Freitag, 23. Dezember 2011

Mission: Impossible – Phantom Protokoll

Oder: Wie Brad Bird mit der Technik von morgen den Kalten Krieg wieder aufblühen lässt

Ein halbes Jahrzehnt ist bereits seit Mission: Impossible III vergangen, und es waren nicht zwingend die besten Jahre von Tom Cruise. Dennoch hielten Paramount Pictures und J. J. Abrams an Mission: Impossible fest und suchten nach einem neuen Regisseur. Unter anderem zog man in Erwägung, den Zombieland-Regisseur Ruben Fleischer zu engagieren, doch im März 2010 platzte die Bombe: Abrams zog Brad Bird an Land, der mit Die Unglaublichen ja bereits bewies, dass er Action versteht und auch seine Hausaufgaben in Sachen Genre-Urgestein James Bond gemacht hat. Bloß Erfahrung mit Realfilmen, die hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, weshalb ihm auch bei der Finanzierung seines Traumprojekts, eines Katatsrophen-Realfilms, bereits Steine in den Weg gelegt wurden.

Somit stand die Grundkonstellation fest: Ein Hollywood-Star, den viele Leute nicht mehr sehen wollen. Ein Franchise, dessen bis dorthin bester Teil den kleinsten Erfolg an den Kinokassen hatte. Und ein ambitionierter Regisseur, der seinen Wunschfilm nicht drehen darf, weil er ein Genie in einem Medium ist, dessen nicht ausreichende Achtung ihn zur Weißglut bringt. Oh, und natürlich ein Filmstudio, dass der Gerüchteküche nach zu urteilen sehr daran interessiert ist, im Laufe des vierten Teils den Staffelstab von Tom Cruise an einen neuen, aufstrebenden Actionstar weiter zu reichen.

Wieder einmal scheint sich seit unserer letzten Begegnung mit Ethan Hunt vieles getan zu haben: Der Superagent sitzt in einem Moskauer Gefängnis, und wird in einer ausgeklügelten Rettungsmission von der IMF-Agentin Jane Carter (Paula Patton) und dem nun in den Außendienst beförderten Techniker Benji Dunn (der aus Mission: Impossible III mit in die Fortsetzung genommene Simon Pegg) durchaus zu seinem Erstaunen befreit. Wie Carter erklärt, braucht das IMF Ethan Hunts Knowhow, um in den Moskauer Kreml einzusteigen. Dort vermutet das IMF wertvolle Informationen, mittels denen sich der Atomwaffen-Terrorist "Cobalt" (Michael Nyqvist) identifizieren lässt. In Folge dieser politisch riskanten Aktion sieht sich das IMF gezwungen, das Phantomprotokoll zu aktivieren: Jegliche Existenz des Geheimdiensts wird geleugnet, sämtliche Kommunikationswege der Agenten abgeschnitten. Nun steht Hunt allein mit Carter, Dunn und dem undurchsichtigen Analysten William Brandt (Jeremy Renner) da. Für den nächsten Einsatz ist also Improvisationstalent gefragt ...

Brian De Palma brachte seinen Supsense mit, John Woo seinen Martial-Arts-Stil und J. J. Abrams machte aus Mission: Impossible III stilistisch einen Alias-Kinoableger, indem er einen dreckig-realistischen Look wählte und eine emotional belastete Agentengeschichte erzählte. Was bringt nun Brad Bird mit, um seinen Eintrag in die flexible Agenten-Kinoreihe unverwechselbar zu machen? Zunächst einmal etwas, das auch eine der Lektionen von Die Unglaublichen war, nämlich Teamwork. Obwohl Ethan Hunt in jedem Teil der Kinoreihe ein Team zur Hand hatte, waren die Filme klar eine Ein-Mann-Show, was Fans der Original-Fernsehserie nicht sonderlich gehabte. Das Drehbuch von André Nemec & Josh Appelbaum (Alias - Die Agentin, Life on Mars) stellt Hunt erstmals ein wirklich präsentes Team zur Seite, das Handlung und Tonfall des Actionfilms mitbestimmt. Und hier ist wirklich von Teamwork die Rede, und nicht von "ganz heimlich bereiten Brad Bird und Paramount Pictures vor, wie Jeremy Renner das Franchise übernimmt". Dass diese vorab kursierenden Gerüchte wahr sein könnten, ist in Mission: Impossible – Phantom Protokoll jedenfalls zu keinem Zeitpunkt zu spüren. Natürlich verändert sich die Dynamik des Films, muss Ethan Hunt nicht mehr den draufgängerischen Einzelgänger geben, sondern erhält ihm mehr oder minder gleichgestellte Teamkameraden, die gemeinsam mit ihm die Mission durchziehen und auch Verantwortung übernehmen können.

Zum zweiten bringt Brad Bird etwas mit, was den Mission: Impossible-Filmen fast völlig abging: Sie waren zwar nie so grimm-dramatisch wie die Jason Bourne-Trilogie, doch sie waren auch stets eher humorfreies Popcorn-Kino. Brad Bird verpasst Mission: Impossible – Phantom Protokoll eine klare Spritze Verspieltheit. Die futuristischen, in vielen Fällen aber durchaus denkbaren, Einsatzwerkzeuge werden mit einem Augenzwinkern präsentiert und sind keine technischen Wunderwerke, die jede Gefahrensituation mit einem Fingerschnippen umschiffen können. Die Ausrüstung von Hunt und seinem zusammengewürfelten Phantom-Team versagt auch, was Bird für zahlreiche humoristische Spritzer gebraucht, jedoch auch dafür einzusetzen vermag, dem Spannungsbogen nochmal einen Kick zu geben. So ist man als Zuschauer auch eher gewillt, die teils absurde Technik des IMF abzukaufen: Sie mag zwar von morgen oder gar übermorgen sein, ist allerdings auch noch nicht ausgereift.
Im selben Atemzug verleiht Brad Bird einigen Genre- und Franchise-Standards einen selbstironischen Drive, und, was für ein Glück, auch die überreizten Supermasken hat sich Bird zum Ziel gesetzt. (Außerdem muss noch gesagt werden, dass gleich zweimal der Animatoren-Insidergag A113 vorkommt, sowie die in Alias allgegenwärtige Nummer 47 ...)

Den meisten Witz bringt natürlich Simon Pegg (Hot Fuzz) mit, dessen Figur des Computerspezialisten Benji von der Randfigur aus Teil 3 zu einem vollwertigen, wenngleich aufgrund seiner Unerfahrenheit noch nervösen Agenten befördert wurde. Pegg schafft es mit seinem sympathischen Spiel, über die bloße Scherzkeks-Sidekickrolle hinauszuwachsen, wobei es sicherlich auch hilfreich ist, dass ihm das Drehbuch auch ein paar heldenhaftere Momente zuschustert. Außerdem war ich sehr erfreut, Jeremy Renner, der ja seit Tödliches Kommando und The Town ein wahres Karrierehoch genießen darf, in Mission: Impossible – Phantom Protokoll nicht als kernigen, undurchsichtigen Kerl zu erleben. Seine Figur ist ein wenig schüchtern, versteckt ganz offensichtlich etwas, ist aber insgesamt ein verletzlicher Typ, der im Kampf erstaunlich gut austeilen kann. Paula Patton letztlich ... spielt das Actiongirl mit Rachemotiv. Joah. Irgendwie strahlte sie nicht so viel aus wie Renner, Pegg oder auch Cruise.

Die Story gibt Cruise nicht so viel Grund wie noch in Mission: Impossible III, menschlich zu wirken, aber Brad Bird hat es bekanntlich drauf, tendentiell abschreckenden Protagonisten Charisma einzuhauchen. Der launige Tonfall des Films war dem sicherlich zudienlich, aber auch die obligatorischen, von Cruise selbst gedrehten Stunts verleihen weniger ein "Schau mal, wie geil ich bin"-Gefühl (siehe die Klettersequenz in Teil 2), sondern auch stets ein Sinn der Gefahr zu Scheitern. Das erhöht die Spannung, und halt auch den Willen des Publikums, sich auf Cruise einzulassen.


Dass ich bislang kaum ein Wort über die Qualität der Story verlor, sondern mehr über den generellen Tonfall des Films sprach, hat seinen Grund: Es gibt kaum eine Handlung. Nicht jedoch im stupiden, jede Nicht-Action-Szene zur Tortur machenden Mission: Impossible II-Sinne, sondern mehr im Sinne des goldenen James Bond-Zeitalters. Hm, ja, das trifft es eigentlich sehr gut: Brad Bird schloss mit Mission: Impossible – Phantom Protokoll in der Welt des Agentenspektakels die Lücke, die entstand, als James Bond auf den Jason Bourne-Zug aufsprang. Technische Spielereien, atemberaubende, rund um den Globus verteilte Schauplätze, ein von Old-School-Blechbläsern getriebenes Orchester (Michael Giacchino ist zurück und somit der einzige Komponist, der in dieser Filmreihe zweimal den Ton angab!) und die Story bewegt sich auf dem Level von "Ein Atomkrieg zwischen den Russen und der USA könnte losbrechen! Ethan Hunt und Team wollen dies verhindern!"

Dadurch, und aufgrund einer äußerst schwachen Performance von Michael Nyqvsit als Oberschurke, muss Brad Bird von Filmsegment zu Filmsegment den Spannungsbogen komplett neu spannen. Zumindest ich konnte nie völlig in die Geschichte eintauchen, sondern wurde von Brad Bird immer wieder neu geködert. Das gelingt dem Burschen jedoch hervorragend: Die Dialogszenen sind dank des gut zusammengestellten Teams kurzweilig und die Actionszenen sind allesamt einfallsreich und exakt so lang, wie sie sein sollten. Da gibt es kürzere, amüsant-absurdere Einsätze, und dann wieder ausführlichere Sequenzen, in denen Bird eine kleine Achterbahnfahrt vollführt. Ganz vorne mit dabei ist die schwindelerregende Szene, in der Ethan Hunt an der Außenwand des Burj Khalifa, dem höchsten Gebaude der Welt, entlangklettert. An dieser Stelle macht sich auch die Arbeit mit IMAX-Kameras bestens bezahlt: Auf großer Leinwand sieht man die Fenster des völlig verglasten Hochhauses bei jeder Bewegung Tom Cruises nachgeben, und die Kamerawinkel, die Bird und Kameramann Robert Elswit (There Will Be Blood) wählten, versetzen einen als Zuschauer ebenfalls an den Rande eines tiefen, tiefen Abgrunds. Hier ist man wirklich mittendrin statt nur dabei, und die makellos abgestimmte Schnittarbeit lässt den Puls in die Höhe schnellen.


Ich war aber auch von der Verfolgungsjagd in einem Sandsturm und dem verwirbelten Finale in einem voll automatisierten (angeblich extra für den Film gebauten) Autohaus begeistert. Letzteres hatte etwas von der Türenlager-Sequenz in Die Monster AG, mit all den sich bewegenden Plattformenvielleicht sehe ich aber schon Gespenster.

Trotzdem hätte all das mit einer etwas packenderen Gesamthandlung und/oder einem besseren Schurken noch besser gewirkt. Es ist nur wenige Tage her, dass ich Mission: Impossible – Phantom Protokoll sah, und ich erinnere mich trotzdem an überhaupt nichts, was den Bösewicht ausmachte. Auch von Léa Seydoux (Inglourious Basterds, Robin Hood, Midnight in Paris und diese Prada Candy-Reklame, zu der man leicht eine Hassliebe entwickeln kann) bin ich etwas enttäuscht: Sie spielt zwar eine ausgebuffte Agentin, macht letztlich jedoch nicht viel mehr, als süß auszusehen. Zugegeben, dass kann sie sehr gut, dennoch hätte ich mir für ihre Rolle etwas mehr Substanz gewünscht. Oder wenigstens etwas elaboriertere Actionszenen. Ohne im Kino mitgezählt zu haben, wage ich es trotzdem zu behaupten, dass sie im Prada Candy-Werbespot fast genauso oft durch die Luft wirbelt, wie in Mission: Impossible – Phantom Protokoll ...

Nahezu exakt das gleiche wie für Léa Seydoux gilt übrigens auch für Josh Holloway. Nur der Kram mit dem Parfüm-Werbespot nicht, und er hat auch zuvor in gänzlich anderen Sachen mitgespielt (etwa Lost), aber ihr wisst schon, was ich meine ...

Mein letzter nennenswerter Kritikpunkt wäre, dass Mission: Impossible – Phantom Protokoll mit über 130 Minuten zu lang für sein eigenes Wohl ist. Wie schon erwähnt, schafft es Brad Bird zwar, immer wieder Spannung aufzubauen, dennoch ist die Geschichte an sich nunmal sehr gehaltsarm. Mission: Impossible III hatte mehr zu erzählen, und hat es trotzdem in einer kürzeren Laufzeit geschafft. Wäre der Epilog nach der letzten Actionsequenz was straffer, und hätte man hie und da etwas an den Dialogen gefeilt (so vielschichtig sind die Figuren ja nun nicht gerade), hätte die Story vielleicht etwas mehr Drive bekommen.

"Wieso genau bekomme ich nochmal ein eigenes Poster? Achso, ja, männliche, jugendliche Kinogänger ... alles klar!"

Mein Fazit lautet also: Definitiv über dem Niveau des Mission: Impossible-Franchises. Die Actionszenen sind vielleicht nicht ganz so laut, wie in den ersten beiden Teilen, visuell allerdings sehr ausgeklügelt. Wie in Teil 1 hat die Action ihre eigene Spannungskurve, und dank Birds verspieltem Tonfall und Simon Pegg macht diese Mission: Impossible auch sehr viel Spaß. Es ist reines Popcornkino ohne jeglichen inhaltlichen Anspruch, aber eines, in dem man sich gemütlich zurücklehnen kann und endlich wieder etwas neues, handgemachtes zu sehen und zu hören bekommt. Es gibt also handwerklichen Anspruch.

Zugleich ist der Film aber auch unter Brad Birds Niveau. Es ist vielleicht der beste M: I-Film (zumindest meines Erachtens nach), jedoch auch Brad Birds bislang schwächster. Von der Poesie eines Ratatouille, dem mehrschichtigen Witz von Die Unglaublichen oder der Herzlichkeit von Der Gigant aus dem All ist hier nicht viel zu spüren. Allerdings wissen wir natürlich, weshalb Brad Bird diesen Weg ging, weshalb es ihm überhaupt nicht zu verübeln ist.

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