hübsch.
Ich wollte den Halloween-Monat mit zwei thematisch passenden Tim-Burton-Filmen einrahmen, das Chick kam dazwischen und ich hatte keine Lust, deshalb von meinem Plan abzuweichen. ;-)
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